Türkische Männergruppe "Liebe, was ist das überhaupt?"

Für Frauen gibt es Beratungsstellen - türkische Männer können oft nur in Teestuben über Probleme diskutieren. In Berlin-Neukölln bietet ein Psychologe Hilfe: In der Männergruppe geht es um Liebe, Sex, Kindererziehung - und Gabriele Pauli.

Berlin - Ali kommt, dann Mohammed, schließlich schiebt sich Hasan durch die Tür. Hinten an der Wand sitzt schon Yetis. Neue Stühle müssen geholt werden. In der Ecke köchelt Çay-Tee, Kekse stehen auf dem Tisch. An der Wand hängt ein Plakat mit der Aufschrift "Nein zur Gewalt", Jugendliche posieren darauf. Daneben ein Schild: "Liebe mich, wenn ich's am wenigstens verdiene, denn dann brauche ich es am dringendsten."

Es ist Männerabend in Berlin-Neukölln. Dursun, ein älterer Mann mit grauen Haaren, Gastarbeiter der ersten Generation, sitzt in einer Runde mit Männern wie Hasan, jung, Gel in den Haaren.

Einmal in der Woche lädt Kazim Erdogan, Berater des psychosozialen Dienstes, türkische Männer zur Gesprächsrunde in sein Büro. "Ich mache das seit einem Jahr und wir sind immer voll", sagt Erdogan. Denn viele könnten sonst nur in Teestuben reden. Oder gar nicht.

"Männer haben geweint wie kleine Kinder"

"Hier sprechen sie plötzlich über alles, über Sex, über Zärtlichkeit, über Kindererziehung, über Gewalt in der Ehe." Am Anfang sei er verblüfft gewesen über so viel Offenheit, sagt Erdogan. Bei den Gesprächen komme oft Überraschendes heraus: 95 Prozent aller Gewalt gehe von Männern aus, aber es gebe eben auch den umgekehrten Fall. "Hier bei mir haben Männer gesessen und geweint wie kleine Kinder, weil sie von ihren Frauen körperlich malträtiert wurden. Wissen Sie, was es heißt, wenn ein türkischer Mann weint?"

Erdogan spricht von Männern wie Osman*. Ein kleiner, schmächtiger Mann, er gestikuliert wild, seine Stimme klingt verzweifelt: Es werde immer nur über Frauen als Opfer berichtet, klagt er. Er selbst aber sei über Jahre hinweg von seiner Frau geschlagen worden. Sie habe ihn aus der Türkei nach Deutschland geholt, als Importbräutigam quasi. Solche Importpartner würden oft wie materielles Gut behandelt. "Bei mir war es im Grunde so, dass ich die Frau war und sie der Mann." 16 Jahre habe er die Schläge seiner körperlich übermächtigen Frau ausgehalten. "Dann bin ich gegangen."

Osman ist eine Ausnahme, weil er von seiner Frau verprügelt wurde. Aber alle Männer, die an diesem Abend hier sind, haben Probleme. Sechs der 15 haben sich scheiden lassen, "und bei allen anderen", sagt Leiter Erdogan, "steht die Ehe auf sehr wackligen Füßen."

"Wir haben die Achtung voreinander verloren"

Da ist Ali, dem seine Frau vorgeworfen hat, sie nur geschwängert zu haben, weil er in Deutschland bleiben wollte. Da ist Mohammed, der von seiner krankhaft eifersüchtigen Frau berichtet. "Ich wollte mich wegen dieser Probleme schon umbringen", sagt er.

Er habe das Gefühl, dass die Ehen heute zu schnell zu Ende gingen, oder wie könne es sein, dass diese Ministerin - er meint Gabriele Pauli - vorgeschlagen hat, die Ehe auf sieben Jahre zu befristen?, fragt einer der Männer, grauer Pulli, müde Augen. "Unsere Omis und Opis haben 40 oder 60 Jahre zusammengelebt, obwohl sie nur eine Kartoffel am Tag hatten. Und heute hat man alles und trennt sich. Wieso ist das so?"

Die anderen Männer blicken nachdenklich vor sich hin. Eine kurze Pause, bis sich Hasan, breite Schultern, grüne Sweatshirtjacke, meldet: "Ich glaube, dass es daran liegt, dass wir die Achtung voreinander verloren haben." Und daran, dass Frau und Mann sich oft nicht kennen, bevor sie heiraten. Häufig seien auch die Eltern Schuld, sie seien ungebildet, würden ihren Kindern nichts mitgeben. "Bei den Eltern gibt es keine Liebe, viele Eltern nehmen sich keine Zeit, um sich um ihre Kinder zu kümmern", sagt Hasan. Wie sollten Jugendliche da lernen, was Partnerschaft heißt?

"Früher musste man sich zusammenreißen"

Yetis, rundes Gesicht, schwarze Lederjacke, ergreift das Wort: "Wenn Schwiegereltern über das kleinste Detail in der Ehe ihrer Kinder bestimmen, bis hin zur Farbe der Bettwäsche, dann ist doch klar, dass die Ehe kaputtgeht." Wenn Eltern sich in alles einmischten, dann könnten ihre Kinder kein Verantwortungsgefühl und kein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln.

Dass es an den Eltern liegt, an der mangelnden Zeit - Dursun, dreifacher Großvater, will das nicht glauben. Seiner Meinung nach liegt es an der Frauenbewegung der siebziger Jahre, dass so viele Ehen scheitern. Seitdem könnten sich Frauen an Frauenhäuser wenden. Früher habe es auch Streit gegeben, aber nicht diese Beratungsstellen. "Man war gezwungen, sich zusammenzureißen", sagt Dursun. Die deutsche Gesellschaft habe die Türken nicht integriert, sondern Assimilation erzwungen, sagt er.

Eine einzige Frau sitzt in der Runde, sie begleitet heute ihren Sohn, der um das Sorgerecht für seinen zweieinhalbjährigen Sohn kämpft. Jetzt erklärt sie ihre Sicht der Dinge: Junge Türkinnen in Deutschland würden sich ihre Opfer aussuchen, sich von ihren Auserwählten die Wohnung luxuriös einrichten lassen, um schließlich den Ehemann vor die Tür zu setzen. Ihnen ginge es nur darum, eine möglichst pompöse Hochzeit zu haben, in der Klatschpresse abgebildet zu sein. "Sie beuten die Männer aus", sagt die Frau, in ihrer Stimme schwingt Bitterkeit mit.

"Durch Drängen kann keine Nähe entstehen"

Nach Erdogans Erfahrung läuft bei vielen Paaren schon die Phase des Kennenlernens schief, denn die werde häufig einfach übersprungen. Bei vielen Eheschließungen zwischen türkischen Migranten gehe es nur darum, wer wie gekleidet sei. Um Statussymbole, um "BMW-Ehen". Aber moderne Klamotten bedeuten eben nicht, dass auch die Denkweise fortschrittlich ist, sagt Erdogan. "Viele sind dann überrascht, wie zurückgeblieben die Einstellungen des Ehepartners sind." Oft setzen die Männer Liebe mit der sexuellen Bereitschaft der Frau gleich, sagt Erdogan. "Wenn sie mit mir schläft, dann liebt sie mich auch, denken sie." Frauen seien für viele türkische Männer Sex-Maschinen. Man habe es versäumt, das Thema Liebe zu definieren - was ist das überhaupt?

Entwurzelung, Emanzipation, Ausbeutung: So unterschiedlich die Meinungen darüber sind, warum Ehen zerbrechen, so klar ist doch das Grundproblem, vor dem die Männer in der Beratungsgruppe stehen: Die meisten von ihnen konnten nicht aus Liebe heiraten - weil ihre Ehe arrangiert wurde, oder weil sie keine Zeit hatten, den Partner kennenzulernen.

Aber warum suchen noch immer viele in Deutschland lebende Türken für ihre Kinder Ehepartner in der alten Heimat? Ali, ein etwa 50-jähriger Mann, versucht sich an einer Erklärung: Die Erfahrung zeige doch, dass Ehen zwischen in Deutschland aufgewachsenen Partnern schwierig seien. Allerdings, so schränkt Ali ein, "durch Drängen und Zwang kann keine Nähe entstehen. Irgendwann ist man erwachsen und muss sich fragen: Habe ich den Menschen an meiner Seite überhaupt jemals geliebt?" Fast zwei Stunden sind vergangen. Die Teegläser werden abgeräumt. Die Männer verabschieden sich: "Bis nächste Woche."

Kazim Erdogan hat schon ein neues Projekt - eine zweite türkische Männergruppe im Süden Neuköllns zu organisieren - und eine weitere Runde mit einem arabischsprachigen Leiter.

*Name geändert

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