Ukraine-Demo in Berlin Eine Friedensbewegung gegen Putin – und gegen Wagenknecht

In Berlin demonstrieren mehr als zehntausend Menschen dafür, der Ukraine auch mit Waffen weiter Beistand zu leisten. Die Botschaften richten sich nicht nur an den Aggressor aus dem Kreml.
Demonstrierende vor dem umbenannten »Café Kyiv« am Freitag in Berlin

Demonstrierende vor dem umbenannten »Café Kyiv« am Freitag in Berlin

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Fabian Sommer / dpa

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Das »Café Moskau« in der Karl-Marx-Allee heißt jetzt »Café Kyiv«. Ein Symbol aus den Sechzigern, das einst »die Brüderlichkeit zwischen DDR und Sowjetunion« würdigen sollte .

An diesem Freitagnachmittag könnte der Kontrast kaum größer sein. Tausende Menschen haben sich vor dem denkmalgeschützten Gebäude im Osten Berlins versammelt, ein Meer aus Blau und Gelb. Viele von ihnen sind Frauen, geflüchtet vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Rund um den Jahrestag wird das Café vier Tage lang zum Symbol.

»Die müssen sich an die russische Regierung wenden«

In mehreren Meter Höhe, vor dem überdeckten Schriftzug des »Café Moskau«, steht Ralf Fücks auf einer fahrbaren Bühne und brüllt ins Mikrofon. »Für alle, die wollen, dass dieser Krieg aufhört: Die müssen sich an die russische Regierung wenden«, ruft Fücks. »Die sollen die Waffen niederlegen.«

Fücks war Aktivist der Friedensbewegung, als noch Kalter Krieg in Europa herrschte, bis 2017 leitete er die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung. Heute hat er über sein »Zentrum Liberale Moderne« zur Demo aufgerufen, zusammen mit dem ukrainischen Bündnis »Vitsche«. Und dreht bei der Gelegenheit einen alten Spruch um: »Frieden schaffen mit Waffen!«

Ralf Fücks vor dem »Café Kyiv« in Berlin

Ralf Fücks vor dem »Café Kyiv« in Berlin

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Jean MW / Future Image / IMAGO

In der Menge vor dem »Café Kyiv«: SPD-Chefin Saskia Esken, CDU-Generalsekretär Mario Czaja und gleich mehrere Mitglieder der Grünenspitze.

»Ein Beleg dafür, dass die demokratischen Parteien für Frieden stehen«, ruft Grünenchef Omid Nouripour. Dies sei »die eine große Friedensdemonstration an diesem Wochenende in Berlin«.

Ein Signal an Wagenknecht

Sahra Wagenknecht dürfte das anders sehen. Die Linkenpolitikerin mobilisiert zusammen mit der Feministin Alice Schwarzer für eine Großdemo am Samstagnachmittag, man träumt von einer neuen Friedensbewegung. »Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen«, heißt es in der Petition, die mittlerweile gut 630.000 Unterschriften hat.

Der Jahrestag des russischen Überfalls hat die großen Fragen wieder in den Mittelpunkt gerückt: Wie lässt sich der Krieg beenden? Mit westlichen Kampfpanzern? Oder mit Verhandlungen?

»Frieden ist nicht, wenn man so tut, als wären Diplomatie und Waffen Gegensätze«, sagt Nouripour. »Frieden ist, wenn das eine Volk sich basierend auf dem Völkerrecht gegen die Aggression wehren kann. Wenn die Menschen der Ukraine ihre Würde, ihre Freiheit, ihre Souveränität zurückerlangen können.«

Die Botschaft geht in zwei Richtungen: Wladimir Putin soll nicht glauben, dass er mit seinem Krieg durchkommt. Und diejenigen in Deutschland, die der Ukraine lieber keine Waffen liefern wollen, sollen ihren Friedensbegriff hinterfragen. »Erleben die Leute in der Okkupation Frieden? Das ist kein Frieden, das ist Putinismus«, ruft Nouripour, »und den dürfen wir nicht zulassen.«

Die Sorge vor einer weiteren Eskalation wächst

Der Grünenchef argumentiert gegen ein wachsendes Unbehagen an, das sich in Deutschland breitzumachen scheint. Die Mehrheit für mehr und mehr Waffen für die Ukraine ist geschmolzen. Etwa die Hälfte der Deutschen befürchtet , dass durch die Lieferungen von Kampfpanzern die Gefahr eines russischen Angriffs auf westliche Staaten steigt.

Besonders groß ist die Ablehnung in den ostdeutschen Bundesländern. Dort hat Sahra Wagenknecht besonders viele Fans. Auch unter Menschen, die sonst lieber AfD wählen, was die Linkenpolitikerin regelmäßig in Erklärungsnot bringt.

Was Wagenknecht bislang auch nicht zu erklären vermochte : wie Verhandlungen mit jemandem wie Wladimir Putin gehen sollen, der offensichtlich nicht verhandeln möchte.

Die Demos rund um den Jahrestag des russischen Überfalls sind deshalb auch ein Wettbewerb um die Deutungshoheit. In Berlin kamen am Freitag nach Polizeiangaben mehr als 10.000 Menschen zusammen. Was, wenn es am Samstag bei Wagenknecht doppelt so viele werden?

»Pure Heuchelei«

»Viele unterschrieben diese Aufrufe aus Unwissenheit«, meint die ukrainische Aktivistin Slavia Krawez, »oder weil es sich einfach nach einer schnellen und billigen Lösung anhört.« Diese Aufrufe als Solidarität mit der Ukraine zu bezeichnen, sei »pure Heuchelei«, ruft sie von der rollenden Bühne.

Die ukrainische Bevölkerung und Diaspora haben Wagenknecht und Co. jedenfalls nicht auf ihrer Seite. 95 Prozent sind ausweislich einer repräsentativen Umfrage dafür , dass die Ukraine weiterkämpfen solle, wenn Russland die konventionelle Bombardierung ukrainischer Städte fortsetzt.

Die Kanone zeigt auf die Botschaft des Aggressors

Im Nieselregen von Berlin hat die blau-gelbe Menge auch die russische Botschaft passiert. Dort kann man gerade besichtigen, wie die Ukraine zurückschlägt: Aktivisten haben einen im März 2022 zerstörten russischen Panzer in die deutsche Hauptstadt geschafft, die Kanone zeigt auf die Botschaft des Aggressors.

Vor dem Brandenburger Tor spricht am Freitagabend noch der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev. »Deutsche Waffen retten Leben«, ruft er vor dem blau und gelb angeleuchteten Bau. An Symbolen mangelt es in Berlin derzeit nicht.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es irrtümlich, Ralf Fücks habe für die Grünen im Bundestag gesessen. Wir haben die Passage korrigiert.

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