Überwachung Innenminister Friedrich greift nach Maut-Daten

Ungeachtet der NSA-Affäre fordert Innenminister Friedrich weitergehende Befugnisse für deutsche Sicherheitsbehörden. Der CSU-Politiker will die Polizei auf Millionen Datensätze aus dem Mautsystem zugreifen lassen. Bislang sind diese Informationen für die Ermittler tabu.
Mautbrücke: Erhalten die Behörden Zugriff auf die Daten?

Mautbrücke: Erhalten die Behörden Zugriff auf die Daten?

Foto: Jan Woitas/ dpa

Berlin - Von Reisenden auf deutschen Autobahnen könnten demnächst umfassende Bewegungsprofile erstellt werden. Nach Plänen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sollen Sicherheitsbehörden künftig auf Millionen Datensätze aus dem Mautsystem zugreifen können. Dies geht aus einem Forderungskatalog der Union für die Arbeitsgruppe Innen und Justiz der Koalitionsverhandlungen hervor. Das Papier liegt SPIEGEL ONLINE vor.

Bislang dürfen die Mautdaten des Betreiberkonsortiums Toll Collect ausschließlich zur Bezahlung der Lkw-Autobahngebühren genutzt werden. Die Union bemängelt, dass eine Weitergabe an andere Ämter strikt untersagt ist. "Damit haben Sicherheitsbehörden auch zur Aufklärung von Kapitalverbrechen oder zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben keinen Zugriff", heißt es in dem 30-seitigen Verhandlungspapier. Ziel sei nun die "Aufhebung der strengen Zweckbindung".

Am Nachmittag wollen die Innenexperten von Union und SPD in der Arbeitsgruppe 10 ihre Verhandlungen fortsetzen. Das Bundesinnenministerium bestätigte, dass die Maut-Forderung Teil der Unionsvorschläge für die Gespräche mit den Sozialdemokraten ist.

"Für die Sicherheitsbehörden ist es wichtig, Verbrecher effektiv verfolgen zu können", so ein Sprecher von Innenminister Friedrich. "Für diese Strafverfolgung benötigen sie eine moderne IT, um nicht noch weiter hinter die Möglichkeiten des polizeilichen Gegenübers zurückzufallen." Der Zugriff auf Mautdaten könne Ermittlungen erheblich beschleunigen.

"Entscheidende Hinweise"

Republikweit werden an Mautkontrollpunkten auf 12.800 Kilometern Bundesautobahnen und 5400 Abschnitten Kontroll- und Fahrdaten von Millionen Fahrzeugen automatisch erfasst. "Gerade bei der Aufklärung schwerer Verbrechen können diese entscheidende Hinweise auf den Täter und seinen Fluchtweg geben", heißt es in dem Papier.

Eine solche Form der Überwachung aber hatten der Gesetzgeber und die Betreiber des Toll-Collect-Systems bei seiner Einführung im Jahr 2005 ausgeschlossen. Die Daten aus der Mauterfassung laufen auf streng gesicherten Servern ein und werden umgehend gelöscht, sofern sie nicht für Abrechnungszwecke benötigt werden. Noch in einem internen Papier aus dem Jahr 2011 pries der Betreiber Toll Collect die Daten als "beschlagnahmefest".

Friedrich will nun die strenge Zweckbindung aufheben und so die Daten den Sicherheitsbehörden zugänglich machen. Im sogenannten Auto-Transporter-Fall hätten die Mautdaten eine Aufklärung der Schüsse eines Serientäters auf fahrende Lkw "bewirken und weitere schwere Gefahren verhindert werden können", heißt es in dem Dokument.

Tatsächlich musste die Sonderkommission "Transporter" des Bundeskriminalamts (BKA) im vergangenen Jahr bei ihren Ermittlungen auf eine extrem aufwendige Fahndungsmethode zurückgreifen, die dem Mautsystem ähnelte. Die zeitweilig hundert Mann umfassende Truppe jagte lange einen Unbekannten, der seit 2008 mindestens 762-mal auf deutschen Fernstraßen um sich geschossen und dabei eine Frau in den Hals getroffen hatte.

Erst als die Ermittler Geräte zur Erfassung von Kfz-Kennzeichen anmieteten und an Autobahnen aufstellten, gelang der Durchbruch. Die Technik führte die Fahnder nach einigen weiteren Schüssen zu einem Lastwagen und damit auch zu dem Täter Micha K. Mit den Verbindungsdaten aus dessen Telefon gelang dann ein fast lückenloses Bewegungsprofil.

Am Ende schnappten die Fahnder den 57 Jahre alten Lkw-Fahrer aus dem nordrhein-westfälischen Kall, der aus "Ärger und Frust im Straßenverkehr" abgedrückt hatte, wie BKA-Präsident Jörg Ziercke sagte.

Sollte Friedrich sich mit seinen Forderungen durchsetzen, wäre ein solcher Aufwand demnächst nicht mehr nötig. Datenschutzexperten halten die Pläne allerdings für bedenklich, vor allem im Hinblick auf die von der CSU geforderte Ausweitung der Maut auf Autos.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten