Podcast "Stimmenfang" Die AfD, die Moschee und der Thüringen-Wahlkampf
Der erste Moscheeneubau in Ostdeutschland entsteht in einem Erfurter Industriegebiet, zwischen Feuerwehrwache und Kfz-Werkstatt. Seit drei Jahren gibt es Proteste gegen das Bauprojekt. Immer wieder musste der Bau gestoppt werden, weil Unternehmen nicht mit der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde zusammenarbeiten wollten.
Wie schwer ist es, in Ostdeutschland eine Moschee zu bauen? Darum geht es in der neuen Stimmenfang-Folge. Dafür sind wir nach Thüringen gefahren und haben mit den Beteiligten gesprochen - Befürwortern und Gegnern der Moschee.
Außerdem treffen wir die Historikerin Yasemin Shooman, die sich mit dem Thema Islamfeindlichkeit beschäftigt, und reden mit unserem SPIEGEL-Kollegen Peter Maxwill, der den Fall der Ahmadiyya-Moschee in Erfurt-Marbach schon seit einigen Jahren beobachtet.
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[00:00:02] Matthias Kirsch Willkommen zu Stimmenfang, dem Politik-Podcast vom SPIEGEL. Ich bin Matthias Kirsch.
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[00:00:52] Einspieler "Weg damit! Abreißen den Dreck!" - "Bald kommt eine Ladung Schweineköpfe!" - "Sofort den Bau sabotieren!" - "Als Grundstein, bitte, eine Splitterbombe!" - "Reißt die Hütte ab!" - "Wenn in Thüringen dann die richtige Partei regiert, bist du ganz schnell wieder in deinem Muselland und die Moschee wird wieder abgerissen!"
[00:01:06] Matthias Kirsch So wird es in den sozialen Medien gehetzt, nur weil in Thüringen eine Moschee gebaut wird. Größtenteils mit Klarnamen, hinterlassen Moschee-Gegner Kommentare wie diese auf der Facebook-Pinnwand der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt. Dabei ist das Vorhaben, im Erfurter Stadtteil Marbach eine Moschee zu bauen, überhaupt nicht neu. Seit über drei Jahren wird schon gestritten, aber jetzt, im thüringischen Wahlkampf, kocht das Thema vor allem in den sozialen Medien wieder auf. Die Landtagswahl verschärft die Debatte wie unter einem Brennglas.
[00:01:35] Suleman Malik Wir sind jetzt direkt hier auf dem zukünftigen Moscheegrundstück, Baugelände, wo die Moschee gebaut wird.
[00:01:43] Matthias Kirsch Das ist Suleman Malik. Er ist der Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt, und er vertritt dort rund 70 Gemeindemitglieder. Schon vor ein paar Monaten hat meine Kollegin Sandra Sperber ihn vor Ort besucht.
[00:01:55] Sandra Sperber Es fühlt sich ziemlich nach Stadtrand an und sieht vor allem nach einem Industriegebiet aus.
[00:01:59] Suleman Malik Es ist auf jeden Fall ein Gewerbegebiet. Aber wir haben ein Grundstück, welche Gewerbe und Mischgebiet ist.
[00:02:10] Matthias Kirsch Wie schwer es ist, die erste neue Moschee in Ostdeutschland zu bauen und wie vor allem die AfD versucht, dieses Thema zu instrumentalisieren - darum geht es in dieser Folge von Stimmenfang. Dafür reden wir mit Menschen, die für oder gegen den Moscheebau sind, mit Suleman Malik zum Beispiel, den wir schon gehört haben, aber auch mit Stefan Möller, einem der Landessprecher der AfD Thüringen. Wir treffen außerdem eine Forscherin, die sich mit dem Thema Islamfeindlichkeit beschäftigt. Und ich spreche mit meinem Kollegen Peter Maxwell, der den Konflikt um die Moschee in Erfurt schon länger beobachtet.
[00:02:46] Björn Höcke (AfD) AfD - nein zur Moschee!
[00:02:46] Matthias Kirsch April 2016. Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch nicht einmal ein Grundstück für die zukünftige Moschee. Aber Björn Höcke, der damals schon Landessprecher der AfD in Thüringen ist, macht klar: Eine Moschee in Thüringen? Auf keinen Fall!
[00:03:03] Björn Höcke (AfD) Der Islam, der Islam hat seine Heimat, und diese Heimat heißt nicht Erfurt, diese Heimat heißt nicht Thüringen und diese Heimat heißt nicht Deutschland!
[00:03:18] Matthias Kirsch Und Teile der Bevölkerung in Erfurt sehen das damals, also lange bevor der Grundstein für die Moschee überhaupt gelegt wird, schon genauso.
[00:03:26] Moschee-Gegner In Marbach kann sich keiner mit dem Islam identifizieren. Wir Deutschen wollen uns nicht identifizieren. Ich sehe erstmal überhaupt nicht ein, dass Deutschland islamisiert und überfremdet wird. Und ich sehe nicht ein, dass wir einfach fremde Völker, fremde Kulturen aufgezwungen kriegen ohne Volksentscheide. Das geht einfach nicht. Eine Moschee hat in Deutschland nichts verloren.
[00:03:47] Matthias Kirsch Das ist also die Ausgangslage, kurz nachdem die Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt erstmals laut darüber nachgedacht hat, eine Moschee zu bauen. Hier ist wieder Suleman Malik, der Gemeinde Sprecher.
[00:03:58] Suleman Malik Ja, wir haben im April 2016 Bauvoranfrage tatsächlich für einen anderes Grundstück gestellt. Allerdings hat sich der Nachbar des Grundstücks verweigert, eine Einvernehmenserklärung zu unterschreiben, welche wichtig war, um auf einer Fläche zu bauen, welche Grünfläche war. Und damit mussten wir das aufgeben, weil der Nachbar nicht mitmachen wollte.
[00:04:22] Matthias Kirsch Es ist also eine schwierige Suche nach einem geeigneten Baugrundstücke - aber gut: das ist ja für die meisten anderen Bauherren auch so.
[00:04:30] Suleman Malik Zufällig haben wir dann dieses Angebot im Internet gefunden und haben vom Anbieter dann dieses Grundstück erworben. Und im März 2017 haben wir dann den Bauantrag für dieses Grundstück gestellt.
[00:04:44] Matthias Kirsch Danach beginnen ziemlich schnell ziemlich extreme Proteste gegen den geplanten Bau.
[00:04:49] Suleman Malik Zwischendurch gab es viele Protestaktionen, es gab eine Petition gegen diesen Moscheebau. Dann gab es im März einen Angriff auf dem Gelände, wo Unbekannte Körperteile von Schweinen verteilt haben auf diesem Gelände. Überall waren Schweinsköpfe zu sehen, ja auf dem Spieß sozusagen angedockt in der Erde. Danach gab es - unmittelbar nach dieser Aktion - gab es eine Kreuz-Aktion. Da hat die identitäre Bewegung und "Ein Prozent" in Zusammenarbeit mit der AfD elf Meter hohe Kreuze auf dem Gelände hingestellt.
[00:05:28] Sandra Sperber Hier auf dem Nachbargelände?
[00:05:28] Suleman Malik Auf dem Nachbargelände. Es sah wie ein Friedhof aus.
[00:05:33] Matthias Kirsch All diese Aktionen sind ein klares Zeichen: Da wollen Leute nicht, dass diese Moschee gebaut wird. Aber wer ist diese Ahmadiyya-Gemeinde überhaupt, die mit ihrem Bauprojekt für so viel Wut sorgt? Denn obwohl Mitglieder dieser muslimischen Gemeinschaft schon seit mehr als hundert Jahren in Deutschland leben, ist über sie wenig bekannt. Said Ahmed Arif ist Imam der Ahmadiyya-Gemeinde und er erklärt:
[00:05:54] Said Ahmed Arif Das ist so ähnlich wie der Unterschied zwischen Juden und Christen, dass die Juden noch auf den Messias warten und die Christen glauben, der ist schon erschienen in Form von Jesus. Und der Unterschied hier ist, dass wir glauben, dass er schon erschienen ist, also die Wiederkunft von Jesus. Und das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen uns und anderen Gruppierungen im Islam. Die anderen Strömungen oder Richtungen, die warten noch auf die Erfüllung dieser Prophezeiung.
[00:06:18] Matthias Kirsch In einigen muslimischen Ländern werden Mitglieder der Ahmadiyya deswegen verfolgt. Auch darum sind Anhänger der Gemeinde nach Deutschland gekommen und haben 1925 ihre erste Moschee eröffnet, damals im Berliner Stadtteil Wilmersdorf. Heute, also knapp 95 Jahre später, ist der Bau der Ahmadiyya-Moschee in Erfurt ein bisschen komplizierter. Denn von Beginn an gibt es, wie gesagt, Widerstand gegen die geplante Moschee. Und für Suleman Malik ist ziemlich klar, wer dahinter steckt.
[00:06:46] Suleman Malik Zu diesen Aktionen gab es strafrechtlich relevante Äußerungen, auch im Internet, wo Menschen gesagt haben: "Baut eure Moschee doch in Buchenwald", ja oder - auch gegenüber Gemeindemitglieder - dass man den ans Kreuz hängen soll und Schweineblut auf denen gießen soll. Also solche Äußerungen gab es auch, und die AfD hat sich von diesen Aktionen nicht distanziert, sondern tatkräftig mitunterstützt.
[00:07:11] Matthias Kirsch Mischt die AfD also wirklich bei Aktionen mit, die die Grenzen der freien Meinungsäußerung weit überschreiten? Ein AfD-Politiker, der sich stark gegen den Bau der Moschee in Erfurt eingesetzt hat, ist Stefan Möller. Über die Anti-Moschee-Petition, die Suleman Malik angesprochen hat, sagt Möller:
[00:07:28] Stefan Möller (AfD) Das haben wir natürlich auch nach Kräften unterstützt. Schon beim Sammeln der Unterschriften haben wir das gemacht. Und wir haben auch Schützenhilfe geleistet dann bei der Anhörung. Das ist klar. Wir verstehen uns da natürlich auch ein bisschen als Schutzmacht derer, die das Problem erkannt haben, hier in Thüringen, und die gegen den sehr, sehr starken politischen Mainstream diese Ansicht vertreten und dabei natürlich auch mit Repressionen rechnen müssen.
[00:07:57] Matthias Kirsch Stefan Möller ist einer der beiden Landessprecher der AfD in Thüringen. Der andere ist Björn Höcke. Und auch der hat sich von Anfang an gegen den Moscheebau in Erfurt eingesetzt. Über den Islam als Religion, sagt Höcke übrigens solche Sätze:
[00:08:10] Björn Höcke (AfD) Entweder passt sich der Islam in Europa und in Deutschland unseren rechtsstaatlichen Normen, unseren Sitten, Werten und Normen an. Oder er muss verabschiedet werden.
[00:08:21] Matthias Kirsch Die Position der AfD gegenüber dem Islam ist ziemlich eindeutig. Mit Religionsfreiheit - immerhin verankert in Artikel 4 des Grundgesetzes - hat das nicht wirklich viel zu tun. Im aktuellen Wahlprogramm der AfD zur Landtagswahl in Thüringen steht auch zum Beispiel - Zitat -:.
[00:08:37] Wahlprogramm AfD Thüringen "Nach Überzeugung der AfD ist der Islam als politische Religion mit zentralen Regeln unseres säkularen Verfassungsstaates nicht vereinbar. Daher kann der Islam auch nicht zu Thüringen gehören."
[00:08:49] Matthias Kirsch - Zitat Ende. Stefan Möller, Björn Höcke und die anderen Gegner der Ahmadiyya-Moschee befürchten, dass die Präsenz dieses Gotteshauses zu einer Islamisierung beitrage. Meine Kollegin Sandra Sperber hat Stefan Müller vor Ort darauf angesprochen.
[00:09:04] Sandra Sperber Wir haben auch auf den Demos oft von Islamisierung gesprochen. Wie konkret sieht das denn aus? Das sind ja ungefähr 70 Gemeindemitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde. Wie haben Sie das Gefühl, dass die hier die Gesellschaft islamisieren?
[00:09:16] Stefan Möller (AfD) Doch, ist doch absehbar. Wir befinden uns momentan am Anfang eines Prozesses, den man, wenn man nicht frühzeitig entsprechende Schranken einzieht, Barrieren einzieht, der eine Entwicklung nimmt, die eben dann zu einer sogenannten Islamisierung oder jedenfalls deutlichen Veränderungen unter religiösen Aspekten führt.
[00:09:39] Sandra Sperber Aber haben Sie ernsthaft Sorge, dass diese 70 Mitglieder, die hier eine Moschee bauen, die Gesellschaft dahingehend in Erfurt, die Mehrheitsgesellschaft verändern?
[00:09:47] Stefan Möller (AfD) Ja, alles fängt mal klein an.
[00:09:50] Matthias Kirsch Für Stefan Möller sind die Anhänger der Ahmadiyya-Gemeinde also nicht etwa harmlose Gläubige, sondern Anhänger einer gefährlichen Sekte.
[00:09:58] Stefan Möller (AfD) Nun ist es relativ typisch, dass sie nach außen ein sehr fortschrittliches, liberales, für sich werbendes Verständnis projizieren - im Innenleben, in der religiösen Praxis, in der Praxis der Gemeinschaftsarbeit ein ganz anderes Selbstverständnis leben. Und so ist es eben auch bei dieser Sekte.
[00:10:17] Matthias Kirsch An dieser Stelle sollte man verdeutlichen: Der völkisch-nationalistische Flügel der AfD, dessen Wortführer Björn Höcke ist, wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus bewertet. Die Ahmadiyya-Gemeinde hingegen wird und wurde noch nie vom Verfassungsschutz beobachtet. Außerdem ist sie in Hessen und in Hamburg Körperschaft öffentlichen Rechts, hat also dieselben Rechte wie zum Beispiel christliche Kirchen. Sie als Sekte zu bezeichnen, wie die AfD es tut, ist nicht richtig. Nichtsdestotrotz ist es aber auch wichtig zu betonen: Die Wissenschaft ist sich selbst nicht hundertprozentig einig, wie man die Gemeinde einordnen soll. Die Soziologin Necla Kelek zum Beispiel, die lange Mitglied der Islamkonferenz der Bundesregierung war, hat die Ahmadiyya im Deutschlandfunk mal als fundamentalistische Gemeinde bezeichnet, die eine sehr konservative und restriktive Religion ausübe. Aber eine Sache kann man der Ahmadiyya-Gemeinde nicht vorwerfen: Dass sie nichts dafür tue, um mit ihren Kritikern in Kontakt zu kommen.
[00:11:18] Suleman Malik Ich glaube, wir als Gemeinde fordern auch zum Dialog auf. Und das ist der einzige Weg für uns als Gemeinde, die Vorurteile und Ängste, die die AfD verbreitet, entgegenzuwirken.
[00:11:32] Matthias Kirsch Aber führt diese Mühe zu irgendetwas? Darüber hat meine Kollegin Sandra Sperber mit der Historikerin Yasemin Shooman gesprochen. Shooman ist Mitglied des Rats für Migration und der Fachkommission Integrationsfähigkeit der deutschen Bundesregierung.
[00:11:46] Sandra Sperber Was die Ahmadiyya-Gemeinde da beschreibt, was sie in Erfurt machen, ist ganz viel Dialog, rausgehen, versuchen Ängste abzubauen, Ängste zu nehmen. Hilft das denn wirklich, um diese Islamfeindlichkeit abzubauen?
[00:12:02] Yasemin Shooman Dialog ist sicherlich nie schlecht, aber es hat sozusagen Grenzen der Wirksamkeit, weil man eben doch stärker auf die Funktion, die diese Vorurteile erfüllen, schauen muss. Da können wir sagen, dass diese Ablehnung von Muslimen oder diese Muslimfeindlichkeit in der Gesellschaft zum Teil mit einer eigentlich sich vollziehenden Integration zusammenhängt. Das klingt zunächst einmal paradox, weil Muslimen ja vorgeworfen wird, gerade die mangelnde Integration. Aber wenn wir Integration als eine verstärkte gesellschaftliche Teilhabe sehen, dann können wir feststellen, dass diese auch immer Dominanzkonflikte nach sich zieht. Und das kann man zum Beispiel sehen: Die Hinterhof-Moscheen waren kein Problem. Erst in dem Moment, wo Muslime angefangen haben, Gotteshäuser zu bauen, die sie im Stadtbild sichtbare Mitglieder der Gesellschaft ausweisen - da rief das eben so heftige Abwehr hervor.
[00:12:53] Sandra Sperber Das heißt, die Gemeinde kann eigentlich gar keinen - ich sage mal - "richtigen" Weg gehen, weil umso präsenter und umso offener sie sich zeigt, sie provoziert, mehr Vorurteile hervorzurufen?
[00:13:04] Yasemin Shooman Nein, der Konsequenz kann natürlich kein Rückzug sein oder keine Strategien, das irgendwie hintenrum mit der Stadtverwaltung zu klären. Es muss trotzdem einen offenen Dialog geben. Aber es muss einfach klar sein, dass diese Vorurteile nicht nur auf realen, sozusagen Ängsten oder Unwissen beruhen, sondern dass sie eine Funktion haben; dass es darum geht, dass manche Menschen eine vielfältige, plurale Gesellschaft als Bedrohung ansehen, weil es natürlich bedeutet, dass Minderheiten mehr partizipieren und es am Ende eben auch bedeutet: Den Kuchen müssen wir alle gemeinsam teilen - und zwar gleichberechtigt.
[00:13:36] Sandra Sperber Aber ich höre da raus: Sie sehen eine direkte Verbindung zwischen Islamkritik und Rassismus, den man gewissermaßen tarnt.
[00:13:44] Yasemin Shooman Die Grenzen sind sehr fließend. Unter dieser, unter dieser Flagge der Islamkritik segeln sehr viele Menschen mit, mit Wortbeiträgen, die als eindeutig rassistisch zu klassifizieren sind.
[00:13:56] Matthias Kirsch Die Islamkritik, also auch die heftige Kritik an der Ahmadiyya-Gemeinde, ist also in ganz vielen Fällen nur getarnter Rassismus. Wie sich das vor Ort auf den Moscheebau ausgewirkt hat, konnte man zum Beispiel im vergangenen November sehen. Denn damals war der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow nach Erfurt gekommen. Auch Vertreter der anderen Glaubensgemeinschaften waren da, nämlich für die Grundsteinlegung der neuen Moschee. Im Internet gibt es Videos von dieser Grundsteinlegung. Bodo Ramelow hat eine Schaufel in der Hand. Er lächelt in die Kameras - und auf der anderen Straßenseite stehen Dutzende Gegendemonstranten.
[00:14:41] Demonstranten Es ist brandgefährlich diese Desinformation hier über die Medien unter das Volk zu streuen.
[00:14:41] Matthias Kirsch Ihre Gegenwehr ist aber nutzlos. Der Bau konnte also beginnen, und damit hätte eigentlich die Affäre um die Ahmadiyya Moschee in Erfurt vorbei sein können. Denn zumindest in der Vergangenheit war es oft so, wenn Moscheen neu gebaut wurden, wie zum Beispiel 2014 in Hessen in Friedberg - auch damals gab es Proteste vor Baubeginn -, aber danach wurde es dann ruhig. Aber wie ist es denn jetzt in Erfurt? Über den aktuellen Stand des Konflikts rede ich jetzt noch mit meinem Kollegen Peter Maxwell. Denn Peter recherchiert auch schon länger zu dieser Geschichte, und er war erst kürzlich wieder vor Ort. Hallo Peter.
[00:15:15] Peter Maxwell Hallo, grüß dich.
[00:15:16] Matthias Kirsch Peter, du hast dich ja ganz rezent nochmal mit dem Fall beschäftigt. Kannst du uns vielleicht erzählen, was die letzten Wochen und Monate auf dieser Baustelle bei diesem Bauprojekt passiert ist?
[00:15:28] Peter Maxwell Im Grunde kann man sagen: So viel ist nicht passiert, gemessen an dem, was da eigentlich hätte passieren sollen. Eigentlich sollte es ja soweit sein, dass jetzt in diesen Wochen die Moschee schon fertiggestellt und eingeweiht wird. Dazu kommt es aber nicht mehr in diesem Jahr, sondern mit mindestens vier Monaten Verzögerung dann irgendwann 2020. Und das hat ganz viel mit dem zu tun, was dann eben doch in den vergangenen Monaten passiert ist. Nämlich einerseits relativ viel Hetze über soziale Medien gegen die Moschee und vor allen Dingen gegen den Sprecher der Gemeinde. Und andererseits auch die schlichte Tatsache, dass die Gemeinde gar nicht genügend Bauunternehmen gefunden hat, um mit den Bauarbeiten voranzukommen. Offenbar, weil viele Unternehmer Angst haben oder eigene Ressentiments, sich an so Moschee-Bauprojekt zu beteiligen.
[00:16:15] Matthias Kirsch Es gab ja Ressentiments, die haben wir ja schon gehört von der AfD, aus der Bevölkerung. Aber das heißt, es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass Bauunternehmen aus dem Grund, dass diese Ahmadiyya-Gemeinde umstritten ist in der Bevölkerung, nicht diesen Bau fortführen wollten?
[00:16:31] Peter Maxwell Ja, als ich kürzlich da war und auch den Gemeindevorsteher Herrn Malik getroffen habe, hat der mir unter anderem eine E-Mail gezeigt, die er bekommen hat. Und diese Mail kommt aus der Zeit, als es gerade darum ging, ein Kran-Unternehmen zu finden, um ein Dach auf den Moschee-Rohbau drauf zu machen. Und die haben tatsächlich wochen- und monatelang vergeblich versucht, ein Kran-Unternehmen zu finden, weil - und das ging aus dieser Mail hervor - das Unternehmen, was ursprünglich eingeplant war, sich geweigert hat mitzumachen letztendlich, weil sie - so stand es in der Mail jedenfalls - angeblich Angst hätten vor Übergriffen auf ihre Mitarbeiter und auf die Maschinen. Und das ist natürlich ein Ausdruck von einer sich um sich greifender Islamfeindlichkeit und von einem Ressentiment. Und dass das dann solche Auswirkungen hat und dass sich das nur Monate verzögert, ist natürlich ziemlich bedenklich. Es kommt auch hinzu, dass es noch weitere Bauunternehmen gibt, die ebenfalls abgelehnt haben, sich an dem Bauprojekt zu beteiligen, und die - nach Aussage von Herrn Malik - auch selber sehr deutlich am Telefon gesagt haben: Da setzen wir keinen Fuß drauf, damit wollen wir nichts zu tun haben.
[00:17:34] Matthias Kirsch Es gab ja in der Vergangenheit auf diesem Grundstück durchaus Angriffe und eklige Dinge, die da passiert sind - zum Beispiel wurden Teile von einem toten Schwein auf Spießen da aufgestellt. Du hast die letzten Monate beobachtet, dass sich dieser Hass und diese Ressentiments ins Internet, in die sozialen Netzwerke verschoben haben. Wie hast du das wahrgenommen?
[00:17:56] Peter Maxwell Ja, das ist tatsächlich ganz erstaunlich, wie wenig geblieben ist von diesen manifesten Protestaktionen direkt am Baugelände - die Demonstration und diese Schweinekopf-Aktion und all diese Dinge. Und wie stark aber der Hass im Netz noch da ist und mit welcher offenen Feindseligkeit Menschen mit ihrem Klarnamen beispielsweise bei Facebook etwas posten. Das ist schon heftig, in welcher geballten Form das in den vergangenen Monaten aufgetreten ist.
[00:18:23] Matthias Kirsch Peter, was ist denn jetzt der aktuelle Stand dieser Arbeiten? Du hast erzählt, die Bauarbeiten sind langsamer vorangegangen, zum Teil waren sie sogar gestoppt. Wie ist denn jetzt der Stand?
[00:18:35] Peter Maxwell Der Rohbau steht, das heißt, man sieht jetzt ein immer noch relativ provisorisch wirkendes Gerippe. Aber die Bauarbeiten sind tatsächlich jetzt in der finalen Phase. Vor allem ist es so, dass der Gemeinde zufolge man jetzt kaum noch auf externe Firmen angewiesen ist. Das heißt, das Minarett beispielsweise, das noch nicht steht, und die Kuppel, die auch noch nicht fertig ist, die werden von der Gemeinde in Eigenarbeit hergestellt. Da sollte dann eigentlich nichts mehr dazwischenkommen können, weil die Gemeinde da ja dann auf keine anderen Firmen angewiesen ist. Und man rechnet jetzt im Moment damit, dass dann innerhalb der nächsten Monate über den Winter die Moschee tatsächlich fertig wird. Im Frühjahr 2020 soll sie dann fertig sein. Wann sie eingeweiht wird, hängt auch davon ab, wann beispielsweise der Kalif, das Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinde, nach Erfurt kommen kann zur Einweihung. Und das wird dann irgendwann im kommenden Jahr soweit sein.
[00:19:30] Matthias Kirsch Ein wichtiger Punkt, den die Gegner und Kritiker dieses Moscheebaus ja immer wieder angebracht haben, ist, dass diese Moschee das Bild des Viertels irgendwie verändern würde. Was ist denn das eigentlich für ein Ort? Ist es tatsächlich so, dass dieser Moscheebau irgendwie in einem Stadtviertel steht, die Leute das quasi vor der Haustür haben?
[00:19:51] Peter Maxwell Das ist schon kurios, dass diese Art von, ja, das muss man Propaganda nennen, tatsächlich zieht und dass es funktioniert und Leute mobilisiert. Das ist ein Gewerbegebiet. Das ist ein Gewerbegebiet - das gehört zum abgelegenen, etwas abgelegenen Stadtteil Marbach von Erfurt. Das liegt im Nichts sozusagen, zwischen dem Stadtteil und dem Uni-Campus. Und die Moschee steht da in Sichtweite zu Getreidesilos hinter so einer Kfz-Werkstatt. Ich würde sagen, mindestens 50 Meter von der Straße entfernt, umgeben von einer Feuerwache, Kfz-Werkstätten und anderen Betrieben und Firmen, die da stehen. Also keine Anwohnerhäuser. Es gibt ein Wohnhaus, das man, wenn man aufs Dach der Moschee geht- was man natürlich zukünftig nicht mehr können wird - kann man ein einziges Wohngebäude sehen. Ansonsten überhaupt nichts. Es gibt niemanden, der da als Anwohner tatsächlich gestört wird.
[00:20:41] Matthias Kirsch Okay. Du hast die Baustelle ja mit Suleman Malik besucht, den wir ja auch schon gehört haben. Sind er und die Ahmadiyya-Gemeinde denn optimistisch oder eher vorsichtig-optimistisch, was jetzt die Zukunft des Projekts, wenn es abgeschlossen ist, angeht?
[00:20:56] Peter Maxwell Das ist schon erstaunlich, wie groß der Optimismus ist, den Herr Malik und die Gemeinde so insgesamt ausstrahlt. Als ich im vergangenen Jahr da war, als der Grundstein gelegt wurde, da hat man mir schon gesagt, bislang sei es immer so gewesen, wenn die Gemeinde irgendwo in Deutschland eine neue Moschee baut, dass es dann am Anfang Proteste und Kritik und Skepsis in der Bevölkerung gab und das später sich dann alles verflogen hätte und es zu einem guten nachbarschaftlichen Gemeinschaftsding sich entwickelt hätte. Die Frage ist schon so ein bisschen, ob das jetzt tatsächlich genauso ist, weil so wütende Proteste und so hässliche Aktionen - sei es in sozialen Medien oder beispielsweise diese Schweinekopf-Aktion - sind sehr selten, wenn Moscheen gebaut werden. Und die Moschee, die da jetzt in Erfurt gebaut wird, ist halt die erste in den neuen Bundesländern außerhalb Berlins. Das muss man dann sehen, wie das dann tatsächlich sein wird. Aber der Optimismus ist da.
[00:21:51] Matthias Kirsch Peter, vielen Dank für deine Einschätzung.
[00:21:52] Peter Maxwell Sehr gerne.
[00:21:53] Matthias Kirsch Seit mehr als drei Jahren beschäftigt der Moscheebau von Erfurt jetzt schon sowohl die Unterstützer wie auch die Gegner. Und vor allem die AfD kann mit diesem Thema einfach nicht abschließen. Im thüringischen Wahlkampf brandet es jetzt immer wieder auf - sogar, wenn der Anlass gar nichts damit zu tun hat. In der Woche vor der Wahl veröffentlicht AfD-Mann Stefan Möller, den wir in dieser Folge mehrmals gehört haben, ein Foto auf seinen sozialen Medien. Darauf zu sehen: ein Wahlstand der CDU mit wenig Besuchern. Und dazu schreibt Möller ohne Kontext: "Sogar bei den Typen von der Ahmadiyya ist mehr los..."
[00:22:31] Das war Stimmenfang, der Politik Podcast vom SPIEGEL. Die nächste Episode vom Stimmenfang hören Sie wie immer ab nächstem Donnerstag auf spiegel.de, bei Spotify und in allen gängigen Podcast-Apps. Wenn Sie uns Feedback schicken möchten, schreiben Sie uns einfach eine Mail an stimmenfang@spiegel.de oder nutzen Sie unsere Stimmenfang-Mailbox unter 040 380 80 400. An die gleiche Nummer, also 040 380 80 400, können Sie uns auch eine WhatsApp-Nachricht schicken. Diese Folge wurde produziert von Sandra Sperber, Yasemin Yüksel und mir, Matthias Kirsch. Danke für die Unterstützung an Philipp Fackler, Sebastian Fischer, Johannes Kükens, Wiebke Rasmussen, Thorsten Rejtzek und Matthias Streitz. Die Stimmenfang-Musik kommt wie immer von Davide Russo.
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