TV-Duell Sympathiepunkte für den Kanzler
Berlin - Man könne Kirchhofs Pläne nicht "ernsthaft" als eine "Vision" bezeichnen, sagte Gerhard Schröder (SPD) in dem von vier Fernsehsendern übertragenen TV-Duell. Man dürfe die Bürger in Deutschland nicht zu "Versuchskaninchen" für riskante Steuerpläne machen. Es sei unsozial, von Millionären und Krankenschwestern den gleichen Steuersatz zu verlangen. Die Zeche müssten bei einem Unions-Wahlsieg Schichtarbeiter, Polizisten und Feuerwehrleute bezahlen. Für den Kanzler war die Argumentationslinie klar: Die Union hat sich mit ihrem Kandidaten für das Finanzministeramt vergriffen.
"Gut, dass da einer eine Vision hat"
Angela Merkel (CDU) wehrte sich nach Kräften: Kirchhofs Streichliste mit mehr als 400 Steuervergünstigungen werde nicht geheim gehalten. "Es hält überhaupt niemand eine Liste unter Verschluss", sagte sie. Wer Kirchhofs Pläne nachlesen wolle, könne in "jede Bahnhofsbuchhandlung" gehen, und sich über Ausnahmen im Steuerrecht informieren. Merkel verteidigte die Vorschläge Kirchhofs. "Wenn wir nicht Menschen haben, die weiterdenken, dann wird es Deutschland im internationalen Maßstab nicht gut gehen." Es sei gut, "dass da einer eine Vision hat".
Die CDU-Politkerin betonte aber auch, dass das Wahlprogramm der CDU/CSU Vorrang vor den Plänen Kirchhofs habe. "Erst einmal gilt das Regierungsprogramm von CDU und CSU", sagte sie. Die Kanzlerkandidatin rechnet damit, dass der parteilose Kirchhof bald in die CDU eintritt. "Das wird schneller passieren als manch einer erwartet", sagte Merkel. Die CDU-Politikerin betonte, dass Schröder an seinen Versprechungen gemessen werde. Davon sei er "meilenweit entfernt".
Im ersten und einzigen TV-Zweikampf dieses Wahlkampfs stritten die Kandidaten heftig, zeitweise bis hinein in die kleinsten Details. Zuweilen entstand der Eindruck, zwei Regierungsbeamte würden sich in der Bundestags-Kantine um das richtige Steuersystem zanken, abseits jeder Rücksichtsname auf die Zuschauer. Erst im Laufe des Gesprächs gewann die Diskussion an Konturen, traten die grundsätzlich unterschiedlichen Konzepte der Kontrahenten zum Vorschein.
Eine erste Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sah Schröder als klaren Halbzeitsieger des TV-Duells. Nach der Erhebung für das ZDF erklärten 46 Prozent der Befragten nach der ersten Hälfte der Fernsehdiskussion, der Amtsinhaber habe besser abgeschnitten. Merkel sahen nur 27 Prozent als Sieger. Ebenfalls 27 Prozent sagten, beide hätten gleich gut abgeschnitten. Laut der Umfrage konnte Schröder vor allem bei den Werten für Glaubwürdigkeit und für Sympathie punkten, bei der Kompetenz für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit lag demnach allerdings Merkel vorn.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Blitzumfrage des Fernsehsenders Sat.1. Demnach erhielt Schröder bei der Frage nach der Kompetenz 57 Prozent, Merkel 34 Prozent. In der Kategorie Sympathie bekam er 56 Prozent, Merkel 34 Prozent.
Das Institut Infratest dimap sah Schröder in einer Umfrage für die ARD als Sieger in den meisten Punkten. Demnach war Schröder für 49 Prozent der 1276 Befragten "überzeugender" als Merkel (33 Prozent). Bei der Mehrzahl der Einzelfragen lag Schröder vorne: Rentenpolitik (51:37 Prozent), Familienpolitik (40:50), Äußeres (71:19), Steuern (49:38), Arbeitsmarkt (35:46).
Merkel verteidigte in dem TV-Duell die Pläne der Union zur Erhöhung der Mehrwertsteuer, um im Gegenzug die Lohnnebenkosten bereits zum 1. Januar 2006 zu senken. Schröder kritisierte die Steuererhöhungspläne und versicherte, man könne sicher sein, dass eine von ihm geführte Regierung die Mehrwertsteuer nicht anheben werde. "Ihr Finanzierungskonzept, Frau Merkel, ist wahrlich auf Sand gebaut", sagte Schröder.
Zuvor hatten Schröder und Merkel über die hohen Benzinpreise diskutiert. Der Kanzler warf den Mineralölkonzernen unverantwortliches Handeln vor. Auch sie hätten eine ethische Verantwortung für die Gesellschaft. Merkel sah das ähnlich, ungeachtet offensichtlicher Gegensätze in der Steuerpolitik. Die Unions-Kandidatin sagte, im Falle eines Wahlsiegs werde sie die von Rot-Grün eingeführte Öko-Steuer beibehalten: "Wir können jetzt die Rentnerinnen und Rentner nicht im Regen stehen lassen." Mit großen Teilen der Ökosteuer wird der Rentenbeitrag stabilisiert.
Beim Thema Arbeitsmarkt sprach sich Merkel für weitere Reformen auf dem Arbeitsmarkt aus. Mit Verweis auf eine Arbeitslosenzahl von fünf Millionen sagte die CDU-Vorsitzende. "Jetzt können wir doch nicht stehen bleiben." Sie wehrte sich dabei gegen den Vorwurf sozialer Kälte: "Sozial ist, was Arbeit schafft." Änderungen etwa beim Kündigungsschutz kämen denjenigen zugute, die jetzt keine Beschäftigung hätten.
"Auf dem richtigen Dampfer"
Schröder verteidigte seine Sozialreformen, die seit April zu wirken begonnen hätten. Deutschland sei jetzt "auf dem richtigen Dampfer". Der Kanzler betonte, die Einschnitte ins Sozialsystem unter Rot-Grün seien ihm schwer gefallen. "Ich weiß, wo ich herkomme", sagte er mit Blick auf seine Herkunft aus einer Arbeiterfamilie.
Der SPD-Politiker räumte ein, dass unter Rot-Grün sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren gegangen seien. In der Zahl der fünf Millionen Arbeitslosen steckten auch rund 400.000 Menschen, die vorher Sozialhilfe bezogen hätten und vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen gewesen seien, erklärte er. Merkel bekannte sich zu den Arbeitsmarktreformen, die die CDU mitgetragen habe. Man könne sich aber jetzt nicht "einfach hinsetzen und warten, dass die Reformen wirken", betonte sie.
Konträre Positionen vertraten die beiden Politiker auch bei der Frage nach der Rolle der Türkei in Europa. Während sich Merkel für eine "privilegierte Partnerschaft" anstelle einer Vollmitgliedschaft aussprach, forderte Schröder eine Vollmitgliedschaft der Türkei. Das Land sei von einer hohen "geostrategischen" Bedeutung. Eine Einbeziehung des Landes in die EU könne zu einem "Sicherheitszuwachs" führen. Merkel begehe mit ihrer Forderung "einen außenpolitischen Fehler sondergleichen", sagte Schröder.
Der Kanzler verteidigte auch die Kritik seiner Frau an Merkel. Der SPD-Politiker sagte, er sei "stolz" darauf, dass sich Doris Schröder-Köpf als politische Journalistin in notwendige Diskussionen einmische. "Meine Frau sagt, was sie denkt, und lebt, was sie sagt", betonte Schröder.
Schröder-Köpf hatte in einem Interview gesagt, Merkel verkörpere mit ihrer Biografie nicht die Erfahrungen der meisten Frauen, die Familie und Job unter einen Hut bekommen müssten. "Das ist nicht Merkels Welt", meinte die Kanzlergattin. Sie gab der CDU-Chefin auch eine Mitschuld an der geringen Geburtenzahl in Deutschland, da sie als zuständige Ministerin im Kabinett Kohl keine frauen- und familienfreundliche Politik gemacht habe.
Beide Kandidaten präsentierten sich in dem Streitgespräch kämpferisch und betonten ihre Gewissheit, nach der Wahl am 18. September die Regierung zu stellen. Schröder räumte ein, dass die derzeitigen Meinungsumfragen nicht "rosig" für die rot-grüne Regierung seien. Aber er habe noch nie "vorzeitig" aufgegeben und wolle seine ganze Kraft für einen Wahlsieg einsetzen - die sei "erheblich". Merkel dagegen betonte, dass Schröder nach dem 18. September "keine Rolle" mehr in der SPD spielen werde. Sie habe ihre Partei "auf einen Modernisierungskurs geführt", das Gleiche traue sie sich "auch für Deutschland zu", sagte Merkel. Sie warb für eine unionsgeführte Regierung und einen "Wechsel zum Wohl des Landes".