Turbulente Sitzung Die unglaubliche Geschichte eines verrückten Atom-Aufstands

Es wurde gestritten und geschrien - flossen auch Tränen? Kam es zu Handgreiflichkeiten? "Cicero" berichtet von skurrilen Szenen bei einer turbulenten Sitzung des Umweltausschusses im Bundestag. Die Linksfraktion weist vehement zurück, dass sich Abgeordnete danebenbenommen haben.
Linke-Parlamentarier Lenkert: "Einseitige und verdrehte Darstellung"

Linke-Parlamentarier Lenkert: "Einseitige und verdrehte Darstellung"

Foto: Martin Schutt/ picture-alliance/ dpa

Hamburg - Von "Tricks und Täuschungen" war nachher die Rede. Von "Rüpelmanieren", "Streitereien von allen Seiten" und davon, dass es "nervlich sehr anstrengend" war.

Viele, die bei der Nachtsitzung des Bundestags-Umweltausschusses am 26. Oktober dabei waren, regten sich noch Tage später auf. Vor allem Vertreter von SPD, Grünen und der Linken.

Atomlaufzeiten

Es ging um ein umstrittenes Thema: die Energiepolitik der Bundesregierung und die Verlängerung der . Die Koalition wollte ihre Pläne schnell durchdrücken, weil sie sich unter Zeitdruck sah. Laut Geschäftsordnung des Bundestages muss der Ausschuss zwei Tage vor der letzten Lesung sein Votum über Gesetze abgeben - und für den 28. Oktober war die Abstimmung im Plenum anberaumt.

Im Ausschuss wurden mündliche Anträge von Grünen-Politikern abgebügelt, ebenso Geschäftsordnungsanträge. Von einer angemessenen Ausschussberatung konnte nach Auffassung der Opposition nicht die Rede sein. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin wetterte über "Rüpelmanieren, die man nur von Stammtischen oder aus dem ukrainischen Parlament kennt".

Dem Magazin "Cicero" zufolge spielten sich am selben Abend aber noch weitere turbulente Szenen ab. "Nachts im Reichstag: Tränen, Sabotage und Handgemenge", ist der Artikel überschrieben. Im Text steht, die Opposition habe versucht, zuerst mit Worten und "später buchstäblich: nach Leibeskräften, den vorgeschriebenen Weg des Gesetzentwurfs von Ausschuss in den Plenarsaal zu blockieren".

Lahmgelegte Kopierer

Spätestens um Mitternacht mussten die Drucksachen in den Fächern der Parlamentarier liegen, um das Gesetz nach dem Willen von Union und FDP planmäßig am 28. Oktober zu beraten und zu verabschieden. Dem Magazin zufolge gab es an dem Abend nicht nur eine Flut von Anträgen - sondern auch ein technisches Problem: Die Kopierer im Ausschusssekretariat funktionierten nicht. Die Stecker waren gezogen und die Verbindungskabel entfernt worden. Unbekannte hatten demnach die Geräte "durch einen Sabotageakt gezielt lahmgelegt".

Nach der Ausschusssitzung kam es dem Bericht zufolge zu denkwürdigen Szenen. Eine Gruppe von Linken-Abgeordneten stellte sich demnach den Saaldienern des Bundestages in den Weg, "als diese die Fächer mit den Drucksachen füllen wollten". Anführer sei ein Werkzeugmacher aus Jena gewesen, der Augenzeugen zufolge "stark nach Alkohol roch". Es sei "zu Handgreiflichkeiten" gekommen. Die Bundestagspolizei habe einschreiten müssen. "Die Sache wurde zwar aktenkundig, aber bislang unter der Decke gehalten."

Die Linksfraktion wies den Bericht umgehend scharf zurück: "Eine solche Räuberpistole glaubt die Redaktion doch selbst nicht." Die Geschichte sei "erstunken und erlogen", steht in einer Pressemitteilung. Der Linken-Parlamentarier Ralph Lenkert - der Werkzeugmacher aus Jena - habe nach der Ausschusssitzung um Mitternacht prüfen wollen, ob die Ausschussfassung des Gesetzes in den Fächern lag. Dies sei nicht der Fall gewesen. "Der Abgeordnete und Mitarbeiter der Linksfraktion konnten dementsprechend eine fristgemäße Verteilung gar nicht verhindern, weil diese nicht stattgefunden hat."

"Daran stimmt fast nichts"

Der "Cicero"-Bericht enthalte eine "einseitige und verdrehte Darstellung", sagt Lenkert SPIEGEL ONLINE. Von Handgreiflichkeiten könne keine Rede sein. Er selbst habe die Bundestagspolizei eingeschaltet, und zwar aus folgendem Grund: Als er vor den Fächern der Bundestagsabgeordneten gestanden habe, seien um kurz nach Mitternacht und somit nicht mehr fristgemäß zwei Mitarbeiter des Bundestages mit den gedruckten Dokumenten aufgetaucht. Ihre Bundestagsausweise hätten sie nicht offen sichtbar getragen. Er habe schließlich die Bundestagspolizei alarmiert - auch um für eine mögliche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz Belege dafür zu haben, dass die Frist nicht eingehalten wurde.

Lenkert war an jenem Abend nach eigenen Worten "sehr frustriert" über die Abläufe im Ausschuss. Gegen den Alkoholvorwurf wehrt er sich: "Das würde ich auch schreiben, wenn ich jemanden diskreditieren wollte." Er habe an dem Abend lediglich ein Bier getrunken.

Eva Bulling-Schröter

Auch Lenkerts Parteifreundin dementiert den "Cicero"-Bericht, in dem es heißt, sie habe als Vorsitzende des Umweltausschusses zum Schluss "Übersicht und Fassung" verloren und sei daraufhin weinend aus dem Saal gelaufen und auf die Damentoilette geflüchtet. "Daran stimmt fast nichts. Zutreffend ist lediglich, dass ich auf der Toilette war und dass ein Kabel an den Kopierern fehlte."

Der Grünen-Politiker Trittin habe sich inzwischen bei ihr dafür entschuldigt, dass er damals gesagt hatte, Bulling-Schröter sei von Unionspolitikern im Ausschuss derart gemobbt worden, "dass sie unter Tränen den Saal verlassen musste". Dass nun "Cicero" diese Darstellung wieder aufnehme, sei "eines so bekannten Magazins nicht würdig".

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