Mord im Kleinen Tiergarten Deutschland weist russische Botschaftsmitarbeiter aus

Ermittler am Tatort in Berlin (Foto vom 23. August): Fall für den Generalbundesanwalt
Foto: Paul Zinken/ DPADer Generalbundesanwalt in Karlsruhe hat die Ermittlungen zum Mord im Kleinen Tiergarten übernommen. Das teilte die Behörde mit. Demnach verdächtigen die Ermittler nun offiziell Russland, hinter der Tat in Berlin zu stehen. Dort war im August im Stadtteil Moabit am helllichten Tag der Georgier Zelimkhan Khangoshvili erschossen worden.
Nach Angaben des Generalbundesanwalts gibt es "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte", dass "staatliche Stellen" Russlands oder der zu Russland gehörenden Republik Tschetschenien den Mord in Auftrag gegeben hätten. Wegen der "besonderen Bedeutung" der Tat habe deshalb Karlsruhe nun übernommen und das Bundeskriminalamt mit den weiteren Ermittlungen beauftragt.
Damit bekommt das Verfahren eine neue Qualität. Die oberste Strafverfolgungsbehörde verdächtigt Russland faktisch des Staatsterrorismus auf deutschem Boden.
Die Bundesregierung hat als Reaktion auf die neuen Erkenntnisse zwei russische Geheimdienstmitarbeiter mit sofortiger Wirkung ausgewiesen. Nach SPIEGEL-Informationen bestellte das Auswärtige Amt am Mittwochmorgen den russischen Botschafter Sergej J. Netschajew formal in Berlin ein und übergab eine entsprechende Verbalnote.
Ausgewiesene Personen arbeiteten für russischen Militärgeheimdienst
Mit dieser werden die beiden Geheimdienstler mit sofortiger Wirkung zu unerwünschten Personen erklärt und müssen Deutschland innerhalb von sieben Tagen verlassen. Sie waren bislang offiziell als Diplomaten bei der Botschaft akkreditiert.
In Wirklichkeit waren sie nach SPIEGEL-Informationen für den russischen Militärgeheimdienst GRU tätig. Sicherheitsbehörden hatten der Bundesregierung im Vorfeld eine Liste mit möglichen Kandidaten vorgelegt, die für eine Ausweisung infrage kämen. Das Auswärtige Amt entschied sich schließlich für die beiden GRU-Mitarbeiter.
Als Begründung für die Strafmaßnahme führte das Auswärtige Amt die fehlende Kooperation Russlands bei den Ermittlungen in dem Mordfall an. Zudem gebe es mittlerweile starke Hinweise, dass der russische Staat hinter der Tat stecke. Russland wird in der Verbalnote energisch aufgefordert, mit der Generalbundesanwaltschaft zu kooperieren, um den Fall aufzuklären.
Bislang hatte Russland auf umfangreiche Fragen der deutschen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste keinerlei stichhaltige Antworten geliefert. "Weitere Schritte in dieser Angelegenheit behält sich die Bundesregierung im Licht der Ermittlungen vor", teilte das Auswärtige Amt mit. Die Bundesregierung rechnet nun damit, dass Moskau schnell mit einer Gegenattacke reagiert und deutsche Diplomaten oder Geheimdienstler aus Russland ausweist. In einer ersten Reaktion hieß es aus Moskau, die Ausweisungen seien "unfreundlich und unbegründet".
Am Dienstag hatte der SPIEGEL über die bevorstehende Wende in dem Fall berichtet. Gemeinsame Recherchen mit Bellingcat , The Insider und The Dossier Centre hatten zuvor bereits zahlreiche Hinweise geliefert, dass staatliche russische Stellen daran beteiligt waren, dem mutmaßlichen Auftragsmörder eine falsche Identität zu verschaffen.
In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Mordverdächtigen mit "hoher Wahrscheinlichkeit" um den Russen Vadim Krasikov, wie Experten des Berliner Landeskriminalamts herausgefunden haben. Auch ein Abgleich von Fotos beider Personen mithilfe einer Software für Gesichtserkennung durch Bellingcat und den SPIEGEL ergab eine Übereinstimmung von über 80 Prozent.
Auf seine wohl wahre Identität stießen die deutschen Ermittler über ein fünf Jahre altes und später zurückgezogenes internationales Fahndungsersuchen Russlands. Krasikov wurde damals des Mordes an einem russischen Geschäftsmann im Juni 2013 in Moskau verdächtigt. Videoaufnahmen zeigen, dass der Täter sich seinem Opfer auf einem Fahrrad näherte - genau wie bei dem Mord in diesem Sommer in Berlin.
Mörder näherte sich von hinten auf einem Mountainbike
Kurz nach der Rücknahme der internationalen Fahndung durch Russland 2015 wurde erstmals ein russischer Ausweis auf die Falsch-Personalie "Vadim Sokolov" ausgestellt. Unter diesem Namen reiste der mutmaßliche Mörder vom Kleinen Tiergarten in diesem Sommer nach Europa. Die Ermittler werten dies als starkes Indiz dafür, dass der russische Staat in die Tat verwickelt sein dürfte - zumal die russischen Behörden behauptet hatten, der Pass mit dem Aliasnamen sei echt.
Dazu kommt, dass auf dem Antrag für das Visum, mit dem Krasikov alias Sokolov im August über Frankreich einreiste, ein fragwürdiges Unternehmen angegeben war. Die Faxnummer der Firma, für die er vermeintlich als Bauingenieur arbeitete, führt nach Erkenntnissen der Ermittler zum russischen Verteidigungsministerium - dem auch der Militärgeheimdienst GRU untersteht.
Außerdem haben die Ermittler kein anderes Motiv finden können, das den Mord erklären würde. "Anhaltspunkte dafür, dass die Tat im Auftrag eines nicht staatlichen Akteurs erfolgt ist, liegen bislang nicht vor", teilte der Generalbundesanwalt mit.
Fest steht dagegen, dass das Opfer für die Russen ein Staatsfeind war. Er sei von den dortigen Behörden "als Terrorist eingestuft und als solcher verfolgt worden", so die Ermittler.
Russland bestreitet Verwicklung in den Fall
Khangoshvili kämpfte Anfang der Nullerjahre im Tschetschenien-Krieg gegen Russland. Später kooperierte er mit den Sicherheitsbehörden in Georgien und der Ukraine und hat dabei offenbar auch Informationen über russische Spionageaktivitäten geliefert. Vor knapp drei Jahren war er nach Deutschland übergesiedelt und hatte erfolglos Asyl beantragt. Vorübergehend wurde er von den deutschen Sicherheitsbehörden als islamistischer "Gefährder" eingestuft, der Verdacht erhärtete sich jedoch nicht.
Am 23. August wurde Khangoshvili zur Mittagszeit im Kleinen Tiergarten ermordet, er war auf dem Weg zu einer Moschee in Berlin-Moabit. Der mutmaßliche Auftragskiller kam auf einem Mountainbike angefahren und schoss ihm in den Kopf. Danach versenkte er die Pistole und das Fahrrad in der Spree. Bevor er fliehen konnte, nahm die Polizei den Mordverdächtigen fest, er sitzt seitdem in Untersuchungshaft und hat die Tat bestritten.
Russland hat eine Verwicklung in den Mord von Anfang an von sich gewiesen. Dabei bleibt es: "Es gibt überhaupt keinen ernst zu nehmenden Verdacht, und den kann es auch nicht geben", sagte ein Kreml-Sprecher.