TTIP-Protesttag in Deutschland Kostümiert gegen den Kapitalismus

TTIP-Protesttag in Deutschland: Kostümiert gegen den Kapitalismus
Foto: Stefan Puchner/ dpaDas umstrittene Freihandelsabkommen TTIP ("Transatlantic Trade and Investment Partnership") sorgt weltweit für Empörung. Rund um den Globus wird in diesen Tagen demonstriert. Auch in Deutschland haben am Samstag Tausende protestiert.
"Wir wollen damit deutlich machen, dass der Widerstand weitergeht", sagte Roland Süß vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac am Samstag. Dieses hatte zahlreiche Veranstaltungen mit organisiert. Laut Attac waren rund 700 Aktionen in etwa 45 Ländern geplant (eine Übersichtskarte finden Sie hier ), davon alleine mehr als 230 in Deutschland. Bis zum frühen Nachmittag hätten sich "mehrere Zehntausend" Menschen an Kundgebungen und Aktionen in zahlreichen Städten beteiligt, sagte Frauke Distelrath, Sprecherin von Attac Deutschland.
Hintergrund für den Aktionstag ist die mittlerweile neunte Verhandlungsrunde zum TTIP-Abkommen zwischen USA und EU, die am Montag in New York beginnt. Die Vereinbarung soll Hemmnisse im transatlantischen Handel abbauen und grenzüberschreitende Investitionen ankurbeln. Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sehen darin Chancen für Wachstum und Beschäftigung.
15.000 in München, einige Hundert in Berlin
Kritiker befürchten dagegen, dass europäische Standards etwa im Verbraucher- und Umweltschutz oder im sozialen Bereich gesenkt werden. "Es gibt ein ganz großes Risiko: TTIP wird unsere demokratischen Rechte einschränken. Denn in Zukunft werden die Konzerne noch mehr Einfluss darauf haben, wie die Gesetze geschrieben werden", sagte der Geschäftsführer von Foodwatch, Thilo Bode, im Sender NDR-Info.

TTIP-Proteste: Menschenkette und Traktor-Korso
Ähnlich äußerte sich Linke-Chef Bernd Riexinger, der am Samstag an einer Kundgebung in Kassel teilnahm: "Selbstverständliche Standards für Lebensmittel, Umwelt, Beschäftigung, öffentliche Dienste - mit TTIP wird die Welt auf den Kopf gestellt." Die Proteste richten sich auch gegen das vorgesehene Abkommen mit Kanada (CETA) und ein geplantes Dienstleistungsabkommen mit den Vereinigten Staaten (TISA).
Allein in München haben sich der Attac-Sprecherin zufolge mindestens 15.000 Menschen an einer Demonstration beteiligt. In Karlsruhe versammelten sich Kritiker des Freihandelsabkommens zu einer Fahrraddemonstration, in Neu-Ulm wurde ein Traktor-Korso abgehalten. In Berlin demonstrierten einige Hundert Menschen mit einer Menschenkette. In Köln verlangten einige Hundert TTIP-Gegner in umgedichteten Karnevalsliedern mehr Schutz für Umwelt, Arbeitnehmer, Konsumenten und deren Gesundheit.
In Stuttgart zählte die Polizei rund tausend Demonstranten, in Ulm etwa 1200. In Kiel waren rund 600 Demonstranten auf den Beinen, in Leipzig Attac-Angaben zufolge 2000. Außer in Großstädten habe es auch Proteste in kleinen Dörfern gegeben, so Distelrath. In Österreich zählten die Organisatoren der Proteste landesweit 22.000 Teilnehmer. In der Hauptstadt Wien demonstrierten laut Polizei rund 6000 Menschen.
Halbinformationen und Beschwichtigungen
Die Sprecherin für Wettbewerbspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, wertete den Aktionstag als Zeichen des wachsenden Widerstands gegen TTIP. "Es wird Zeit, dass die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung erkennen, dass man ein solch breites gesellschaftliches Bündnis ernst nehmen muss", sagte Dröge. "Die Politik der letzten Monate ist gescheitert. Zu lange haben die TTIP-Verhandler geglaubt, man könne die Öffentlichkeit mit Halbinformationen und Beschwichtigungen abspeisen."
Der Verband der Chemischen Industrie rief zu einer sachlicheren Diskussion auf. "Wir brauchen bei TTIP dringend einen gesellschaftlichen Austausch über die Inhalte des Abkommens", sagte Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann.
Angesichts der heftigen Proteste gegen das Abkommen machen sich nun die Vorstandsvorsitzenden führender deutscher Konzerne für den Freihandelsvertrag stark. Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zufolge hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine Aktion mit dem Titel "Wir wollen TTIP" ins Leben gerufen. Dafür habe der BDI Top-Manager aus Industrie wie Mittelstand zusammengetrommelt. "Die deutsche Wirtschaft sieht in TTIP große Chancen", sagte demnach BDI-Präsident Ulrich Grillo.
In der deutschen Wirtschaft gibt es aber auch Bedenken gegen das Abkommen in seiner jetzigen Form. Zwar stehe der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) hinter TTIP, sagte Verbandspräsident Mario Ohoven den "VDI Nachrichten". "Allerdings nicht um jeden Preis." Vor allem die umstrittenen Schiedsgerichte für den Investorenschutz (ISDS) lehne er ab. Es gebe in den über tausend Seiten des Abkommens Punkte, unter denen Mittelständler "sehr stark leiden könnten - bis hin zum Infarkt", warnte Ohoven.
Zusammengefasst: In den nächsten Tagen verhandeln die EU und USA weiter über das transatlantische Handelsabkommen. In zahlreichen deutschen Städten sind Zehntausende Menschen gegen TTIP auf die Straße gegangen. Die Grünen werteten den internationalen Aktionstag als Zeichen des wachsenden Widerstands.

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