Fall Peter Steudtner Altkanzler Schröder vermittelte bei Erdogan

Altkanzler Schröder und Erdogan (Archivbild von 2006)
Foto: DPAEs war eine Reise, die nur einem kleinen Kreis bekannt war. Eine Woche nach der Bundestagswahl suchte Altkanzler Gerhard Schröder den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf. Sein Ziel: die Freilassung der inhaftierten deutschen Staatsbürger Deniz Yücel, Mesale Tolu und Peter Steudtner.
Der SPD-Politiker Schröder war von seinem Parteifreund Sigmar Gabriel gebeten worden, die Reise anzutreten. Das erfuhr der SPIEGEL aus gut informierten Kreisen. Zuvor hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) über Schröders Engagement berichtet.
Außenminister Gabriel bemüht sich seit Monaten intensiv um eine Lösung in dem deutsch-türkischen Konflikt. Da die gegenseitigen öffentlichen Vorwürfe immer lauter wurden, entschied sich Gabriel, auf den geheimen Schröder-Kanal zu setzen.
Das Treffen mit Erdogan in Istanbul verlief erfolgreich. Schröder und Erdogan vereinbarten, dass die Außenminister der beiden Staaten weiter an einer Lösung arbeiten sollten. Diese war im Falle Steudtners offenbar am schnellsten möglich. Zur Bedingung machte die türkische Seite, dass sie nicht öffentlich in das laufende Gerichtsverfahren eingreifen wolle.
Wäre Steudtner verurteilt worden, so die Lesart der deutschen Seite, hätte die türkische Regierung anschließend von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Steudtner auszuweisen oder ihn sogar zu begnadigen.
Merkel war eingebunden
Doch dazu kam es nicht, denn das türkische Gericht setzte am Mittwochabend die Untersuchungshaft gegen Steudtner ohne Auflagen aus. Damit steht einer Ausreise des Menschenrechtlers nichts mehr im Wege. In der Bundesregierung geht man davon aus, dass die türkische Justiz einen klaren Hinweis aus dem Präsidentenamt bekommen hat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war von Anfang an in die Vermittlungsmission eingeweiht. Sie traf sich auch mit dem Altkanzler. Schröder hatte darum gebeten, als Beauftragter der gesamten Bundesregierung bei Erdogan intervenieren zu können - und nicht als Privatperson. Nur das, lautete Schröders Überlegung, könne ihm die nötige Autorität bei Erdogan verschaffen.
Merkel stimmte dieser Vorgehensweise zu. Erdogan hatte gegenüber deutschen Gesprächspartnern Schröder immer wieder als Freund der Türkei gelobt. Schröder sei, so Erdogan im kleinen Kreis, der einzige deutsche Politiker, dem man noch vertrauen könne.
Außenminister Gabriel bestätigte dem SPIEGEL den geheimen Auftrag an den Altkanzler: "Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar für seine Vermittlung. Es ist ein erstes Zeichen der Entspannung, denn die türkische Regierung hat alle Zusagen eingehalten. Nun müssen wir weiter an der Freilassung der anderen Inhaftierten arbeiten."
Steudtner soll am Donnerstag nach Berlin zurückkehren
Steudtner ist freiberuflicher Dokumentarfotograf und Filmemacher. Er wurde 1971 geboren und lebt mit seiner Freundin und zwei Kindern in Berlin. Er war am 5. Juli bei einem Workshop für Menschenrechtler in Istanbul festgenommen worden, bei dem er als Referent arbeitete. Seit Mitte Juli saß er in Untersuchungshaft. Ihm und seinen neun ebenfalls angeklagten Kollegen wird "Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen" vorgeworfen. Ihnen drohten bis zu zehn Jahre Haft.
Neben Steudtner sollen auch die Direktorin von Amnesty International in der Türkei, Idil Eser, und der in Berlin lebende schwedische IT-Spezialist Ali Gharavi aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Steudtner und Gharavi werden noch am Donnerstag in Berlin erwartet. Nicht freikommen soll dagegen der inhaftierte Amnesty-Vorsitzende in der Türkei, Taner Kilic. Gegen ihn soll am Donnerstag in Izmir ein weiteres Verfahren beginnen.
Derzeit sitzen noch die Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu und weitere Deutsche in türkischer Untersuchungshaft.
Zusammengefasst: Seit Juli saß der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner in der Türkei in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, terroristische Organisationen unterstützt zu haben. In der Nacht zu Mittwoch entschied ein Gericht in Istanbul, dass er aus der U-Haft entlassen wird. Die Freilassung hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder erwirkt. Bei einem Geheimbesuch in der Türkei sprach er auf Bitten von Außenminister Sigmar Gabriel mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan über den Fall.