Thomas de Maizière Kanzler der Reserve
Berlin - Geradlinig marschiert Thomas de Maizière ans Rednerpult des Bundestags. Fast so, als wäre er einer seiner eigenen Generäle. "Die Neuausrichtung der Bundeswehr hat begonnen", meldet er den Abgeordneten. Mit ernster Stimme wirbt de Maizière in seiner Regierungserklärung an diesem Freitagmorgen um Unterstützung für seine Mission: eine verkleinerte Truppe zukunftsfest zu machen für die Herausforderungen von morgen. Die Bundeswehr reiche der Öffentlichkeit die Hand, sagt der CDU-Politiker. "So dienen wir Deutschland. So schützen wir die Menschen. So sorgen wir für unsere Sicherheit."
So mögen sie ihn in der Union. Und das immer mehr. Thomas de Maizière ist nicht mehr nur Verteidigungsminister. Er hat sich zum Kanzler der Reserve gemausert.
De Maizière, der Sohn eines Generalinspekteurs der Bundeswehr, spricht in diesen Tagen gern von Ehre und Dienst, von Patriotismus. Altmodische Kategorien, die er seltsam unaufgeregt vorträgt. Er hat sich auch schon einen Spruch ausgedacht, um Freiwillige für die neue Bundeswehr anzuwerben: "Wir. Dienen. Deutschland."
Die Deutschen mögen seine Art. Laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend liegt de Maizière auf der Zufriedenheitsskala sogar an der Spitze, weit vor der Kanzlerin: 59 Prozent goutieren seine Arbeit. Es ist offensichtlich: Mann und Mission passen zusammen.
Merkels Image-Problem, de Maizières Trumpf
Bei Angela Merkel läuft es derzeit genau andersherum. Nicht mal ein Drittel der Befragten sind mit der Arbeit ihrer Regierung zufrieden. Die schwarz-gelbe Truppe hat auch nach bald zwei Jahren an der Macht keine Linie gefunden, kein Projekt. Was eigentlich ist Merkels Mission?
Nichts passt zusammen. Sie hat die Politik entkernt, technisiert, entemotionalisiert. Es ist eine Hatz von einem Problem zum nächsten, von der Wirtschaftskrise zur Euro-Rettung zum Atomausstieg. "Sie bekommt Kopf und Bauch nicht zusammen", sagt ein Unionsgrande. Dieser Eindruck mag in der Größe der Aufgaben begründet sein. So leicht wie Adenauer, Erhard oder Kiesinger hat es ein Kanzler im Jahr 2011 nun mal nicht mehr.

Thomas Strobl, Generalsekretär von Baden-Württembergs CDU, meinte nach der Bremen-Pleite seiner Partei, die einzelnen Entscheidungen der Regierung seien zwar richtig; aber der "rote Faden" des Regierungshandelns sei für viele Menschen nicht erkennbar. CDU-Präside Philipp Mißfelder riet seiner Partei, sich programmatisch breiter aufzustellen. Unter Richard von Weizsäcker habe sich die CDU in Berlin beispielsweise sehr konservativ und zugleich an anderer Stelle sehr liberal präsentiert.
"Die Union gleicht heute einem Plagiat"
Merkels Umfeld müht sich jetzt um neue Begriffe, um die CDU-Story hinter Merkels Neuerungen: "Bürgerliche Moderne", sagt Peter Altmaier, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion und Vertrauter der Kanzlerin. Man habe sich in den letzten Monaten "eine Richtungsdebatte aufzwingen lassen" zwischen Modernisierern und Bewahrern, sagt er: "Das Geheimnis des Erfolgs der CDU liegt aber in der Synthese."
Nun gilt einigen in CDU und CSU eher de Maizière als die Synthese aus konservativ und liberal. Viele trauen dem Minister vieles zu. Und manche alles.
Fest steht: Er verkörpert jene konservative Strenge, nach der sich viele in der Union sehnen. Wenn er im schwarzen Dreiteiler die Truppe grüßt, gibt er das Paradebild der alten, westdeutschen Kohl-CDU ab: Schwarz, stramm, gut. Auch wenn das nicht endgültig bewiesen ist: De Maizière wirkt auf die Anhänger wie ein Mann mit Prinzipien.
Er bringt eine Biografie mit wie aus dem christdemokratischen Märchenbuch. Persönliches Motto: "Nichts allzu sehr." Den gläubigen Christen umweht gediegene Bürgerlichkeit. Die hugenottischen Vorfahren flohen im 17. Jahrhundert aus Frankreich nach Preußen. Dem neuen Staat waren sie dankbar, wollten etwas zurückgeben. Ein Ahne des Ministers schrieb am Bürgerlichen Gesetzbuch mit, der Vater Ulrich de Maizière wirkte für die demokratische Ausrichtung der jungen Bundeswehr.
Als 1989 die Mauer fiel, war de Maizière Pressesprecher der West-Berliner CDU. Nach den DDR-Wahlen im März 1990 stellte sich der West-Vetter als Berater an die Seite seines Cousins Lothar de Maizière, des ersten frei gewählten Ministerpräsidenten. Gemeinsam wurden sie auf Angela Merkel aufmerksam, machten sie zur Vize-Regierungssprecherin. Seitdem sind Merkel und de Maizière enge Vertraute. Erst förderte er sie. Dann förderte sie ihn, machte den Wahl-Dresdner 2005 erst zu ihrem Kanzleramtsminister - de Maizière sagt "Handwerksmeister der Regierungskunst" - dann zum Innenminister.
Der Anti-Guttenberg der Politik
Er sagt Sätze wie: "Wir sind davon nicht überzeugt. Warum nicht?" Dann folgt die Erklärung, dass es möglichst auch jeder versteht. Er sagt: "Es gibt viele gute Gründe dafür - aber auch gewichtige dagegen." Und dann präsentiert er eine Lösung. Es ist dieser Sound des Verbindlichen, nach dem sich viele Bürger sehnen.
Anders als seine Vorgänger profilierte sich de Maizière im Innenressort nicht als Hardliner. Stark sei nicht, "wer lauthals etwas fordert, stark ist, wer leise etwas durchsetzt". Deutschland hatte plötzlich einen liberalen Innenminister, das gab es lange nicht mehr. Vor wenigen Monaten der Wechsel ins Verteidigungsressort. "Dass ich einer Kanzlerin den Ruf in ein bestimmtes Amt schwer abschlagen kann, hat in der Tat mit meinem Staatsverständnis zu tun", bemerkt de Maizière.
Er gibt den Pflichtbewussten, inszeniert sich als Bundeswehrreformer, der aus des Vorgängers Stückwerk ein Ganzes macht. Er sei der "Anti-Guttenberg" der Politik, schreibt Publizist Michael Spreng. "Kein anderer Politiker beherrscht so sehr die Kunst, berufen zu werden", konstatiert der "Stern". De Maizière war schon so ziemlich alles: Staatskanzleichef in Mecklenburg-Vorpommern und später in Sachsen. Finanz-, Justiz- und Innenminister in Dresden.
Aber um Kanzler zu werden, bedarf es doch ein wenig mehr. Es braucht den letzten Kick, den unbedingten Willen zur Macht. Man muss nicht unbedingt am Zaun des Kanzleramts rütteln. Aber man muss schon wollen.
Will de Maizière?
Klar ist: Niemals würde er einen Putsch gegen Merkel organisieren. Aber wenn Merkel 2013 nicht noch einmal antreten mag? Wenn sie die Macht abgibt? Dann wäre wohl alles möglich für den Kanzler der Reserve.