Flüchtlings-Sonderzüge nach Thüringen Plötzlich Hermsdorf

In "Zügen der Hoffnung" kamen die Flüchtlinge in Bayern an. Von dort werden sie weitergeschickt - nach Thüringen zum Beispiel. Dort ist der Empfang nicht so euphorisch wie etwa in München.
Von Gesa Mayr
Abdalrhmman (l.) und Mahmoud aus Syrien: Das Wenige, das sie hatten, ging auf der Flucht verloren

Abdalrhmman (l.) und Mahmoud aus Syrien: Das Wenige, das sie hatten, ging auf der Flucht verloren

Foto: SPIEGEL ONLINE

Seit 55 Tagen sind sie unterwegs, sie sind müde, sie haben Angst, aber sie wollen jetzt ihre Geschichte erzählen, die Geschichte, wie sie fast ihr Leben verloren.

Abdalrhmman, 25, und Mahmoud, 26, Cousins aus Damaskus, sind aus Syrien geflüchtet. Nun sitzen sie in einer Notunterkunft für Flüchtlinge im thüringischen Saalfeld. Sie tragen Kapuzen-Pullis, die ihnen nicht gehören und schlafen neben Menschen, die sie nicht kennen. Trotzdem sagen beide, im Vergleich zu den vergangenen zwei Monaten sei das hier - die Lagerhalle im Industriegebiet, die Pritschen, die Duschen im Freien - wie im Hotel.

Sie erzählen. Abdalrhmman, der VWL-Student, verließ Damaskus, als das Haus seiner Eltern zerstört wurde, Mahmoud, der einen Abschluss in Betriebswirtschaft hat, nachdem ihn Unbekannte entführten und zusammenschlugen.

Sie liefen zur jordanischen Grenze, dort trafen sie Schlepper, die sie auf ein Boot brachten. Immer wieder zeigen sie mit der Hand die Bewegung, die das Schiff machte. Es sank. 20 Minuten schwammen sie um ihr Leben irgendwo vor der türkischen Küste. Etwa 40 Leute seien an Bord gewesen - Kinder, Frauen, junge Männer wie sie. Wo die jetzt sind? Sie wissen es nicht. Abdalrhmman und Mahmoud retteten sich auf Felsen vor der Küste, dort harrten sie aus. Vier Stunden, vielleicht fünf. Dann kamen türkische Rettungskräfte.

Weiter ging es für sie nach Serbien, dann nach Ungarn. Wie so viele Syrer wollten die beiden nach Deutschland. "Es ist das beste Land in der EU", sagt Mahmoud. "Die Menschen sind freundlich." Er will hier den Master machen, sein Cousin will sein Studium beenden.

Fast 20.000 Flüchtlinge sind mit Sonderzügen allein am Wochenende über Ungarn nach München gekommen. Von dort wurden sie teilweise weitergeschickt, nach Dortmund, nach Bremen, nach Frankfurt. In vielen dieser Städte warteten an den Bahnhöfen Menschen, um die Flüchtlinge aus den "Zügen der Hoffnung" zu begrüßen. Es gab Decken, Essen, Spielzeug für die Ankommenden. Vor allem gab es freundliche Worte. "Willkommen in Deutschland."

Auch in Saalfeld gab es Leute, die am Samstagabend 470 Flüchtlinge am Bahnhof begrüßten. Es war dort vielleicht nicht ganz so selbstverständlich. Es gehört Mut dazu. Zu oft machen hier in der Region gewaltbereite Rechtsextremisten Schlagzeilen, zu oft sind Gruppen wie der mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtete "Dritte Weg" unterwegs. Auch am Sonnabend waren sie da, 43 Rechte, die am Bahnhof in Saalfeld Stimmung machten. In der Nacht zu Montag brannte eine geplante Asylbewerberunterkunft in Rockensußra.

Wenn Informationen nicht stimmen, ist das Vertrauen weg

Die Thüringer lassen sich nicht einschüchtern. Noch immer halten vor der Notunterkunft in Hermsdorf Autos von Unterstützern. Aus einem silbernen Skoda-Kombi steigt eine Frau, läuft auf die Polizisten am Tor zu, ihre kleine Tochter auf dem Beifahrersitz. Sie hat einen Beutel mit Baby-Sachen dabei, aber in Hermsdorf braucht man nichts mehr. Sie fährt deshalb weiter Richtung Eisenberg zur nächsten Unterkunft.

Nicht alle Thüringer reagieren so, und nicht immer ist es möglich, die weniger verständnisvollen Bürger wochenlang vorher auf die Flüchtlinge vorzubereiten. Von den Sonderzügen erfuhr man in Saalfeld wenige Stunden vor deren Ankunft. Das Ergebnis ist manchmal Unmut. Taxifahrer nörgeln über gesperrte Bahnhöfe, Lokalpolitiker ärgern sich, dass sie angeblich übergangen wurden. Ein CDU-Landrat versuchte noch am Freitag per einstweiliger Unterlassungsverfügung eine Notunterkunft in der Lagerhalle zu verhindern.

Es ist vor allem dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und den vielen Freiwilligen zu verdanken, dass trotzdem für alle 249 Flüchtlinge Platz ist. Die Halle, die Baugerüste, die Planen - das haben sie hier selbst organisiert.

"Wo kommen wir jetzt hin?" Das ist die Frage, die Manar Hafez in der Notunterkunft in Hermsdorf am häufigsten hört. Sie ist Dolmetscherin beim DRK, kommt aus Ägypten und lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Sie muss vorsichtig sein, was sie auf diese Frage antwortet. Gerüchte verbreiten sich schnell in der Halle. Wenn die Informationen nicht stimmen, ist das Vertrauen weg. "Wo kommen wir jetzt hin?" Meist hat sie keine Antwort darauf.

Eines der Gerüchte, das sich hier in der Halle verbreitet hat: Hier mag man keine Syrer. Man solle bloß nicht nach draußen gehen, das sei unter Umständen gefährlich. Die beiden Cousins aus Damaskus wollen das nicht so recht glauben. Sie haben die Menschen gesehen, die am Bahnhof in Saalfeld standen, ihnen Essenspakete reichten und sangen: "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here." Abdalrhmman und Mahmoud sind dennoch verunsichert, die beiden Cousins wollen nun vielleicht doch lieber nach München oder Dortmund.

Gegen Mittag hat Manar Hafez, die Dolmetscherin, eine Antwort für die Flüchtlinge in Hermsdorf: Es würden vier Busse kommen und sie nach Mühlhausen in eine richtige Unterkunft bringen. Richtige Unterkunft heißt in dem Fall: eine alte Kaserne etwa zwei Autostunden entfernt. Es ist schnell gepackt. Kaum jemand hat auf der Flucht etwas mitnehmen können. Das Wenige, das sie hatten, ging verloren. Auch Abdalrhmman und Mahmoud haben nichts mehr. Ihre Pässe, die Smartphones, die Fotos - sie sind irgendwo im Meer vor der Türkei.

Doch kurze Zeit später ist schon wieder alles anders: In Mühlhausen sind inzwischen andere Migranten untergebracht worden, für die Flüchtlinge von Hermsdorf ist kein Platz mehr. Die Busse fahren vom Hof.

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