Trittin zur Integrationsdebatte "Seehofer macht Rechtsextremismus hoffähig"

Grünen-Fraktionschef Trittin: Plädoyer für "eine Kultur, die Migranten nicht abschreckt"
Foto: Philipp Schulze/ dpaBerlin - Die CSU bleibt in der aktuellen Integrationsdebatte ihrer alten Maxime treu, laut der es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf. Ein Credo, dem auch Parteichef derzeit seine Rhetorik anpasst. "Multikulti ist tot", rief Seehofer der Jungen Union auf ihrem Deutschlandtag in Potsdam zu - und erneuerte über das Wochenende mehrfach seine Forderung nach einem Zuwanderungsstopp für Menschen aus der Türkei und arabischen Ländern.
Der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, , hat Seehofer nun für dessen Rechtsschwenk in der Integrationsdebatte scharf angegriffen. Es gebe seit langem rechtsextremes Potential in Deutschland. Daher sei es schäbig und stärke rechtsextreme Kräfte, "wenn ein Demokrat wie Seehofer anfängt, solches Gedankengut hoffähig zu machen", sagte Trittin der "Bild am Sonntag".
Zuwanderer müssten die Chance auf eine baldige Einbürgerung haben, sagte Trittin. Es brauche für alle Migranten, auch für die muslimischen, "eine Kultur, die nicht abschreckt". Der Grünen-Politiker forderte außerdem, den jährlichen Mindestverdienst für ausländische Fachkräfte von 66.000 Euro auf 40.000 Euro zu senken, um mehr Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften zu ermöglichen.
Brüderle: "Qualifizierte Fachkräfte nach unserem Bedarf"
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in Potsdam vor dem Parteinachwuchs betont, Zuwanderer müssten die deutschen Gesetze und die deutsche Sprache beherrschen. Der "Multikulti-Ansatz" sei absolut gescheitert, so Merkel. Bundespräsident Christian Wulff habe aber recht mit seiner Aussage, dass der Islam heute zu Deutschland gehöre. "Wer ignoriert, dass hier 2500 Imame in Moscheen ihre Gottesdienste abhalten, der lügt sich in die Tasche", sagte die Kanzlerin.
In der Koalition zeigen sich indes deutliche Differenzen, wie mit der Zuwanderung nach Deutschland umzugehen ist. Bundeswirtschaftsminister Reiner Brüderle (FDP) sagte am Sonntag in Berlin, er sehe sich durch die aktuelle Debatte in seiner Forderung nach mehr qualifizierter Zuwanderung bestärkt. Er unterstütze die Initiative seiner Kabinettskolleginnen Ursula von der Leyen und Annette Schavan (beide CDU), die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte zu erleichtern, so Brüderle.
Der Minister warnte allerdings ebenfalls indirekt vor Ausländern, die den Staat belasten und der Volkswirtschaft nicht nützen. Im Kampf gegen den müsse einerseits die Integration und Ausbildung jugendlicher Migranten verbessert werden. Es brauche aber auch "eine kontrollierte Zuwanderung nicht in die sozialen Sicherungssysteme, sondern von qualifizierten Fachkräften nach unserem Bedarf", sagte Brüderle.
Bundesbildungsministerin Schavan und Arbeitsministerin von der Leyen hatten angeregt, dem Fachkräftemangel mit verstärkter Zuwanderung zu begegnen, was die CSU aber ablehnt. Auch ein Punktesystem, wie es die FDP seit August fordert und das die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach dem Vorbild Kanadas regeln soll, lehnen die bayerischen Christsozialen ab.
"Sieben-Punkte-Plan" Seehofers
Dem "Focus" sagte Seehofer erneut, Deutschland brauche keine Einwanderer aus der Türkei und arabischen Ländern, denn es sei klar, "dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen schwerer tun". Das Magazin berichtet außerdem von einem "Sieben-Punkte-Plan" Seehofers. Darin heißt es:
- Deutschland sei kein Zuwanderungsland. Integration bedeute "nicht nebeneinander, sondern miteinander leben auf dem gemeinsamen Fundament der Werteordnung unseres Grundgesetzes und unserer deutschen Leitkultur, die von den christlich-jüdischen Wurzeln und von Christentum, Humanismus und Aufklärung geprägt ist".
- Ein prognostizierter Fachkräftemangel könne kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein. Den Zuzug Hochqualifizierter nennt Seehofer "ausreichend geregelt".
- Eine Aufweichung der restriktiven Regeln des geltenden Zuwanderungsgesetzes, eine Zuwanderung nach Kontingenten oder Punktesystemen dürfe es nicht geben.
- "Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit" solle als zusätzliches Kriterium neben der Qualifikation eingeführt werden.
- Das Nachzugsalter für Kinder solle von 16 auf 12 Jahre herabgesetzt werden. "Je jünger Kinder bei der Einreise sind, desto besser können sie sich integrieren", schreibt Seehofer und plädiert für eine Änderung der entsprechenden EU-Richtlinie.
- Für Integrationsverweigerer fordert Seehofer eine konsequente Anwendung der Sanktionsmöglichkeiten "vom Bußgeld bis zur Leistungskürzung". Auch "wer die Integration seiner Familienangehörigen behindert", solle "wie bei eigener Integrationsverweigerung sanktioniert" werden.
- Eine nach wie vor hohe Bedeutung für gelungene Integration misst Seehofer dem Erwerb der deutschen Sprache bei. "Hierfür ist der Nachweis der deutschen Sprache bereits im Herkunftsland zu erbringen."
"Seehofer und Mißfelder bedienen Klischees und Ängste"
Auf die Seite Seehofers schlug sich der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU). In einem Beitrag für das Magazin "Wirtschaftswoche" schreibt er, Zuwanderung dürfe die "sozialen Sicherungssysteme nicht belasten". Die Migrationsentwicklung der vergangenen Jahre stimme wenig optimistisch, er fordere nun eine Diskussion "ohne Scheuklappen". Schünemann kritisierte, es gebe eine "nicht unerhebliche Zuwanderung von nur gering qualifizierten Ausländern".
Malu Dreyer (SPD), Vorsitzende der Integrationsministerkonferenz der Bundesländer, nannte die aktuelle Debatte um Zuwanderung indes schädlich und verantwortungslos. Wortführer wie der bayerische Ministerpräsident Seehofer und der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder "halten sich nicht an Tatsachen, sondern bedienen Klischees und Ängste", sagte die rheinland-pfälzische Sozialministerin. Seehofer und Mißfelder gingen nicht fair mit dem eigentlichen Stand der Integration in Deutschland um. Zuwanderer seien eine Bereicherung für das Land.
Auch Mißfelder hatte auf dem Deutschlandtag der Jungen Union gesagt, Deutschland könne sich Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme nicht leisten. Dreyer sagte, Einwanderer gerieten so unter einen "Globalverdacht, integrationsunwillig zu sein, den Staat zu schröpfen und nur nach Deutschland zu kommen, um abzukassieren".
Dreyer kritisierte, wie auch Grünen-Fraktionschef Trittin, Einwanderer müssten derzeit zu lange auf Integrations- und Sprachkurse warten. Laut Trittin dauere es oft Monate, bis Ausländer an entsprechenden Kursen teilnehmen könnten. Dreyer bezifferte die Zahl der Ausländer, die auf einen Platz in einem Integrationskurs warteten, mit 9000.