Anhänger der Terrormiliz Wie Deutschland mit den IS-Rückkehrern umgehen soll

Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" im Irak
Foto: Stringer ./ REUTERSHunderte Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" sitzen in der Türkei in Haft. Darunter sind einige Extremisten mit deutschem Pass. Ankara will sie loswerden und hat mit der Abschiebung in europäische Länder begonnen. Am heutigen Donnerstag sollen die ersten Rückkehrer in Deutschland ankommen.
Die Behörden stellt das vor ein großes Problem: Sie wissen schlicht in vielen Fällen nicht, ob und wie stark die Rückkehrer sich an Straftaten der Terrororganisation beteiligt haben. Zudem handelt es sich teilweise um Familien mit Kindern.
Extremismus-Experte Thomas Mücke ist Begründer und Geschäftsführer des "Violence Prevention Network" (VPN). Der Verein arbeitet bundesweit mit Landes- und Justizministerien zusammen und kümmert sich um die Deradikalisierung von IS-Rückkehrern.
Im SPIEGEL-Interview fordert der Diplompädagoge, die Kinder von Rückkehrern ohne Vorbehalte wieder aufzunehmen - und warnt vor der dritten Generation der IS-Verdächtigen.
SPIEGEL: Geht von den IS-Verdächtigen, die in diesen Tagen nach Deutschland kommen, eine Gefahr aus?
Mücke: Das kann ich pauschal nicht beantworten und muss im Einzelfall bewertet werden. Grundsätzlich gilt: Nur weil es aktuell keinen Haftbefehl gibt, bedeutet das nicht, dass von diesen Personen keine Gefahr ausgeht. Neue Details, Zeugenaussagen oder andere Hinweise aus dem Umfeld oder Kampfgebieten können die Situation schnell ändern.
SPIEGEL: CDU-Innenpolitiker Armin Schuster fordert: Jeder Gefährder muss möglichst in Haft. Sind diese Rückkehrer in Ihren Augen Gefährder?
Mücke: Es muss ein Grund vorliegen, um sie in Untersuchungshaft zu nehmen. Den haben die Behörden bei den aktuellen Rückkehrern offenbar nicht. Deshalb kann man auch nicht so argumentieren wie Armin Schuster.
SPIEGEL: Schon bald könnten weitere IS-Anhängerinnen samt ihrer Kinder nach Deutschland zurückkehren. Wie geht man mit den Kindern um?
Mücke: Der Staat hat die Fürsorgepflicht für diese Kinder. Das haben Gerichte zuletzt mehrfach entschieden. Es gibt also eine Verpflichtung, Kinder zurückzuholen und sie in Sicherheit zu bringen. Die Kinder sind Opfer ihrer Eltern in diesem Fall. Sie können nichts dafür, dass die Eltern dem IS gefolgt sind. Daher sollten die Kinder ohne Vorbehalte wieder integriert werden. Da sind alle in der Gesellschaft gefragt.
SPIEGEL: Von wie vielen Kindern sprechen wir?
Mücke: Wir reden hier nach Schätzungen von 100 bis 130 Kindern, die nach Deutschland kommen könnten. Das ist eine überschaubare Zahl, die unsere Behörden nicht überfordert.
SPIEGEL: Wie sollte mit den Müttern umgegangen werden?
Mücke: Es gibt nicht per se die IS-Rückkehrerin oder die IS-Mutter. Eine Frau kann ausgereist sein und hat sich dann schlicht angepasst, obwohl sie nach kurzer Zeit gemerkt haben mag, dass die IS-Ideologie doch nicht ihrer Lebensweise entspricht. Und dann gibt es diejenigen, die sich stark mit der Ideologie identifiziert haben, am Terror beteiligt waren. Aber das müssen die Gerichte entscheiden.
SPIEGEL: Wie viele Fälle haben Sie und das VPN bereits betreut?
Mücke: Wir haben bislang 36 Rückkehrerinnen und Rückkehrer betreut. Von ihnen geht keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr aus, es hat zum Glück auch keinen Rückfall gegeben. Bei diesen Personen handelt es sich aber um IS-Anhänger der ersten und zweiten Generation. Sie sind zwischen 2013 und Ende 2015 ausgereist. Diese Gruppen waren meist nur kurze Zeit vor Ort und haben dann versucht, schnell zurückzukehren. Die dritte ist die schwierigste Generation.
SPIEGEL: Inwiefern?
Mücke: Sie sind zu einem späteren Zeitpunkt ausgereist, waren sehr stark in das System eingebunden und womöglich an schweren Verbrechen beteiligt. Sie wollten im Gegensatz zu den zwei vorherigen Generationen eigentlich nicht zurückkehren, der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien zwingt sie dazu. Wir haben kaum Erfahrung in der Zusammenarbeit mit diesem Personenkreis. Wahrscheinlich wird der Großteil dieser Rückkehrer in Haft kommen. Und das aus gutem Grund. Denn die Männer sind mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Von ihnen geht potenziell die größte Gefahr aus.
SPIEGEL: Kann diese Gruppe überhaupt wieder integriert und deradikalisiert werden?
Mücke: Da bin ich sehr vorsichtig mit der Prognose. Bei den Frauen dieser Generation werden wir ebenfalls abwarten müssen.
SPIEGEL: Wer überwacht nun die Rückkehrer, die ohne Haftbefehl einreisen?
Mücke: Alle Behörden: Landeskriminalämter, Staatsschutz, Jugendämter und Beratungsstellen, die sich um die Deradikalisierung kümmern. Wir arbeiten eng zusammen.