Toter Bin Laden Das gefährlichste Bild der Welt
Berlin - Bilder sind mächtig. Sie bestimmen unsere Sicht auf die Welt. Sie können die Wahrheit zeigen, zumindest einen Ausschnitt davon. Sie können aber genauso gut manipuliert werden, unseren Blick auf die Welt verzerren. Bilder sind gefährlich, weil sie sich einbrennen ins kollektive Gedächtnis und deshalb sind sie immer auch Waffen im Kampf um die Deutungshoheit.
Es gibt Aufnahmen, die die Welt nicht vergisst, die Generationen prägen. Eine ist das der Twin Towers in New York, das Symbol einer mächtigen Nation, nur noch Asche und Staub. Osama Bin Ladens Anhänger brüsten sich damit in ihrem Kampf gegen die "Ungläubigen", für den Westen ist es das Symbol äußerster Verletzbarkeit.
Fast zehn Jahre später hat die Supermacht ihren gefährlichsten Gegner getötet. Doch es gibt kein Gegenbild. Bislang. Osama Bin Laden bleibt der unbekannte Tote. Die Welt muss darauf vertrauen, dass stimmt, was die Regierung in Washington meldet: Dass die DNA des Mannes, den sie wie keinen anderen gejagt hat, auch wirklich die DNA des Osama Bin Laden ist. Das macht die Sache schwierig. Denn die DNA-Probe bleibt ein abstrakter Beweis in einer Welt, die im Zeitalter des Internet, von YouTube und des Fotohandy lebt. Es ist absurd: Die DNA-Probe, ein Ergebnis hochkomplexer Wissenschaft, wirkt in der vertrauten Bilderwelt fast archaisch.

Die Welt ist daran gewöhnt, Geschichte in Bildern wahrzunehmen. Nun wird sie ihnen im Falle Bin Laden vorenthalten. "Es ist sehr wichtig zu verhindern, dass fotografische Beweise als Mittel der Anstachelung oder der Propaganda genutzt werden", begründet US-Präsident Barack Obama die Zurückhaltung. Und er fügt ein moralisches Argument hinzu: "Wir protzen nicht mit so etwas wie mit einer Trophäe." Obama fürchtet einen Aufschrei des Entsetzens, vor allem in der islamischen Welt. Damit hat er wohl Recht. Das Bild des durch offenbar zwei Kopfschüsse getöteten Bin Laden ist das gefährlichste der Welt.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem die US-Regierung wandelt. Schon jetzt kursieren Verschwörungstheorien. Daran trägt die US-Regierung selbst ein Stück weit Mitschuld. Denn bis jetzt gibt es keine Klarheit über den Ablauf der Kommandoaktion. Und kein Bild des derzeit berühmtesten Toten. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele, wie Bilder und gerade das Fehlen von Bildern die Phantasie der Menschen beflügelt - oder auch Grenzen setzt.
Hitlers anonymer Tod, Mussolinis Gegenbild
In Deutschland muss man gar nicht so weit zurückgehen. Als Adolf Hitler sich am 30. April 1945 umbrachte und sich anschließend mit seiner Geliebten und Kurzzeitehefrau Eva Braun im Garten der Reichskanzlei in Berlin verbrennen ließ, gab es keine Aufnahmen. Der Mann, der um die suggestive Wirkung des Bildes wusste, verschwand einfach so von der Welt. Weil der Gegenspieler, der sowjetische Diktator Josef Stalin, den Tod des Nazi-Führers geheim hielt, tauchten bald in westlichen Medien Spekulationen auf, Hitler sei den Sowjets entkommen, lebe in Japan, in Südamerika. Erst viel später wurde, durch Zeugenbefragungen aus Hitlers Umgebung und durch die Veröffentlichung der Ergebnisse einer sowjetischen Ärztekommission, der Tod des Massenmörders nachgewiesen.
Bilder können den geschlagenen Gegner noch einmal demütigen. So geschah es in der Sowjetunion auf makabre Art und Weise: Wen Stalin aus der Führung der bolschewistischen Partei in den dreißiger Jahren hatte hinrichten lassen, der wurde wegretuschiert. Kein Bild, keine Geschichte. Es war eine einfache Gleichung. Bilder können auch das Ende einer Ära markieren. In Italien wurde der im April 1945 von Partisanen getötete Benito Mussolini demonstrativ zur Schau gestellt, kopfüber hängend an einer Tankstelle in Mailand.
Der grausige Anblick, verbreitet auch in Wochenschauen, war der Beweis, dass die Rückkehr des einst mächtigen Faschistenführers auf die politische Bühne nicht mehr möglich war. Ähnlich dachten wohl die Alliierten, als sie die Nazi-Kriegsverbrecher in Nürnberg gehängt hatten - sie fotografierten deren Leichname, bevor sie sie verbrannten und die Asche verstreuten. Vor allem für die Deutschen waren die Fotos der Toten als Abschreckung gedacht, es war ein umstrittener Akt. Der Nürnberger Ankläger Telford Taylor schrieb später: "Sie waren in der Tat abstoßend."
Die Wirkung kann sich ins Gegenteil verkehren
Bilder zu veröffentlichen, ist ein Risiko - die Wirkung kann anders als beabsichtigt sein. Der tote Che Guevara 1967 in Bolivien, der von der Armee auf einer Bahre liegend der Presse vorgeführt wurde, ist so ein Beispiel. Es sollte ein Dokument sein, das das Scheitern der Guerillabewegung und ihres wichtigsten Kopfes dokumentierte. Doch weckten die Fotos zugleich Mitleid mit einem Mann, der in Gefangenschaft getötet worden war. Sie wurden für die antiamerikanische Bewegung Zeugnisse für die von den USA finanzierte und betreute Aufstandsbekämpfung weltweit. Offenbar befürchten Obama und Co., dass es mit dem Bild Bin Ladens ähnlich gehen kann.
Und schließlich: Die Veröffentlichung von Totenbildern ist umstritten, gerade im Westen, der sich seines zivilisatorischen Fortschritts rühmt. Es geht auch um Moral, um die Grenzen des Zulässigen. Darum, ob man den geschlagenen Gegner in seiner ganzen Versehrtheit zeigen muss. Die Zurschaustellung der Leichen Mussolinis und seiner Geliebten wurde schon 1945 von Vertretern der katholischen Kirche kritisiert. Die Veröffentlichung solcher Bilder berührt stets die Frage, ob ein toter Diktator, Massenmörder oder Terrorist ein Recht auf Würde hat wie andere Menschen auch. Kurzum: Ob mit dem Tod gleichsam auch die fotografische Darstellung ihr Ende findet.
Es gibt darauf keine eindeutigen Antworten. Es ist und bleibt vor allem ein politischer Akt. Manche Menschen haben so viel Angst und Schrecken verbreitet, dass es angemessen sein kann, ihre Totenbilder zu veröffentlichen. So im Falle des kambodschanischen Kommunistenführers Pol Pot. Rund zwei Millionen Menschen - vom Kind bis zum Greisen - starben unter seiner Herrschaft, wurden hingerichtet oder kamen durch Sklavenarbeit um. Als er 1998 im Dschungel Kambodschas starb - vermutlich durch Selbstmord - wurden Videos und Bilder seiner Leiche gezeigt. Es war das letzte fotografische Zeichen einer Bewegung, die unzähliges Leid gebracht hatte. Und der Beginn eines Prozesses, der im Land endlich zu Frieden führte.
Obama hat sich im Falle Bin Ladens anders entschieden. Al-Qaida-Mitglieder wüssten, dass er tot sei. Ein Foto würde da keinen Unterschied machen, sagte er in einem Fernsehinterview: "Es wird einige geben, die es bestreiten werden. Aber Fakt ist: Wir werden Bin Laden nicht mehr auf dieser Erde gehen sehen."