Deutschtürkischer Aktivist "Die Meinungsfreiheit wird erstickt"

Der deutschtürkische Aktivist Ali Utlu schreibt auf Facebook und Twitter kritisch über Präsident Recep Tayyip Erdogan. Nun wird seine Familie in der Türkei bedroht. Hier schildert Utlu seinen Konflikt.
Zur Person
Foto: privat

Ali Utlu, 46, ist ein deutsch-türkischer Aktivist. Er wurde in Hessen geboren und lebt in Köln. In seinem Blog  sowie in den sozialen Medien schreibt er vor allem über die Türkei, Menschenrechte und Islam. Auf Twitter (@AliCologne) folgen ihm mehr als 19.000 Menschen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Utlu, Sie schreiben auf Twitter, Ihre Verwandten in der Türkei würden bedroht, weil Sie sich in Deutschland kritisch über Erdogan äußern. Was ist passiert?

Utlu: Meine Familie sagt schon seit Langem, dass sie wegen meiner Äußerungen Ärger bekommt. Aber jetzt rief mein Onkel an und sagte, dass der Druck zugenommen habe und dass sie massiv bedroht würden, weil ich die Türkei und Erdogan von Deutschland aus schlecht machen würde. Man hat ihnen gesagt, sie sollten dafür sorgen, dass ich aufhöre. Andernfalls werde man ihnen zeigen, was man mit Vaterlandsverrätern mache. Sie bitten mich nun, nichts mehr darüber zu schreiben.

SPIEGEL ONLINE: Werden Sie diesem Wunsch nachkommen?

Utlu: In der Türkei ist die Lage so, dass Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren, dass sie ausgegrenzt und geächtet werden, wenn sie in irgendeiner Form kritisch sind. Dabei reicht es, wenn ein Verwandter - in diesem Falle ich - kritisch ist. Es gibt also Sippenhaft. Solange ich nur für mich selbst Verantwortung trage, schreibe ich, was ich will. Aber jetzt gerate ich in die Situation, meine Verwandten in der Türkei schützen zu müssen. Also werde ich vorerst aufhören, über die Türkei zu schreiben.

SPIEGEL ONLINE: Anfang des Jahres standen türkische Männer in Anzügen vor Ihrer Wohnung und bedrohten Sie. Was hatte es damit auf sich?

Utlu: Ich hatte die Ereignisse in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 kritisch begleitet. Ein halbes Jahr später standen diese Männer vor meiner Wohnungstür in Köln und fragten, ob ich der Twitterer Ali Utlu sei. Ich bejahte. Daraufhin fingen sie an, mich zu beschimpfen und sagten mir, ich solle meinen Mund halten. Andernfalls könne es sein, dass ich im Rhein ende.

SPIEGEL ONLINE: Damals machten Sie eine Pause bei Facebook und Twitter.

Utlu: Ja, eine Zeitlang habe ich aufgehört. Aber dann dachte ich: Ich lebe in Deutschland und lasse mich nicht von diesen Leuten erpressen. Ich habe ein Recht, meine Meinung frei zu äußern. Auch über das, was in der Türkei geschieht.

SPIEGEL ONLINE: Nach den Drohungen gegen Ihre Familie in der Türkei wollen Sie nun aber wieder schweigen. Hat die Einschüchterungstaktik am Ende also Erfolg?

Utlu: Ich bin in einer Zwickmühle. Mein Herz sagt mir, ich solle denen, die keine Stimme haben, meine Stimme geben. Ich dürfe also nicht schweigen. Aber mein Verstand sagt mir, ich solle das sein lassen, da meine Verwandtschaft unter Druck gesetzt wird und damit auch ich in Geiselhaft genommen werde. Ich muss zugeben, dass ich an einem wunden Punkt getroffen werde. Um es drastisch zu formulieren: Ich verstehe, wie es 1933 sein konnte, dass eine Masse sich nicht erhebt gegen einen Diktator. Die Kontrolle ist so stark, selbst innerhalb von Familien, dass die Meinungsfreiheit erstickt wird.

SPIEGEL ONLINE: Wer steckt denn hinter den Drohungen?

Utlu: Vielleicht sind das Erdogan-Anhänger, vielleicht irgendwelche Nationalisten, Graue Wölfe oder so. Ich kann das nicht genau einschätzen. Unabhängig davon nehme ich das ernst. Einschüchterungen gab es in der Türkei schon immer. Ich erinnere mich an Besuche in der Türkei, nach dem Militärputsch 1980. Damals sagten mir meine Eltern: Pass auf, was du sagst, man weiß nie, wer alles zuhört. Aber heute, unter Erdogan, hat das ein neues Ausmaß.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich schon vor den letzten Drohungen gewissermaßen selbst zensiert?

Utlu: Die türkische Community in Deutschland ist sehr gespalten, viele Menschen leben inzwischen in Angst. Da passt man schon sehr genau auf, was man sagt. Man weiß ja nicht, wer was in die Türkei berichtet. Und man bringt, wie ich nun schmerzhaft lerne, nicht nur sich selbst, sondern seine Familie in Gefahr. Insofern: Klar habe ich mich selbst zensiert.

SPIEGEL ONLINE: Nun gehen Sie sehr offensiv damit um, dass Sie homosexuell sind und außerdem Ex-Muslim. Können Sie nachvollziehen, dass das Erdogan-Anhänger provoziert?

Utlu: Klar kann ich das nachvollziehen. Aber ich bestehe darauf, dass diese Leute das aushalten müssen. Mir wurde schon mal mitgeteilt, als Apostat und Homosexueller gehörte ich getötet. Ich bin bereit, einen Preis zu zahlen für meine Meinungsfreiheit, aber natürlich gehen solche Drohungen nicht. Leider fühlt man sich in Deutschland da oft im Stich gelassen.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Utlu: Es fehlt an Rückhalt vom Staat, man fühlt sich von der Politik alleine gelassen. In Deutschland gibt es von der Türkei geförderte Strukturen, in denen Menschen ausspioniert und unter Druck gesetzt werden. Ich sehe nicht, dass dagegen etwas getan wird.

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