Thüringen Im Lodenmantel gegen Ramelow

Das gab es noch nicht in Deutschland: Tausende Bürger demonstrieren gegen die Wahl eines Ministerpräsidenten. Ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Konservative, Sozialdemokraten, Rechtsradikale - vereint gegen den Linken-Politiker Ramelow.
Thüringen: Im Lodenmantel gegen Ramelow

Thüringen: Im Lodenmantel gegen Ramelow

Foto: KAI PFAFFENBACH/ REUTERS

Erfurt - Zieht am Freitag ein Linken-Politiker in die Thüringer Staatskanzlei ein? Bodo Ramelow könnte der erste Ministerpräsident seiner Partei in Deutschland werden - was im Freistaat auch Ängste weckt. Manche glauben offenbar, die DDR kehre nun zurück. Am Donnerstagabend sind es mehrere tausend Menschen, die im kalten Nebel vor dem Erfurter Landtag demonstrieren. Sie skandieren "Stasi Raus!", auf den Plakaten steht: "Wer wird uns verraten? Sozialdemokraten!" Ramelow will mit SPD und Grünen koalieren.

"Wir sind keine Rechten, die meisten hier auf dem Platz sind SPDler", sagt Clarsen Ratz, der Initiator der Demonstration. Er selbst ist CDU-Mitglied - versichert aber, nicht als Parteifunktionär hier zu sein. Wie vor 25 Jahren, in der DDR-Wendezeit, protestieren die Menschen an diesem Abend mit Kerzen in der Hand gegen den Kommunismus - nur dass ihr Gegner diesmal Bodo Ramelow heißt, nicht Honecker oder Krenz.

Nach Schätzungen der Polizei sind es rund 2.000, vor allem aus dem bürgerlichen Spektrum: Man sieht viele Filzhüte und Lodenmäntel. Dazwischen blitzen die gelben Mützen eines Grüppchens FDPler durch die Menge: "Ich habe damals im Knast gesessen, das mache ich nicht nochmal mit", sagt einer der Männer. Sie geben sich überzeugt, dass der Koalitionsvertrag zwischen Linken, SPD und Grünen der erste Schritt in den Sozialismus sei. Am Rande der Demonstration sind auch einige Rechtsradikale mit entsprechenden Szene-Klamotten zu sehen.

Allerdings sind es deutlich weniger Demonstranten als noch vor einem Monat. Am Jahrestag des Mauerfalls, am 9. November, strömten damals rund 4.000 Ramelow-Gegner zum Erfurter Dom. Unter die Kerzen- mischten sich damals Fackelträger: Vor das Gedenken an die DDR schoben sich schlimme Erinnerungen an den 9. November 1938, die Reichspogromnacht. Den Verantwortlichen war ihr erinnerungsschwangerer Protest entglitten. "Deshalb haben wir heute Fackeln verboten und sind froh, dass sich keiner von denen blicken lässt", sagt Matthias Büchner. Er war als Sprecher des Neuen Forums ein Regimegegner und ist entschiedener Ramelow-Gegner.

"Wahl von Ramelow trotzdem akzeptieren"

Ein so sichtbarer öffentlicher Protest gegen die Kür eines Ministerpräsidenten in einem demokratisch gewählten Landtag ist neu. Dass eine Abstimmung so polarisiert, ist einmalig. Kein Vergleich zum Frühjahr 2011, als mit Winfried Kretschmann ein Grüner die schwarze Hochburg Baden-Württemberg einnahm. In Thüringen kann man an diesem Abend den Eindruck haben, das Land stehe vor dem Untergang. Allerdings sagt Demo-Leiter Ratz: "Wir werden die mögliche Wahl von Ramelow trotzdem akzeptieren."

Zu Beginn der Veranstaltung gedenken die Teilnehmer in einem stillen Gebet den Opfern der SED-Diktatur. Der Ex-Bürgerrechtler Büchner erinnert an die Besetzung der Stasi-Zentrale in Erfurt auf den Tag genau vor 25 Jahren: "Und am 05.12.2014 wollen die Stasi-Spitzel zurück in den Landtag", heißt es in einem Aufruf zur Demo.

Aber hat der Protest Auswirkungen auf die Wahl? Muss sich Ramelow deshalb Sorgen machen? Wackelt die Wahl? Knapp wird es ohnehin: Zwar haben alle drei Parteien dem Koalitionsvertrag nach wochenlangen Verhandlungen mit großer Mehrheit zugestimmt - aber das rot-rot-grüne Bündnis hat im Landtag nur eine Stimme Mehrheit.

Einige der Demonstranten vor dem Landtag hoffen, ein Abgeordneter des Bündnisses könnte Ramelow die Stimme verweigern. "Ich stehe im Kontakt mit einigen SPDlern und ich weiß, dass Ramelow zittern muss", sagt Büchner. In einem offenen Brief appelliert er an SPD und Grüne, nicht "Erfüllungsgehilfen einer Partei zu werden, die immer noch rechtsidentisch mit der SED ist".

Sollte Ramelow gewählt werden, wird es schwer genug mit dem Regieren. Vielleicht wird er manchen seiner Gegner überzeugen können, dass er kein Wiedergänger der SED ist. Aber bei manchen, das zeigt die Demonstration, wird er ohnehin nicht durchdringen.

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