Thüringer Paritätsgesetz gescheitert Doch kein Vorbild

Als zweites Bundesland hatte das rot-rot-grün regierte Thüringen letztes Jahr ein Paritätsgesetz verabschiedet. Die AfD klagte dagegen vor dem Landesverfassungsgericht - und bekam recht. Und nun?
Demonstration des Landesfrauenrats während der Verhandlung vor dem Thüringer Landesverfassungsgericht im Mai: "Parité tut nicht weh"

Demonstration des Landesfrauenrats während der Verhandlung vor dem Thüringer Landesverfassungsgericht im Mai: "Parité tut nicht weh"

Foto: Martin Schutt/ dpa

Im vergangenen Jahr schafften zwei Bundesländer im Osten etwas, wovon der Bundestag noch weit entfernt ist : Brandenburg und Thüringen verabschiedeten nacheinander ein Paritätsgesetz. Künftig sollten nur solche Wahllisten zu den Landtagswahlen zugelassen werden, auf denen Männer und Frauen abwechselnd zur Abstimmung stehen. Vorerst waren sie Vorbilder.

Dagegen stellte sich vor allem jene Partei, die bundesweit die wenigsten weiblichen Mitglieder hat - und damit nach eigener Auffassung das größte Problem, Frauen für Wahlen aufzustellen. Die AfD klagte vor den Landesverfassungsgerichten in Brandenburg und Thüringen.

In Thüringen hatte sie damit nun Erfolg. Das Landesverfassungsgericht entschied an diesem Mittwochmorgen, die paritätischen Regelungen verstießen gegen die Landesverfassung und seien damit nichtig.

Zur Begründung führte das Gericht aus, das Gesetz beeinträchtige das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl. Die Wählerinnen und Wähler könnten durch ein Paritätsgesetz nicht mehr frei entscheiden, ob sie etwa mehr Frauen oder mehr Männer ins Parlament schicken wollten.

Nach der mehrstündigen Verhandlung im Mai hatte Silke Laskowski bereits mit diesem Urteil gerechnet. Während der Verhandlung, erzählt die Anwältin der Landesregierung, hätte sich niemand von ihrer Argumentation für das Gesetz beeindrucken lassen.

Am Ende wurde auf zwei Anträge auf Parität in der Thüringer Verfassung verwiesen, die von einer Verfassungskommission in den Neunzigerjahren abgelehnt worden waren. Laskowski überrascht das: Eine historische Argumentation, sagt sie, sei vor Gericht eigentlich eher selten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Kassel für ein Paritätsgesetz kämpft. Laskowski hat an den Gesetzen in Brandenburg und Thüringen mitgewirkt, vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof vertrat sie 2018 eine Klage für ein Paritätsgesetz. Auch damals verlor sie.

Gegen ein Paritätsgesetz werden, wie an diesem Mittwoch, im Wesentlichen stets zwei Argumente vorgebracht:

  • Es beeinflusse die Freiheit der Wahl.

  • Es beeinflusse die Freiheit der Parteien.

Damit, so die Begründung der Gegner, sei ein solches Gesetz verfassungswidrig.

Ist das Paritätsgesetz verfassungskonform?

Kritiker sehen im Paritätsgesetz eine Einschränkung der Freiheit der Wahl. Laut Ar­ti­kel 38, Ab­satz 1 Grund­ge­set­z sind Wahlen all­ge­mein, frei, gleich, un­mit­tel­bar und ge­heim. Dazu gehört auch das freie Wahl­vor­schlags­recht, gegen das staatliche Eingriffe wie eine paritätische Listenaufstellung laut Kritikern verstoßen.

Be­für­wor­ter des Paritätsgesetzes be­ru­fen sich hingegen auf Ar­ti­kel 3, Ab­satz 2 Grundgesetz. Hier verpflichtet sich der Staat zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Entscheidung am Landesverfassungsgericht Thüringen könnte wegweisend für Gesetzesinitiativen in anderen Bundesländern sein.

Als erstes Bundesland hatte Brandenburg ein Paritätsgesetz beschlossen. Auch hier liegen dem Landesverfassungsgericht Beschwerden vor - unter anderem von der Piratenpartei und der NPD.

Laskowski sieht es umgekehrt. Sie ist der Überzeugung, dass Parität durch das Grundgesetz sogar geboten ist. Schließlich heißt es dort in Artikel 3, Absatz 2, dass der Staat aktiv auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinwirken soll.

Ehemalige Bundesverfassungsrichterinnen von Urteil enttäuscht

Damit ist Laskowski nicht allein. Auch die beiden ehemaligen Richterinnen des Bundesverfassungsgerichts Christine Hohmann-Dennhardt und Renate Jaeger sehen ein Paritätsgesetz durch die Verfassung gestattet. Beide sind von der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts enttäuscht.

Gleichstellung, schrieb Jaeger in einer Pressemitteilung, lasse sich nur schwer durch die aufwendige, kleinteilige Beseitigung vielfältiger Hindernisse erreichen. "Ebenfalls zulässig - und effektiver - ist jedoch der rechtliche Zwang zur Durchsetzung der Gleichstellung im Ergebnis." Die Gegner von Frauenquoten hielten diese Ergebnisorientierung für unvereinbar mit Freiheit und Demokratie. "Dem Grundgesetz ist indessen ein solcher Widerspruch fremd." 

Laskowski findet, mit dem Urteil ignoriere das Gericht eine faktische Benachteiligung von Kandidatinnen bei der Nominierung der meisten Parteien. Ihre Argumentation: Abgeordnete repräsentieren nicht die eigenen Parteiangehörigen, sie vertreten die Bürgerinnen und Bürger Thüringens.

Und das Volk bestehe nun mal aus Männern und Frauen.

Die Anwältin fürchtet nun, dass das Urteil einen Trend auslösen könnte: "Wenn eine solche Entscheidung erst mal in der Welt ist, möchte niemand eine Entscheidung treffen, die vom Mainstream abweicht, weil man sich womöglich dadurch blamieren könnte." Doch das Gesetz in Brandenburg ist anders geschrieben. Das Gericht könnte anders entscheiden. Im August wird dort verhandelt.

Laskowski will vor dem Bundesverfassungsgericht klagen

Nach der Niederlage in Thüringen will Laskowski mit dem Paritätsgesetz vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Klagen könnten die Landesregierung, die Parteien oder die Wähler. Eine Entscheidung in Karlsruhe könnte nicht nur eine Signalwirkung für die Paritätsgesetze in Thüringen, Brandenburg und all die anderen Bundesländer haben, die gerade an einem ähnlichen Gesetz arbeiten.

Sie könnte sich auch auf ein ähnliches Vorhaben auf Bundesebene auswirken.

Zuletzt hatten Frauen aller Bundestagsfraktionen außer der AfD über ein solches Vorhaben beraten. Sie wollten gemeinsam eine Kommission einsetzen, die die Möglichkeiten eines entsprechenden Gesetzes prüfen sollte. Nach der parlamentarischen Sommerpause will die Grünenfraktion den Vorschlag in einem Ausschuss beraten lassen. Auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) arbeitet an einem Vorschlag - gemeinsam mit Laskowski, Jäger, Hohmann-Dennhardt und anderen Anwältinnen.

Weniger Frauen bei Landtagswahlen im Osten

Wie wichtig ein Paritätsgesetz für die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen und Männern an der Politik gerade im Osten ist, haben die letzten Landtagswahlen gezeigt. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg zogen weniger Frauen in die Länderparlamente ein als zuvor.

Einer der Gründe dafür ist, dass die AfD in diesen Bundesländern zulegte. Ein anderer, dass die CDU nur wenige weibliche Direktkandidaten hat - aber vorwiegend Direktmandate gewinnt. Eine quotierte Liste, wie sie die CDU in Sachsen oder Thüringen vornahm, hat für den Frauenanteil in der Fraktion deshalb nur geringfügige bis gar keine Auswirkungen.

In Bundesländern, in denen Parteien gewannen, die interne Quoten für Frauen vereinbart haben, stiegen dagegen die Zahlen der Parlamentarierinnen. Das rot-grün geführte Hamburg ist derzeit das Bundesland mit den meisten Frauen im Parlament - und hat somit Thüringen an Platz eins abgelöst.

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