Ministerpräsident für drei Tage Das Fiasko von Erfurt
Es ist die Szene des Fiaskos von Erfurt. Susanne Hennig-Wellsow, Landeschefin der Linken in Thüringen, wirft dem frisch gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich jenen Blumenstrauß vor die Füße, der eigentlich für ihren Parteifreund Bodo Ramelow gedacht war z- u dessen Wiederwahl. Stattdessen ist nun Kemmerich plötzlich Landesvater, gewählt von FDP, CDU - und der AfD. Die hatte zwar ihren eigenen Kandidaten im Rennen, stimmte im entscheidenden Moment aber trotzdem für den FDP-Mann. Und der nimmt die Wahl tatsächlich an. Ministerpräsident mithilfe der Rechtsaußen. Ein Tabubruch.
"Ich frage Herrn Abgeordneten Kemmerich: Nehmen Sie die Wahl zum Ministerpräsidenten an?" - "Ich nehme die Wahl an. - Dann darf ich Ihnen gratulieren."
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf Staatsreise in Afrika ist, spricht ein deutliches Machtwort:
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
"Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung gebrochen hat für die CDU und auch für mich. Nämlich, dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies absehbar war, in der Konstellation, die im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss."
Doch Kemmerich denkt zunächst nicht daran, zurückzutreten. FDP-Parteichef Christian Lindner muss persönlich nach Erfurt reisen, um ihn umzustimmen.
Thomas Kemmerich, Ministerpräsident Thüringen
"Zusammen mit meinen Kollegen der Landtagsfraktion der Freien Demokraten, haben wir beschlossen, die Auflösung des Thüringer Landtages zu beantragen. Damit möchten wir Neuwahlen herbeiführen."
Neuwahlen will zunächst auch die CDU-Vorsitzende. Sie kann sich allerdings bei ihren Thüringer Parteifreunden damit nicht durchsetzen und muss zurückrudern.
Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Vorsitzende
"Wir haben noch einmal zusammen festgestellt: Unser Ziel ist stabile Verhältnisse für Thüringen, damit Zukunft gestaltet werden kann. Es gibt jetzt Initiativen, die auch darauf abzielen, dass innerhalb des jetzt bestehenden Parlamentes klare Verhältnisse geschaffen werden können."
An den beiden Tagen nach der Wahl Kemmerichs läuft ein Kopf an Kopf Rennen der beiden bürgerlichen Parteivorsitzenden, wer die schlechtere Figur in dem Debakel abgibt. Kramp-Karrenbauer hatte das Manöver der AfD offenbar durchaus kommen sehen, konnte die Thüringer CDU aber nicht umstimmen. Selbst FDP-Kollege Lindner räumt später ein, dass Kramp-Karrenbauer ihn vor dem AfD-Trick gewarnt habe, der Kemmerich ins Amt brachte. Lindner übersteht zwar die Vertrauensfrage, die er seinem eigenen Parteivorstand gestellt hat, gesteht aber vor laufenden Kameras eine erstaunliche politische Naivität ein.
Christian Lindner, FDP-Vorsitzender
"Nach Lage der Dinge, wie sie sich entwickelt haben, war es ein Fehler, im dritten Wahlgang angetreten zu sein. Und es war auch ein Fehler, dann eine Wahl unter diesen Bedingungen angenommen zu haben. Wir haben uns in der AfD geirrt. Ich bin auch selbst einer Fehleinschätzung der AfD erlegen. Ganz offensichtlich gibt es einen neuen parlamentarischen Umgang, der mit der AfD jetzt danach nötig ist."
Vorerst letztes Opfer des Fiaskos von Erfurt ist Christian Hirte. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung kommt mit seinem Rücktritt der Entlassung durch Bundeskanzlerin Merkel zuvor. Er hatte auf Twitter die Wahl Kemmerichs gelobt. Hirte ist neben seinem bisherigen Amt stellvertretender Landesvorsitzender der CDU in Thüringen.