
S.P.O.N. - Im Zweifel links Im Strafraum


Fußballfunktionär Hoeneß: Der Wind hat sich gedreht
Foto: Matthias Schrader/ dpaVier Verhandlungstage sind angesetzt - das ist nicht viel für einen Prozess, der Deutschland verändern könnte. Allein das Verfahren gegen den Star und mutmaßlichen Steuersünder Uli Hoeneß hat jetzt schon mehr für die deutsche Steuerehrlichkeit getan, als die vereinten Kräfte von Politik und Justiz erreichen konnten. Die Steuer-Täter sind in Angst. Sie fürchten Entdeckung, Strafe, Schande.
Die Zahl der Selbstanzeigen ist sprunghaft gestiegen. Und die Experten sind sicher: Wenn das Urteil gefallen ist, wird sie weiter steigen. Das ist der Hoeneß-Effekt und das ist gut so. Aber ein gerechtes Steuerland wird die Bundesrepublik darum noch lange nicht. Steuerehrlichkeit ist das eine. Mindestens ebenso wichtig wäre endlich Steuergerechtigkeit. Die Bevorzugung der Wohlhabenden muss ein Ende haben.
Uli Hoeneß hatte doppeltes Pech. Es ist Zufall, dass man gerade ihm auf die Schliche kam. Und es ist Zufall, dass gerade jetzt die Gesellschaft die Geduld mit diesen Delinquenten verliert, denen sie so lange mit viel Gleichmut begegnet ist. "Steuersünder" hat man bis vor kurzem voller Verharmlosung diese Leute genannt, die in Wahrheit nicht anders anzusehen sind als Diebe oder Betrüger: Sie bereichern sich auf Kosten anderer. Aber Pech und wandelnde Sitten sind keine Kategorie im Strafrecht.
Hier geht es immerhin nicht darum, dass sich einer ohne Lohnsteuerkarte das Wohnzimmer tapezieren ließ. Hoeneß hat zugegeben, 18,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen zu haben. Was für eine Summe! Ist jetzt noch vorstellbar, dass der Bayern-Manager am Gefängnis vorbeikommt? Denn ab einer Million lautet die Antwort des Staates in der Regel: Knast. Das hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2008 in einer Grundsatzentscheidung so festgelegt.
Bis dahin waren selbst krasse Fälle von Steuerdiebstahl noch mit Bewährung davongekommen. Das oberste ordentliche Gericht sah sich genötigt, Steuerbehörden und Staatsanwaltschaften zum Jagen zu tragen. Der Staat hätte auch schon vorher mehr Eifer an den Tag legen können, sich sein Recht - und sein Geld - zu holen. Warum tat er es nicht? Nach Brecht: "Die Verhältnisse, sie sind nicht so."
Scheiterhaufen statt Klaps auf den Rücken
Gegenüber den Habenden war die Nachlässigkeit der Behörden immer schon bemerkenswert. Im Jahr 2003 hatte der damalige Finanzminister Hans Eichel eine große Steueramnestie angeboten. Wer sein Schwarzgeld offenbarte, sollte lächerliche 15 Prozent Quellensteuer zahlen - und ansonsten unbehelligt bleiben. Aber selbst das war den Steuerdieben noch zu viel. Das Angebot floppte. Jetzt hat sich der Wind gedreht. Wer entdeckt wird, der kommt nicht nur juristisch in die Bredouille, dem geht es auch gesellschaftlich ans Leder. Uli Hoeneß hat das erlebt und auch Alice Schwarzer.
Das ist interessant. Was unlängst noch mit einem freundlichen Klaps auf den Rücken geahndet worden wäre, führt nun geradewegs auf den Scheiterhaufen einer erhitzten Moral. Uli Hoeneß war schon vor Beginn seiner Hauptverhandlung einschlägig vor-bestraft worden: Er musste für alle möglichen moralischen Vivisektionen herhalten, durchgeführt von berufenen oder weniger berufenen Ethik-Experten, darunter der Bundespräsident höchstpersönlich.
Joachim Gaucks Einlassung zum Fall des Beschuldigten Uli H. war überraschend. Bundespräsidenten reden selten über Straftaten, erst recht nicht im laufenden Verfahren. Auch Gauck hätte besser geschwiegen. Seine knarzigen Einlassungen zur kapitalistischen Anthropologie ließen tief blicken ("Natürlich weiß ich, dass Gier zu unserer menschlichen Ausstattung gehört. Und sie hat, wenn sie als Siegeswillen, Durchsetzungsdrang oder Risikobereitschaft daherkommt, wenn sie zivilisiert ist, auch ihre positiven Seiten.").
Deutschland: Land der Ungleichheit
Vor allem aber bewies Gauck, wie gut er seine Rolle als oberster Systemstabilisierer spielt: "Ich wäre stärker gegen Reichtum an sich, wenn die Reichen die Armen vom gesellschaftlichen Aufstieg abhielten", sagte der Präsident. Die Idee kam ihm so abwegig vor, dass er sie mit einer noch viel abwegigeren Bedingung versah: "Wäre das in Deutschland tatsächlich so, würde ich glatt zum Klassenkämpfer werden, um das zu ändern." Weil aber in Deutschland alles in Ordnung ist, muss der Präsidenten-Pastor nicht auf die Barrikade, sondern kann im Schloss Bellevue weiterhin seine Gedanken zum Auftanken spinnen.
Aber Gauck irrt. Denn es sind tatsächlich die Reichen, die die Armen am Aufstieg hindern. In Deutschland herrscht die Ordnung der Ungleichheit. Die Wenigen haben viel und die Vielen wenig. Nirgends im Euro-Raum sind die Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gerade wieder festgestellt. Viel schlimmer aber ist: wer unten ist, bleibt unten. "Der Familienhintergrund prägt den eigenen ökonomischen Erfolg", sagt das DIW. 40 Prozent der Ungleichheit im individuellen Arbeitseinkommen lasse sich durch den Familienhintergrund erklären.
Das Steuerrecht bevorzugt die Reichen
Gauck hat zum Fall Hoeneß gesagt: "Ich finde es nicht unmoralisch, reich zu sein. Ich finde es unmoralisch, unmoralisch reich zu sein." Aber unter den gegebenen Umständen ist in Deutschland jeder Reiche unmoralisch reich.
Das liegt am Steuerrecht. Es bevorteilt die Begüterten. Kapitalerträge werden mit 25 Prozent besteuert während die Steuer auf Einkommen aus Arbeit auf annähernd 50 Prozent steigen kann. In leichter Abwandelung eines Matthäus-Wortes: Wer hat, dem wird nicht genommen.
Aber selbst für Leute wie Hoeneß oder Schwarzer, die auch dieses Viertel für sich behalten wollen, zeigt das Gesetz noch Verständnis: In keinem anderen Rechtsbereich gibt es das Institut der Selbstanzeige, die zur völligen Straffreiheit führt.
Hoeneß wird davon nicht profitieren. Für ihn geht es um Bewährung oder Gefängnis. Aber sein Fall sollte dennoch als Anlass genommen werden, die Selbstanzeige endlich abzuschaffen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.