Türkei-Politik CSU-Politiker wütend über Westerwelles Alleingang

In der schwarz-gelben Koalition eskaliert der nächste Streit - der um die Türkei-Politik. Viele in der Union lehnen einen EU-Beitritt des Landes ab. Vor allem CSU-Politiker sind sauer, weil Außenminister Westerwelle der Regierung in Ankara Avancen machte.
Westerwelle (r.), Türkeis EU-Minister Egemen Bagis: "Nicht in kurzen Hosen"

Westerwelle (r.), Türkeis EU-Minister Egemen Bagis: "Nicht in kurzen Hosen"

Foto: MURAD SEZER/ REUTERS

FDP

Guido Westerwelle

Berlin/Wildbad Kreuth - Das Stück ist ein echter Klassiker. Besonders auf der Kreuther Schneebühne hoch oben überm Tegernseer Tal: Die CSU und die Frage des EU-Beitritts der Türkei. -Außenminister tat den Christsozialen mit seinem forschen Auftritt beim Staatsbesuch in Ankara den Gefallen, eine Neuauflage auch in der Saison 2010 zu ermöglichen.

"Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister, und was ich sage, das zählt", so Westerwelle bei seinem Türkei-Besuch. Und er versicherte, dass sich die deutsche Regierung in den EU-Beitrittsverhandlungen nicht querstelle, sondern es würden ergebnisoffene Gespräche geführt: "Darauf gebe ich Ihnen mein Wort."

CDU

Türkei

Nichts wirklich Neues. Im Koalitionsvertrag von , FDP und CSU ist schließlich auch von einem "Prozess mit offenem Ende" die Rede. Allerdings hat Westerwelle durch seine Intonation ganz offensichtlich für einen Beitritt der geworben.

In der CSU löste das Unverständnis aus: Markus Ferber, Europagruppenchef im Europäischen Parlament sagte SPIEGEL ONLINE: "Ich verstehe nicht, was der Außenminister in der Türkei macht." Man solle dort nichts versprechen, sondern "fordern, dass das von den Türken Versprochene mal eingelöst wird". Bernd Posselt, außenpolitischer Sprecher der CSU im Europäischen Parlament, griff die Befürworter eines türkischen EU-Beitritts scharf an: "Sie unterminieren die Europäische Integration und schaden gleichzeitig der Türkei, indem sie dort Illusionen züchten."

Alexander Dobrindt

Auch CSU-Generalsekretär warnte Westerwelle vor Zusagen: "Ich kann ihm nur raten, nicht wieder Geheimabsprachen zu treffen, wo wir dann die Scherben zusammenkehren müssen." Damit spielte er auf Westerwelles Antrittsbesuch in Polen an, bei dem er sich gegen die Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach gestellt hatte. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP), sagte, Dobrindts Äußerungen seien "völlig absurd" und "ehrenrührig".

Dobrindt seinerseits will die Frage nach einem EU-Beitritt der Türkei nun zum Thema in der Koalition machen. Die CSU habe immer deutlich gemacht, dass es bei dieser Frage in erster Linie um die Interessen Deutschlands und der Europäischen Union gehen müsse, sagte er der ARD. Dies erforderte auch Fairness gegenüber der Türkei: "Und dazu gehört auch die Ehrlichkeit dazu, dass wir die Überzeugung haben, dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei zur Europäischen Union nicht möglich ist."

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, bekräftigte die Ablehnung einer türkischen EU-Vollmitgliedschaft. "Darüber wird auch in der Koalition zu verhandeln sein", sagte er im WDR.

Auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth bekräftigte die CSU-Landesgruppe per Beschluss erneut das Nein zum Beitritt: "Die Türkei ist meilenweit von den notwendigen politischen und wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen für einen Beitritt entfernt." Um den "quälenden Beitrittsverhandlungen endlich ein Ende zu bereiten", solle dem Staat das Angebot einer "engen Anbindung an die europäischen Strukturen in Form einer Privilegierten Partnerschaft unterbreitet werden".

CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich war am Ende der Tagung bemüht, es nach dem Steuerstreit mit der FDP nicht zu einem weiteren Koalitionskonflikt kommen zu lassen. Seine Partei habe "seit eh und je eine klare Meinung" in der Sache, so Friedrich: "Wenn Herr Westerwelle eine andere Meinung hat, ist das auch sein Recht." Der Mann fahre doch nicht in die Türkei, "um die CSU zu provozieren".

Europäische Union

Außenminister Westerwelle jedoch blaffte am Freitag seinerseits aus Istanbul gegen den Koalitionspartner - und wies die CSU in ihre Schranken. "Das ist deutsche Innenpolitik. Das hat mit Außenpolitik nichts zu tun", sagte der FDP-Vorsitzende. Eine engere Anbindung der Türkei an die liege auch "in nationalem wohlverstandenen deutschen Interesse". Auf beiden Seiten sei jedoch "noch eine Menge Arbeit zu leisten".

Unterstützung erhielt Westerwelle aus der Opposition: Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bezog Position für ihn. Westerwelle habe in der Türkei "vernünftig und mit Weitblick agiert", sagte sie am Freitag in Berlin. Die Türkei brauche die Beitrittsperspektive für die EU. Der CSU sprach sie außenpolitische Kompetenz ab.

"Keine halbe Mitgliedschaft"

Recep Tayyip Erdogan

Die türkische Regierung reagiert entsprechend verstimmt auf die unterschiedlichen Töne aus Deutschland. Ministerpräsident lehnte bei Westerwelles Besuch erneut die Vorschläge aus der EU für eine Anbindung der Türkei ohne Vollmitgliedschaft als inakzeptabel ab. Sein Land werde sich nicht mit einer "halben Mitgliedschaft" zufrieden geben, sagte Erdogan in seinem Gespräch mit Westerwelle in Ankara, wie türkische Medien am Freitag meldeten.

Die Türkei werde der EU als Mitglied keine neuen Lasten aufbürden, sondern Lasten übernehmen, sagte Erdogan den Berichten zufolge. Der Regierungschef bekräftigte auch, die in EU-Staaten lebenden Türken sollten sich in die dortigen Gesellschaften integrieren. Er sei aber gegen eine "Assimilierung".

Aus der EU erhielt Ankara am Freitag positive Signale für einen Beitritt. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft will die entsprechenden Verhandlungen vorantreiben. "Wir haben vier Verhandlungsbereiche im Sinn, die wir während unserer Amtszeit zu eröffnen hoffen", sagte Spaniens Außenminister Miguel Ángel Moratinos. Die spanische Ratspräsidentschaft läuft bis Ende Juni.

Die Beitrittsverhandlungen mit Ankara sind in insgesamt 35 Bereiche unterteilt. Davon sind bisher zwölf eröffnet und erst eines geschlossen worden. Die EU-Außenminister haben zudem den Beginn von Verhandlungen in acht Bereichen blockiert, weil die Türkei immer noch nicht die eigenen Grenzen für Verkehr aus dem EU-Mitgliedsland Zypern geöffnet hat. Die Verhandlungen zu schließen oder zu öffnen, ist nur mit Zustimmung aller 27 EU-Regierungen möglich.

Moratinos zeigte sich zuversichtlich, dass Verhandlungen zwischen griechischen und türkischen Zyprern über eine Lösung des jahrzehntelangen Konflikts bereits in Kürze "positive Ergebnisse" bringen. "Wir sind sehr, sehr stark daran interessiert, dass dieser Konflikt beendet wird." Die EU erkennt den von den Insel-Türken im Norden Zyperns ausgerufenen Staat nicht an.

sef/ler/Reuters
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