Highlights aus dem »Spitzengespräch« »Glauben Sie, man hätte Hitler an den Tisch bekommen?«
Janine Wissler: Ganz ehrlich, ich glaube, niemand weiß, was man jetzt machen kann, damit nächste Woche dieser Krieg endet. Ich glaube, keiner hat eine Antwort auf diese Frage, welchen einen Schalter man da jetzt umlegen könnte. Aber wenn wir weiter Waffen und schweres Gerät liefern, wird dieser Krieg auch nicht in kurzer Zeit zu Ende sein.
Markus Feldenkirchen: Frau Strack-Zimmermann, Sie sind in den letzten Wochen immer wieder dadurch aufgefallen, dass Sie der Bundesregierung auch durchaus Druck gemacht haben, beherzter zu helfen. Letzte Woche ist mir wieder ein Tweet von Ihnen, eine Aussage von Ihnen aufgefallen. Wir haben sie auch mal vorbereitet. Da haben Sie gesagt: Wir brauchen endlich und sofort den Koordinator für Waffenlieferungen, der die verschiedenen Akteure zusammenbringt. Es scheint anders nicht zu gehen. Das Bild, das Deutschland nach innen und außen abgibt, ist genauso inakzeptabel wie die Kommunikation. Übersetzen Sie mal: Welches Bild meinen Sie?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Jeder hat ein Interesse, und das können Sie nur lösen, indem Sie alle gleichzeitig an einen Tisch holen. Und was eben nicht geht, sind zweier Gespräche über die Presse. Der eine sagt ihnen was, sie veröffentlichen das, da schreit der andere auf. So kann das nicht funktionieren. Zur Wahrheit gehört dazu auch anzugeben, können wir liefern. Wollen wir, können wir und in welchem Zeitrahmen? Und das findet nicht statt. Und dann fürht diese Kakophonie dazu, dass Deutschland schon gar nicht mehr ernst genommen wird. Ja, Deutschland hilft, aber in der Relation, A: wie nah dieses Krisengebiet vor unserer Tür ist. B: Was für eine für eine Volkswirtschaft haben, ist das gemessen an anderen Ländern in Europa und der NATO eben relativ gesehen wenig. Und dieses Zögern, diese Diskussion, dann immer auf dieses Narrativ von Putin einzugehen, der immer an die Wand schreibt: Dritter Weltkrieg, Atombombe. Wir inhalieren das. Sie haben das auch übernommen. Das ist eben etwas, was dazu führt, dass die NATO Staaten sagen: Leute, habt ihr in Deutschland eigentlich nicht den Gong gehört? Und das merkt man in der Kommunikation.
Markus Feldenkirchen: Warum übernehmen Sie das Narrativ von Wladimir Putin, frau Wissler?
Janine Wissler: Wenn ich das richtig weiß, hat auch der Bundeskanzler genau vor dieser Eskalation gewarnt. Das ist ja kein Narrativ, das man übernimmt, sondern eine Tatsache, dass Russland eine Atommacht ist. Das ist ja ein Fakt. Das ist ja kein Narrativ, das man übernehmen muss. Und wenn die NATO in irgendeiner Form dort eingreift. Dass man das die Rutschbahn in den Dritten Weltkrieg sein könnte, ist ja ein realer.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die NATO greift nicht militärisch ein.
Janine Wissler: Es ist auf jeden Fall, finde ich, das ist kein Narrativ, was man von Putin übernimmt, sondern das ist natürlich ein reales Bedrohungsszenario.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Im Grunde genommen meine Frage, wenn ich mir das erlauben darf an Sie wäre: Wenn Sie das alles nicht wollen, keine Waffen, wie Sie sich ein Ende vorstellen? Ganz praktisch Was passiert mit der Ukraine? Was passiert dann mit diesem Land? Letztes Jahr noch hat Putin in einem Aufsatz ganz konkret geschrieben, die Ukraine akzeptiert er nicht, das Land gibt es nicht. Es gehört zu Russland, die Grenzen akzeptiert er nicht. Was macht die Ukraine, wenn sie jetzt sagt: Schluss aus die Maus?
Janine Wissler: Wir haben jetzt die Alternative, zwischen schweres Gerät, schwere Waffen zu liefern, möglicherweise eine über Jahre hinweg andauernden Krieg oder alles darauf zu setzen. Und das wird es doch früher oder später sowieso geben. Es muss doch irgendwann eine Verhandlungslösung geben. Ich halte die Position, dass die, dass Russland dort militärisch besiegt werden kann. Das ist doch eigentlich kein militärisch realistisch. Sie kennen sich mit Militär besser aus als ich? Ist das ein realistisches Szenario, dass die russische Armee, von der Sie selber gerade sagen, wie stark sie zahlenmäßig ist, die die Möglichkeit haben, zumindest taktische Atomwaffen auch einzusetzen, die natürlich eine hohe militärische Überlegenheit haben ohne ein Eingreifen der NATO, wo wir uns ja einig sind, dass es nicht sie geben kann. Ist es realistisch, dass Russland eine militärische Niederlage dort erfährt?
Markus Feldenkirchen: Halten Sie es für realistisch, Frau Strack-Zimmermann?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ja, das halte ich für realistisch. Weil die Kraft der russischen Armee ist nicht unendlich. Auch sie ist endlich. Das hat was mit Munition herstellen zu tun. Wirtschaftlich hat Russland jetzt richtige Probleme. Das baut sich ja gerade auf. Das heißt auch Sie müssen nachliefern und werden es irgendwann nicht mehr können. Und ja, das ist ein Zermürbungskrieg, das ist nicht schön. Aber erlauben Sie mir, ich versuche immer, das Beispiel mal sehr praktisch runterzubrechen. Sie haben eine Wohnung, die Nachbarin findet Ihre Wohnung toll oder der Nachbar und sagt: Ich will die gerne haben. Bricht bei Ihnen ein. Sie werden vergewaltigt, Ihr Mann wird getötet, Ihr Kind wird verschleppt. Und dann sagten die Nachbarn: Jetzt muss mal Ruhe hier in der Hütte sein. Geben Sie doch bitte als Opfer die Hälfte Ihrer Wohnung an den Täter ab. Da würde jeder sagen: Haben die Leute noch alle Tassen im Schrank und dann würde die Polizei kommen, die würde sagen: Nee, wir sind jetzt unbewaffnet, sorry, wir müssen jetzt mal sprechen. Das ist auf klein, was da gerade passiert. Und deswegen muss man jetzt ein Zeichen setzen für die Zukunft. Also ich bin schon Jahre weiter für das, was das mit uns macht.
Janine Wissler: Ich finde, dass ihr Bild nicht passt. Ich würde vielleicht auch das auch kein direkter Vergleich, aber ein anderes Bild wählen, nämlich das Bild eines Geiselnehmers. Jemand nimmt Geiseln, nimmt zehn Geiseln und hat vielleicht ein oder zwei schon erschossen. Natürlich ist es völlig falsch, was er macht. Er hat kein Recht Geiseln zu nehmen. Trotzdem muss man doch überlegen, was man in einer Situation macht, in der jemand Geiseln, jemand bewaffnet, bedroht, Geiseln zu erschießen.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, wird als nächstes Moldawien überrannt. Dann wird Georgien überrannt und irgendwann wird er die baltischen Staaten zurückholen.
Janine Wissler: Aber soll denn die Bundeswehr dort aktiv eingreifen?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich kann Ihnen sagen, wenn Putin das NATO-Territorium berührt und das sind die baltischen Staaten, ich war gerade in Litauen. Sprechen Sie mit den Menschen dort, haben Sie Kaliningrad direkt vor der Haustür. Wenn er wagt NATO-Gebiet anzugreifen, wird die NATO sich zur Wehr setzen. Und da gehört auch Deutschland dazu, weil wir einer von 30 bald 32 Partnern sind. Und das ist auch richtig so, oder glauben Sie, wir machen es uns hier nett und die anderen werden uns mit schützen? Aber sie kennen Putin besser als ich.
Janine Wissler: Das ist nicht ihr Ernst!?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ja, sorry, das kann ich Ihnen nicht ersparen. Und Ihre Kollegin Frau Wagenknecht hat das auch immer wieder gesagt. Ich saß mit ihr in einer Diskussionsrunde zusammen. Da waren gerade die beiden ostukrainischen Provinzen, da war diese diese Unterschrift, zwei Tage bevor Putin dann die Ostukraine eingefallen ist. In die Ukraine saßen wir noch zusammen und sie hat da eindeutig also auch die Nähe und das wissen wir, das verbindet sie, tut mir übrigens ein bisschen Leid für Sie mit der AfD, nämlich die große Nähe zu Russland und diese Appeasement-Politik zu Russland hat zu nichts geführt, außer dass jetzt Menschen in der Ukraine umgebracht werden.
Janine Wissler: Also ich finde es traurige. Ich finde, Sie zeichnen jetzt wirklich ein bisschen ein schräges Bild. Noch mal nicht. Wir sind es, die in irgendwelchen Aufsichtsräten von russischen Firmen sitzen. Ich will auch darauf hinweisen, auch wir haben die Nordstream-2-Verträge nicht unterschrieben. Das waren nicht wir. Wir haben das nicht vorangebracht, dieses Projekt. Ich ich sage, Sie unterstellen quasi, dass wir als die Linke hier die Kumpels von Putin wären.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Das stimmt. Das tue ich.
Janine Wissler: Nicht wir haben die wirtschaftlichen Verträge mit Russland gemacht, nicht wir, haben man Russland geliefert, das waren nicht wir, sondern das sind falsche Entscheidungen europäischer Regierungen gewesen. Und deswegen finde ich, dass Zuschreibungen und da einfach ein Fehler ist. Putin hat rechte Parteien, deswegen ist das ja auch so richtig, dass dieser ganze Quatsch mit der Entnazifizierung der Ukraine natürlich völlig vorgeschoben ist. Ich mein, Putin hat rechte Kräfte in ganz Europa unterstützt, unter anderem Le Pen, aber auch andere. Und unsere Solidarität gilt den Menschen, die sich für ein demokratisches, für ein friedliches Russland einsetzen, selbstverständlich.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die gibt es übrigens, die auf die Straße gingen, gegen den Krieg demonstriert haben und die jetzt 15 Jahre irgendwo...
Janine Wissler: Das weiß ich, deswegen habe ich das eben gesagt. Meine Hochachtung gilt den Menschen, die trotz dieser Repression auf die Straße gehen.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Glauben Sie, dass die wollen, dass Putin gewinnt? Glauben Sie, dass die mutigen Russinnen und Russen, die jetzt irgendwo im Ural im Keller sitzen wollen, dass Putin diesen Krieg gewinnt? Glauben Sie, man hätte Adolf Hitler an einen Tisch bringen können, wenn 1940 nicht die Amerikaner gesagt hätten, wir müssen jetzt zur Waffe greifen, um das zu beenden, was in. Europa passiert ist?
Janine Wissler: Ich wäre mit solchen historischen Vergleichen wirklich vorsichtig.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich vergleiche nicht die Anzahl der Menschenrechtsverletzungen oder die Ermordung. Glauben Sie, dass dieser Krieg beendet worden wäre, wenn die westliche Welt 1940 nicht stopp gesagt hätte?
Janine Wissler: Meine Solidarität gilt den Oppositionellen in Russland, die da im Knast sitzen.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Deswegen ist der 9. Mai übrigens auch für uns ein Tag der Befreiung.
Janine Wissler: Meine Solidarität gilt aber auch den türkischen Oppositionellen, die da im Knast sitzen und da sagen sie: das ist ein NATO Bündnispartner.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Normalerweise kommt die Linke immer, wenn wir über die Ukraine diskutieren mit dem Irak.
Janine Wissler: Nein, ich habe den NATO-Bündnispartner genannt. Meine Solidarität gilt genauso russischen Oppositionellen wie türkischen, da mache ich keinen Unterschied.