Türkei-Besuch Wulff rügt Seehofer wegen Integrationsthesen

Bundespräsident Wulff: "Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil"
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesAnkara - Es ist der erste Besuch eines deutschen Staatsoberhauptes in der Türkei seit zehn Jahren - und Bundespräsident will in Ankara Zeichen setzen: Zum Auftakt seines Besuchs hat Wulff der These von CSU-Chef Horst Seehofer bezüglich der mangelnden Integrationsfähigkeit von Türken widersprochen. "Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil", sagte Wulff der türkischen Zeitung "Hürriyet" vom Dienstag. Die in Deutschland lebenden Türken rief er dazu auf, die deutsche Sprache zu lernen und das Grundgesetz anzuerkennen.
"Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch", sagte Wulff nach Angaben des Bundespräsidialamtes in einem Interview mit der türkischen Zeitung. Seehofer hatte zuletzt mit seiner Bemerkung, Zuwanderer aus der Türkei oder arabischen Staaten täten sich bei der Integration schwerer, weil sie aus "anderen Kulturkreisen" kommen, heftige Kritik auf sich gezogen.
Auf die Frage, ob Türken nicht integrierbar seien, sagte Wulff, es komme auf den einzelnen Menschen an. Der Staat müsse Angebote zur machen, die der Einzelne dann aber auch annehmen müsse. "In streng religiösen Milieus" gebe es unter Zuwanderern in Deutschland "nicht akzeptable Abschottungen und Auffassungen, die mit unserer Rechtsordnung nicht vereinbar sind".
Der Bundespräsident findet in Ankara ausgleichende Worte - in der deutschen Politik geht die Debatte um Integration und Zuwanderung unvermindert weiter: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat strengere Sanktionen gegen integrationsunwillige Migranten abgelehnt. Der "Passauer Neuen Presse" sagte die Ministerin, es gebe bereits "wirksame Sanktionsmöglichkeiten von Kürzungen der Sozialleistungen bis hin zur Beendigung des Aufenthaltsstatus". Diese Instrumente müssten nur angewendet werden. "Wir brauchen keine neuen Sanktionen" sagte die FDP-Politikerin.
Leutheusser-Schnarrenberger: "Seehofer will auf der Sarrazin-Welle surfen"
Ein besonderes Augenmerk müsse allerdings den Zwangsehen gelten, sagte Leutheusser-Schnarrenberger der Zeitung weiter. Zwangsverheiratung sei ein strafbares Verhalten. "Hier werden wir eine bessere gesetzliche Handhabe schaffen." Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Montag mitgeteilt, dass am Mittwoch kommender Woche mehrere Neuregelungen im Zuwanderungsrecht beschlossen werden sollen.
An Seehofer übte Leutheusser-Schnarrenberger heftige Kritik. "Der CSU-Chef will hier offenbar auf der Sarrazin-Welle surfen", sagte die Justizministerin. Der bayerische Ministerpräsident suche "nach einem Thema zur persönlichen Profilierung".
Die Politik will härter gegen "Integrationsverweigerer" vorgehen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nennt erste Fakten und beziffert die Zahl der Menschen, die trotz einer entsprechenden Verpflichtung nicht oder nur teilweise an Integrationskursen teilnehmen, mit 10 bis 20 Prozent. "Betrachtet man die Zahl der verpflichteten Kursteilnehmer, die einen Kurs nicht zu Ende führen, liegt diese bei zirka zehn Prozent", sagte die Sprecherin des Amtes, Rochsana Soraya, der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung". "Rund 20 Prozent der zur Teilnahme Verpflichteten haben den Integrationskurs nicht begonnen." Allerdings lasse sich die Zahl der Personen, die einen Integrationskurs tatsächlich abbrechen, nicht abschließend beziffern. Dies liege unter anderem daran, dass die Kurse aus unterschiedlichen Modulen bestünden.
In der Debatte um eine stärkere Zuwanderung ausländischer Fachkräfte sprach sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterdessen erneut für eine stärkere Zuwanderung ausländischer Fachkräfte aus. "Wir müssen ganz konkret werben, dass die Besten in unser Land kommen", sagte von der Leyen am Montag im "heute journal" des ZDF. Von der Leyen wies darauf hin, dass überall auf der Welt hochqualifizierte Fachkräfte umworben würden. "Das heißt: Wir müssen uns darum kümmern, dass sie hier willkommen sind", sagte sie. "Mir ist wichtig, dass wir nicht jeden ins Land lassen sondern schauen, wer passt zu uns", fügte die Ministerin hinzu.
Bayerns Innenminister Herrmann kritisiert die Wirtschaft
Die Ministerin widersprach dem CSU-Vorsitzenden Seehofer. Fachkräfte seien auch dann willkommen, wenn sie einen arabischen oder muslimischen Hintergrund haben: "Sie können aus allen Ländern kommen, wenn sie die Sprache beherrschen, wenn sie bereit sind, das Land voranzubringen. Wenn sie die Berufe haben, den Bildungsstand haben, den wir hier brauchen", sagte sie. Zugleich betonte sie, dass sie im Ziel mit Seehofer vollständig einig sei.
Zu wenige kommen nach Deutschland - und die Verantwortung dafür liegt nach Ansicht von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auch bei der Wirtschaft: Statt über Fachkräftemangel und mangelnde Zuwanderung zu klagen, müsse sich die Wirtschaft zuallererst selbst anstrengen, die Abwanderung deutscher Arbeitskräfte ins Ausland zu verhindern. "Es geht hier ganz offensichtlich nicht um ein Problem des deutschen Ausländerrechts oder der Politik, sondern um die Attraktivität der Arbeits- und Einkommensbedingungen", sagte Herrmann der "Passauer Neuen Presse".
Der Innenminister mahnte, "hierüber sollten manche deutschen Firmen einmal nachdenken. Es ist doch Unsinn, sehenden Auges deutsche oder europäische Spitzenkräfte nach Amerika abwandern zu lassen und für sie dann billigeren Ersatz aus Asien zu importieren." Mit Lohndumping könne niemand in Deutschland gehalten werden. Herrmann begrüßte zudem die Pläne der Bundesregierung, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in Deutschland zu erleichtern. Dies sei ein zentraler Punkt, um den Fachkräftebedarf in Deutschland zu befriedigen, sagte der CSU-Politiker und mahnte, auch die 23 Millionen Arbeitslosen in den anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht zu vergessen. Auch unter ihnen gebe es zahlreiche Fachkräfte. "Solange wir dieses ganze Potential nicht aktiviert und ausgeschöpft haben, brauchen wir über eine zusätzliche oder erleichterte Zuwanderung von Fachkräften aus anderen Kontinenten gar nicht zu reden."
Das neue Gesetz zur beschleunigten Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse soll nach Schavans Angaben bereits Anfang 2011 in Kraft treten. Das Verfahren soll in Zukunft maximal drei Monate dauern, die Ministerin verspricht sich davon die Anerkennung von bis zu 300.000 Fachkräften mit ausländischen Wurzeln, die bereits in Deutschland leben. Wenn die Fachkenntnisse der Bewerber nicht ausreichten, könnten sie nachqualifiziert werden.
Streit in der Koalition gibt es um ein mögliches Punktesystem zur Steuerung der Zuwanderung. Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, lehnte derweil das von der FDP geforderte System ab. "Ein Punktesystem ist im Vergleich zu den sehr differenzierten Zuwanderungsregelungen, die es bereits bei uns gibt, viel zu grob und für eine Feinsteuerung ungeeignet", sagte er der "Rheinischen Post". Die Ausbildung der jungen Menschen und die Qualifizierung der älteren Arbeitnehmer in Deutschland müssten grundsätzlich im Vordergrund stehen.
Auch der für Bildung zuständige stellvertretende Unionsfraktionschef Michael Kretschmer lehnt ein Punktesystem für Zuwanderer ab. Es sei schneller und effizienter, das jetzige Zuwanderungsrecht zu behalten und die Einkommensgrenze auf 40.000 Euro zu senken, sagte er der "Financial Times Deutschland". Bislang erhalten nur solche Zuwanderer eine Aufenthaltserlaubnis, die mehr als 66.000 Euro im Jahr verdienen.