Im Osten hilflos gegen die AfD Zusammen sind wir schwach

Thüringens neuer Landtag hat sich konstituiert, damit ist der Wahlmarathon im Osten abgeschlossen. Was immer gegen die AfD unternommen wurde - es fruchtet nicht. Fünf Erkenntnisse aus den drei Wahlen in ostdeutschen Bundesländern.
Ost-Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel und Berlins Regierendem Bürgermeister Müller sowie Ostbeauftragtem Hirte

Ost-Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel und Berlins Regierendem Bürgermeister Müller sowie Ostbeauftragtem Hirte

Foto: DPA / Martin Schutt

Die neuen politischen Zustände in Thüringen zeigen sich an diesem Dienstag in der Zusammensetzung des Landtagspräsidiums. Die konstituierende Sitzung eröffnet ein AfD-Abgeordneter als Alterspräsident, in der Folge wird eine Linke zur Landtagspräsidentin gewählt, erstmals in Deutschland. Ein AfD-Kandidat für den Vizeposten wird abgelehnt, ein CDU-Politiker mit SED-Vergangenheit erhält eine große Mehrheit.

Und eine Regierungsbildung ? In Thüringen weiterhin nicht in Sicht. Keine Mehrheit für niemanden. CDU und FDP schließen Kooperationen mit Linken oder AfD aus. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass dieser Landtag bis zu den regulären Neuwahlen in fünf Jahren zusammenbleibt.

Thüringen mit seinem komplizierten Wahlergebnis ist das letzte der drei Ost-Länder, die in diesem Jahr gewählt haben. In Brandenburg hat sich mittlerweile eine Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen gegen die AfD gebildet, in Sachsen läuft ebenfalls alles auf eine solche Konstellation hinaus. Die noch weiter nach rechts gerückten Rechtspopulisten  stellen in allen drei Landesparlamenten starke Blockadeblöcke von rund einem Viertel der Sitze.

Was folgt daraus? Was sind die Lehren aus den Ost-Wahlen 2019?

1. Der Osten ist gespalten zwischen AfD und allen anderen

Viel verbindet die drei Bundesländer, die in diesem Jahr gewählt haben: die DDR-Vergangenheit und die Entwicklung danach - in der Demografie, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Land. Auch das starke Abschneiden der AfD mit fast einem Viertel der Wähler haben die Bundesländer gemein.

Zwar stellen in den drei Ländern auch nach den Wahlen 2019 drei unterschiedliche Parteien den Regierungschef: die SPD in Brandenburg, die CDU in Sachsen und die Linke geschäftsführend in Thüringen. Doch ist das Muster überall gleich: Die amtierenden Regierungschefs haben sich durchgesetzt.

Das lag vor allem an der Polarisierung des Wahlkampfs durch die Rechtspopulisten. Entscheidend wird nun sein, dass die Lager jenseits der AfD wieder sichtbarer werden. Wenn Bodo Ramelow beispielsweise auf die Angriffe seines CDU-Gegenkandidaten Mike Mohring im Wahlkampf überhaupt nicht einging, mag das wahltaktisch klug gewesen sein; der Demokratie tat er damit allerdings keinen Gefallen.

Deshalb ist es auch richtig, dass sich FDP und CDU nicht so einfach als Mehrheitsbeschaffer für eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen hergegeben haben.

Und deshalb ist es auch richtig, dass sich Grüne und CDU im sächsischen Wahlkampf nicht mit Samthandschuhen angefasst haben. Oder dass die Grünen und die CDU in Sachsen-Anhalt regelmäßig heftig aneinandergeraten. Man will ja jeweils eine andere Politik durchsetzen, die Bevölkerung hat die Wahl.

Die AfD ist nicht die Alternative, die sie in ihrem Parteinamen zu sein vortäuscht. Das müssen die anderen Parteien wieder und wieder beweisen.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke

Foto: Monika Skolimowska/dpa

2. Gegen die AfD ist noch immer kein Kraut gewachsen

Ausgrenzen, beschimpfen, ignorieren, tolerieren, einbinden, argumentativ zerlegen, kopieren, um der AfD Paroli zu bieten - in den drei Ost-Wahlkämpfen konnte man das alles beobachten. Ein Durchbruch gelang mit keiner dieser Strategien.

Es ist, als hätte die AfD einen Cheat wie in einem Computerspiel gefunden, der sie immer weiterwachsen lässt. Zu jedem großen Thema, sei es der Euro, die Migration oder nun das Klima, liefert die AfD ein Untergangsszenario. Die AfD macht den Menschen Angst - und wird dafür gewählt.

So zeigen die drei Landtagswahlen auch: Die anderen Parteien allein werden es nicht schaffen, daran etwas zu ändern.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow

Foto: DPA / Martin Schutt

3. Die AfD nimmt keine Entwicklung wie die Grünen, die Piraten oder die Linken

Einstimmig wählte die AfD-Landtagsfraktion in Thüringen Björn Höcke nach der Wahl wieder zu ihrem Vorsitzenden. Sie wollen Höcke, einen Rechtsradikalen. Auch in Brandenburg und Sachsen sitzen die Anhänger des völkischen "Flügel"-Netzwerks innerhalb der AfD in den Parlamenten. Immer wieder gab es neue Parteien in der Bundesrepublik, die sich zerstritten wie die Piraten, spalteten wie die Republikaner, oder die einen sachten Weg in die Mitte fanden, wie die Linken und die Grünen.

In den drei Landtagswahlen ließ sich bei der AfD nichts davon beobachten. Kein Streit, keine Spaltung, keine Deradikalisierung. Geradezu widerstandlos marschieren die Landesverbände immer weiter nach rechts und werden dennoch gewählt - oder gerade deshalb.

An eine wie auch immer seit Jahren erdachte Entzauberung in Verantwortung ist bei der AfD immer weniger zu denken. Stattdessen ist zu beobachten, dass sie sich auch als Rechtsaußen-Partei immer weiter etabliert: Wenn in Brandenburg der AfD-Parlamentsvize bei seiner Wahl mit strahlendem Gesicht von einer SPD-Politikerin einen Blumenstrauß überreicht bekommt. Oder wenn AfD-Politiker zu CDU-Wahlkampfveranstaltungen mit Hans-Georg Maaßen ziehen und man ins Plaudern kommt. Wenn in den Kommunen selbst von den Grünen aufgestellte Kandidaten mit der AfD eine Fraktion bilden.

4. Der politische Streit verlagert sich in die Hinterzimmer

Es gibt so viel zu streiten. Darüber, wie man die Klimapolitik gestaltet, wie Integration gelingen kann, wie der ländliche Raum in Zukunft aussehen soll oder wie der Fachkräftemangel in der Pflege gemeistert wird. Was ist mit der Unterbesetzung in Schulen und Polizeirevieren, der Finanzierung des Gemeinwesens, den wuchernden Mieten und fehlenden Kitaplätzen in den Großstädten? Und wie gehen wir mit der Gewalt von Rechts- und Linksextremen um?

Konstruktive Auseinandersetzungen in der Sache zwischen CDU, FDP, Grünen, Linken und SPD finden nun bei den Koalitionsverhandlungen aber hinter verschlossenen Türen statt.

Zum Beispiel in Sachsen, wo sich CDU und Grüne uneinig sind, wie mit Vollverschleierung im öffentlichen Raum umzugehen ist. Es sind Debatten, die in eben diesen öffentlichen Raum gehören, in die Parlamente. Ausklamüsert werden bei diesen Streitfragen nun Kompromisse unter Koalitionspartnern. Klare Entscheidungen werden schwieriger bis gar nicht mehr umsetzbar. Davon wiederum droht die AfD zu profitieren.

Wahlkampfabschluss der Thüringer AfD in Erfurt

Wahlkampfabschluss der Thüringer AfD in Erfurt

Foto: DPA / Martin Schutt

5. Die Arbeit des Parlaments wird wichtiger

Um sich vor Augen zu führen, wie die gestärkte AfD mit ihrer Oppositionsrolle umgeht, braucht es nicht mal einen Blick nach Berlin, es reicht ins nahe gelegene Magdeburg zu schauen.

In Sachsen-Anhalt ist die AfD seit 2016 stärkste Oppositionskraft. Als dort der CDU-Innenminister Holger Stahlknecht nach dem Attentat in Halle kürzlich im Innenausschuss befragt wurde, wollte ein AfD-Abgeordneter wissen, welchen Migrationshintergrund der Täter habe. Er spielte damit auf eine abstruse Verschwörungstheorie an, die im Internet herumgeistert. In Thüringen fragte die AfD einst, wie viele Schwulen und Lesben es im Bundesland gebe. Die Staatskanzlei antwortete, solche Zahlen würden nicht erfasst.

Salopp gesagt: Die AfD befördert Unmengen Unsinn ins Parlament. Das kostet vor allem viel Zeit, blockiert die Arbeit. Jeden Kieselstein müsste die Opposition bei den Sicherheitsbehörden umdrehen nach einem Attentat wie in Halle. Doch die echte Opposition - die Linken in Sachsen und Brandenburg, gegenwärtig CDU und FDP in Thüringen - ist durch die AfD-Erfolge kleiner geworden.

In Sachsen-Anhalt will die AfD jetzt einen Untersuchungsausschuss zum Attentat in Halle, es ist der siebte in dem Bundesland, der von der AfD eingesetzt wird. Die parlamentarischen Möglichkeiten der Befragung hat sie nicht genutzt - setzt stattdessen mit ihren unsinnigen Fragen die Parlamente und Behörden nicht unter Druck, sondern lähmt sie.

Einerseits werden Fachpolitiker der anderen Fraktionen durch die AfD-Erfolge aus den Parlamenten gedrängt, andererseits werden ursprünglich gegnerische Parteien aus staatspolitischer Verantwortung gemeinsam in die Regierung gezwungen.

Umso wichtiger wird die Arbeit der Abgeordneten der Regierungsfraktionen, sie müssen ihre eigenen Minister künftig stärker kontrollieren. Für viele wird das Neuland sein.

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