So schwer wird Transsexuellen die Namensänderung gemacht

Foto: dpa/ Kay Nietfeld

Dieser Beitrag wurde am 01.09.2016 auf bento.de veröffentlicht.

Stell dir vor, du willst dich für einen neuen Job bewerben und bekommst Dutzende Absagen. Dein Schnitt an Schule und der Uni lag jeweils im Einserbereich, du hast Praktika bei großen Unternehmen absolviert. Jeder Bewerbungscoach würde dir sagen: Besser geht es nicht. Der Grund für die Absagen ist ein anderer: Auf deinem Bewerbungsfoto siehst du aus wie eine Frau, in deinen Unterlagen steht aber ein männlicher Vorname.

Du bist trans* und einige Unternehmen können damit nicht umgehen – doch eigentlich müssten sie davon auch gar nichts wissen.

Solche Rückschläge ließen sich vermeiden, wenn trans* Menschen ihren Namen und das Geschlecht im Ausweis einfach anpassen könnten – genauso wie andere ihre Adresse.

In Deutschland ist das aber nicht so einfach.

Die Angleichung des Geschlechts in offiziellen Dokumenten kann Jahre dauern, trans* Menschen werden zunächst von zwei unabhängigen Gutachtern beurteilt. So will es das Transsexuellengesetz (TSG).

Selbst im konservativen Irland und anderen europäischen Ländern wie Dänemark und Malta kann man sein Geschlecht einfach umtragen lassen.

Zeit, dass sich auch in Deutschland etwas tut. Zahlreiche Verbände fordern das seit Jahren. Die Grünen-Bundestagsfraktion arbeitet derzeit an einem neuen Gesetzentwurf und will ihn bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres vorlegen.

Wie viele trans* Menschen es in Deutschland gibt, ist nicht sicher, eine genaue Statistik gibt es nicht. Fest steht: Seit 1995 haben rund 15.000 Menschen per gerichtlichem Entscheid ihre geschlechtliche Identität gewechselt (Statistik Bundesjustizamt ).

trans* Menschen

In diesem Artikel haben wir uns dafür entschieden, die Bezeichnung trans* Menschen zu verwenden. Hier findest du weitere Informationen zum Wording: TransInterQueer e.V. aus Berlin. 

Wir haben mit dem Berliner Verein TransInterQueer und Grünen-Politiker Volker Beck gesprochen und beantworten euch die wichtigsten Fragen zum Gesetz.
Wie ändert man sein Geschlecht bislang in seinem Pass?
  • trans* Menschen leiten ein Gerichtsverfahren beim jeweils zuständigen Amtsgericht ein. Das benennt zwei unabhängige Gutachter, die von den Betroffenen selbst vorgeschlagen werden können (Transsexuellengesetz ).
  • Die Psychologen müssen in mehreren Terminen getrennt voneinander drei Fragen beantworten: Meint der- oder diejenige es wirklich ernst? Besteht der Wunsch, im anderen Geschlecht zu leben, schon länger als drei Jahre und hält er auch länger an?
  • Die Psychologen erstellen nach jeder Sitzung Protokolle und ein abschließendes Gutachten, das dann zurück ans Gericht geht. Dieses entscheidet dann endgültig.

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Wie hängen Geschlechtsangleichung und Namensänderung zusammen?
  • Wer aufgrund seiner trans* Identität seinen Namen und sein Geschlecht ändern will, muss sich keiner Operation oder einer Hormonbehandlung unterzogen haben. Betroffene müssen dem Psychologen klar machen, dass sie sich in ihrem biologischen Geschlecht nicht wohl fühlen.
  • Bis 2011 mussten Betroffene für eine Änderung des Geschlechts noch fortpflanzungsunfähig sein und sich einer Operation zur Geschlechtsangleichung unterzogen haben.
Die Betroffenen kostet das bis zu 3000 Euro.

An welchen Stellen gibt es Probleme?
  • Die Diskrepanz: Besonders schwierig ist die Phase, in der jemand zum Beispiel bereits wie eine Frau aussieht, in seinem Pass aber noch einen männlichen Namen trägt. Das zeigt nicht allein das Beispiel aus dem Bewerbungsprozess. Auch im Alltag käme es zu diskriminierenden Situationen, sagt Leo Yannick Wild vom Verein TransInterQueer aus Berlin . "Zum Beispiel im Supermarkt, wenn man an der Kasse darauf hingewiesen wird, dass man nicht mit der EC-Karte des Ehemannes bezahlen dürfe."
  • Die Kosten: Der ganze Anerkennungsprozess kann bis zu zwei Jahre dauern. Die Betroffenen kostet das bis zu 3000 Euro.
  • Die Gutachter: Nicht immer haben die vom Gericht ernannten Experten auch Erfahrung mit den Problemen von trans* Menschen. "Manche Gutachter haben vorsintflutliche Geschlechtervorstellungen", sagt Wild. Immer wieder berichteten trans* Menschen in den Beratungsstellen von stereotypen Anforderungen an sie. Zum Beispiel müssen sie Gürtel oder Portemonnaie zeigen, um daran zu bewerten, ob derjenige eher "männlich" oder "weiblich" ist.
Was fordern die Grünen?

Für Volker Beck ist die Reform des Gesetzes längst überfällig. Man nehme nicht den Menschen und sein Empfinden ernst, sondern mute ihm eine "peinliche Befragung von Sachverständigen" zu.

Seine Partei will, dass Gerichte nicht mehr in die Namens- und Geschlechtsänderung involviert sind. Beides zu ändern soll in Zukunft genauso einfach sein, wie seine Adresse auf dem Ausweis zu erneuern – im jeweils zuständigen Standesamt.

2010 hatten die Grünen bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt, waren damit aber gescheitert.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?
  • Argentinien: Man müsse nicht immer in Europa nach Vorbildern suchen, sagt Beck. "In Lateinamerika gab es die schlimmste Gewalt gegen trans* Menschen, aber gleichzeitig wird auch in Argentinien am meisten auf gesetzlicher Ebene getan." Bereits 2012 verabschiedete der Senat ein Gesetz, wonach die Geschlechtszugehörigkeit allein durch das individuelle Erleben bestimmt wird. Seitdem ist es auch nicht mehr Pflicht, einen medizinischen Nachweis einer Geschlechtsumwandlung vorzulegen. Änderungen in Geburtsurkunden und Ausweispapieren sind gratis (taz.de ).
  • Europa: Um neue Papiere zu bekommen, muss man in Dänemark 18 Jahre alt sein. Einzige Auflage: Es gibt eine Wartezeit von sechs Monaten, in der sich die Betroffenen über ihre Entscheidung bewusst werden sollen (queer.de ). Irland verabschiedet vor einem Jahr ein entsprechendes Gesetz (bento.de). Ähnlich einfach geht es in Malta und Norwegen.
Wie stehen die Chancen, dass sich in Deutschland etwas ändern wird?

Vieles spreche dafür, dass das TSG zeitnah reformiert wird, meint Wild. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits zahlreiche Vorschriften als verfassungswidrig erklärt – zum Beispiel, dass eine Namens- und Geschlechtsänderung erst ab 25 Jahren möglich ist. "Außerdem sind andere EU-Länder schon viel weiter, es wäre höchst kritikwürdig, wenn Deutschland weiter hinterher hängt."

Andere EU-Länder sind schon viel weiter.

Beck ist skeptischer. Für konservative Politiker handele sich um ein Nischenthema und trans* Menschen hätten keine so starke Lobby. Außerdem sei das Bundesinnenministerium zuständig. Das Haus habe bislang "noch keine Goldmedaille für seinen emanzipatorischen und freiheitlichen Geist gewonnen".

Ein wenig Hoffnung gibt es aber. In einer Antwort auf eine sogenannte Kleine Anfrage der Grünen zur Situation von trans* menschen in Deutschland antwortete die Bundesregierung im vergangenen Juni folgendes:

"Der Bundesregierung ist bekannt, dass der Nachweis, seit mindestens drei Jahren im Gegengeschlecht identifizierbar zu sein, im Alltag eine große Herausforderung für Trans-Personen darstellt."

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