Torpediertes Gesetz Adresshandel-Lobby bremst Datenschutz aus

Firmen spitzeln ihre Mitarbeiter aus, der Staat sammelt immer mehr Informationen über seine Bürger: Nie war der Missbrauch von Daten so krass, sagt der oberste Datenschützer Peter Schaar. Das geplante schärfere Gesetz gegen den Adresshandel wird trotzdem verwässert - dafür sorgt eine schlagkräftige Lobby.

Berlin - Der Umfang täuscht: Mit knapp über 190 Seiten fällt der der Report des obersten deutschen Datenschützers für 2007 und 2008 sogar etwas dünner aus als in den Jahren zuvor. Das allerdings, daran ließ Peter Schaar am Dienstag in der Berliner Bundespressekonferenz keinen Zweifel, sollte nicht als Indiz verstanden werden, dass es um den Datenschutz in diesem Land inzwischen deutlich besser bestellt ist. Im Gegenteil.

Chef-Datenschützer Schaar: "Einiges im Argen"

Chef-Datenschützer Schaar: "Einiges im Argen"

Foto: AP

"Das letzte Jahr war ein Jahr, wie ich es bisher nicht erlebt habe", erklärte Schaar bei der Vorlage seines jüngsten Tätigkeitsreports. Es ist sein Dritter, seit er im Dezember 2003 das Amt als Bundesbeauftragter für Datenschutz antrat. Heute, knapp fünfeinhalb Jahre später, werde über den Datenschutz diskutiert "wie vielleicht seit Jahrzehnten nicht mehr", stellte Schaar fest. Eine Tatsache, die ihn einerseits froh stimme, weil das Bewusstsein für das Thema geschärft worden sei. "Wenn ich mir die Anlässe für die Diskussionen ansehe, dann lässt meine Freude allerdings nach."

Tatsächlich war es eine ganze Reihe von Datenschutzskandalen in großen Unternehmen, die für umfangreichen Gesprächsstoff sorgten. Telekom, Lidl, die Bahn - munter bespitzelten Konzerne ihre Mitarbeiter, scannten im Namen der Korruptionsbekämpfung deren persönliche Daten oder legten regelrechte Krankenakten an.

Aber nicht nur die Wirtschaft, auch der Staat nimmt es in den Augen von Schaar mit den Grundrechten der Bürger nicht immer so genau. "Unverhältnismäßig" seien einige Sicherheitsgesetze, monierte der Datenschützer, die Vorratsdatenspeicherung bezeichnete er als einen der "gravierendsten" Einschnitte in den vergangenen zwei Jahren. Mit ernster Miene konstatierte Schaar: "Es liegt einiges im Argen."

Paradigmenwechsel angestrebt

Daran wird sich womöglich so schnell nichts ändern. Ein schärferer Arbeitnehmerdatenschutz steht ohnehin erst in der nächsten Legislaturperiode auf der Agenda, wenn man den Absichtserklärungen Glauben schenken darf. Datenschützer Schaar hat inzwischen jedoch auch ernste Zweifel, dass es mit den geplanten schärferen Regeln gegen den florierenden Adresshandel bis zur Bundestagswahl etwas wird - auch weil die Wirtschaftslobby massiven Druck auf die Politik ausübe.

Ursprünglich hatte sich das Kabinett Ende 2008 darauf verständigt, das Bundesdatenschutzgesetz in einer Form zu novellieren, die damals selbst hartnäckige Datenschützer überraschte. Die Neufassung enthielt einen Paradigmenwechsel: Einwilligung statt Widerruf, sollte es von nun an heißen.

Danach sollten persönliche Daten künftig nur noch mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen weitergegeben dürfen. Bisher hatten Kunden nur die Möglichkeit, einer Weitergabe ausdrücklich zu widersprechen - eine Option, von der selten Gebrauch gemacht wurde, zumal sie gern im Kleingedruckten versteckt wird. Das sogenannte Listenprivileg, das den Weiterverkauf von Listen persönlicher Daten zu Werbezwecken erlaubte, sollte abgeschafft werden.

Doch wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode hat der Bundestag das Gesetz noch immer nicht verabschiedet. Der Grund: Der Wirtschaft passen die Pläne gar nicht. Allen voran der Versandhandel und die Zeitungsverlage fürchten, durch die Abschaffung des "Listenprivilegs" in ihren Werbemöglichkeiten stark eingeschränkt zu werden. Die Folge, so die Vertreter der beiden Branchen, wären gravierende Umsatzeinbußen und letztlich massiver Arbeitsplatzabbau.

Lobbyisten machen Druck

Seit Monaten setzen Lobbyisten daher die Koalitionsfraktionen mit Briefen, Broschüren und Telefonanrufen unter Druck, den Gesetzentwurf abzuschwächen und Ausnahmeregelungen zu formulieren. Den Interessenvertretern ist die Sache so ernst, dass sie zu einer ungewöhnlichen Maßnahme greifen. Sie machen ihre Lobbyarbeit öffentlich. In der Business-Community "Xing" haben Direktmarketing-Firmen und Verlage im Internet vor kurzem eine Gruppe gegründet, um vor dem Regelwerk zu warnen. "Die Auswirkungen der geplanten Novelle würden nahezu alle Wirtschaftszweige in gravierendem Ausmaß treffen", heißt es dort. Registrierte Mitglieder: 1560.

Der Bundesverband der deutschen Verbraucherzentralen (VZBV) dagegen drängt wie Schaar auf eine Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode. "Erst durch die Abschaffung des Listenprivilegs wird der Verbraucher Souverän seiner Daten", sagte VZBV-Referent Falk Lüke SPIEGEL ONLINE. "Ausschließlich im Bereich der anonymisierten Markt- und Meinungsforschung wären Ausnahmeregelungen denkbar."

In der Koalition will man von einem möglichen Scheitern der Gesetzesnovelle nichts wissen. "Wir kriegen das hin", sagte der zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion Michael Bürsch SPIEGEL ONLINE. So habe man sich bereits vor Ostern mit dem Koalitionspartner im Grundsatz verständigt. "Klar ist: Es bleibt bei dem Paradigmenwechsel", versicherte Bürsch.

Rumpfgesetz droht

Und dennoch: Statt einer radikalen, strengen Neufassung kommt nun womöglich nur ein Rumpfgesetz. Denn der Einwilligungs-Passus in Paragraf 28 des Entwurfs soll jetzt erheblich eingeschränkt werden. "Die derzeitige Formulierung ist viel zu kompliziert. Wir wollen sie praxisverträglicher machen", sagte Bürsch. In 13 Punkten müsse am Entwurf noch geschraubt werden.

Heißt im Klartext: Die geplanten Beschränkungen für den Adresshandel werden wieder aufgeweicht. Für Versandhandel, Zeitungsverlage und Meinungsforscher wird es künftig Ausnahmeregeln geben, sie sollen auch weiterhin das Listenprivileg in Anspruch nehmen können. In welchen Fällen die Ausnahmen genau gelten sollen, darauf wolle man sich Ende der Woche verständigen, hieß es. Mitte Mai könnte das Gesetz dann dem Innenausschuss zur Abstimmung vorgelegt werden - und im Juni den Bundestag passieren.

Es sieht ganz danach aus, als würden sich die Befürchtungen Schaars, dass die "massive Intervention" der Wirtschaftslobby nicht ohne Wirkung bleibt, bewahrheiten. Seine Appelle vom Dienstag, den schärferen Datenschutz nicht wieder zu verwässern, dürften ungehört verhallen.

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