Umgang mit Coronaimpfungen Impfschwänzer bestrafen oder Impfstreber belohnen?

Mehr und mehr Impfkandidaten lassen ihre Termine verfallen. Jetzt ist in der Politik eine Debatte entbrannt: SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach fordert Bußgelder. Nicht alle in seiner Partei sehen das so.
Wer die Spritze sausen lässt, könnte zukünftig Strafe zahlen müssen

Wer die Spritze sausen lässt, könnte zukünftig Strafe zahlen müssen

Foto: Bernd Weissbrod / picture alliance/dpa

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Eigentlich könnte gerade alles so einfach sein: Der Sommer ist da, die Inzidenzen niedrig, Restaurants und Kneipen haben offen, Menschen dürfen wieder in Gruppen zusammenkommen – ein bisschen Normalität ist zurückgekehrt. Wie fragil dieser Zustand aber sein könnte, zeigt sich derzeit in anderen europäischen Ländern. Dort treibt die Delta-Variante die Infektionszahlen in die Höhe.

Und auch in Deutschland verbreitet sich die Mutation zunehmend, bald dürfte sie mehr als 50 Prozent der Neuinfektionen ausmachen. Die wichtigste Waffe im Wettrennen mit der Coronavariante: das Impfen. Mehr als 55 Prozent der Deutschen haben inzwischen mindestens eine Impfung erhalten, 37 Prozent sind vollständig geschützt. Doch während der Ansturm auf Termine anfangs groß war, scheint der Wunsch nach Impfungen inzwischen langsam abzunehmen.

Lange stand in der Impfdebatte im Vordergrund, wie man den zu knappen Impfstoff auf zu viele Impfwillige verteilt. Doch angesichts der aktuellen Situation rückt nun zunehmend eine andere Frage in den Fokus: Was machen wir eigentlich, wenn irgendwann genug Impfstoff da ist, aber nicht mehr genug Impfwillige?

Für die Impfzentren stellt das schon seit Längerem ein Problem dar. Immer häufiger erscheinen Menschen nicht zu den vereinbarten Impfterminen – die dann ungenutzt verfallen. Wie viele der Termine verstreichen, ist je nach Bundesland und Impfzentrum unterschiedlich. In Berlin sind es laut Mario Czaja, der Präsident des Berliner Roten Kreuzes, zwischen fünf und zehn Prozent der Impftermine – also immerhin mehrere hundert Impfungen pro Tag.

Bußgeld für Impfschwänzer

Bei der Frage, wie man einer solchen Impfmüdigkeit entgegenwirken könnte, schlug Czaja nun am Freitag im RBB vor , Impfterminschwänzer mit Bußgeldern zu belegen. Wer seinen Termin ohne Absage verstreichen lasse, solle 25 bis 30 Euro Strafe dafür zahlen. »Wir erleben leider seit einigen Wochen, dass zunehmend Menschen sich nicht abmelden, obwohl sie einen Termin in den Impfzentren haben. Das ist ziemlich unsolidarisch denen gegenüber, die schneller einen Termin haben wollen«, sagte Czaja.

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach schloss sich dieser Forderung im WDR an.  »Menschen, die ihre Impftermine verfallen lassen, ohne sich vorher abzumelden, machen etwas, was die Impfkampagne beschädigt«, sagte Lauterbach. Angesichts knapper Impftermine halte er Strafen daher für sinnvoll. »Einen Impftermin ohne Absage verstreichen zu lassen, ist keine Kleinigkeit«, erklärte der SPD-Politiker weiter gegenüber dem SPIEGEL. »Solche Bußgelder können für mehr Verbindlichkeit sorgen.«

Will ein Bußgeld für Impfschwänzer: Karl Lauterbach

Will ein Bußgeld für Impfschwänzer: Karl Lauterbach

Foto: Frederic Kern / imago images/Future Image

In der CDU ist man sich offenbar uneins über den Vorstoß. »Wer nur zu bequem ist, zum Hörer zu greifen oder mit wenigen Klicks einen Termin abzusagen, sollte für die angefallenen Ausfallkosten aufkommen müssen«, erklärte der Unionsfraktionsvize Thorsten Frei. Unionskanzlerkandidat Armin Laschet lehnte den Vorschlag hingegen ab. »Solidarität erzwingt man nicht durch Strafen«, sagte Laschet dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Zuckerbrot und Peitsche

Auch der grüne Gesundheitspolitiker und Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen kritisiert die Idee. »Diese Diskussion über Bußgelder ist eine sehr deutsche Debatte. Hier kennt man oft nur die Methode Zuckerbrot oder Peitsche«, sagt Dahmen. Statt über Strafen nachzudenken, solle man lieber die Aufklärungskampagne intensivieren.

»Der Mangel an guter Aufklärungsarbeit begleitet uns schon durch die gesamte Pandemie, und leider sieht man jetzt das Ergebnis. Viele Menschen erkennen die Dringlichkeit der Impfung offenbar weiterhin nicht.« Man müsse daher versuchen, die Menschen noch mehr in ihrer Lebensrealität abzuholen, erklärt Dahmen. »Einige denken offenbar, dass sie sich die Impfung bei sinkenden Zahlen sparen können oder die Erstimpfung schon genug schützt. Genau denen müssen wir klarmachen, wie wichtig ein vollständiger Impfschutz gerade jetzt ist. Die Erstimpfung allein schützt bei der Delta-Variante kaum noch.«

Grüner Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen

Grüner Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen

Foto: Christian Spicker / imago images/Christian Spicker

Überhaupt bezweifle er, dass solche Bußgelder sich positiv auf die Impfbereitschaft auswirken würden, sagt Dahmen. »Ich bin selbst Arzt und habe mit Patienten gearbeitet. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Strafen bringen überhaupt nichts, sondern führen im schlimmsten Fall eher zum Gegenteil.« Ähnliche Zweifel hatte auch Silke Gebel, die Fraktionschefin der Berliner Grünen, am Samstag geäußert. Die Frage sei, ob man Menschen, die bisher skeptisch sind, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, mit einer angedrohten Strafe nicht endgültig vergraule, erklärte Gebel im RBB.

Impfangebote sollen ausgeweitet werden

»Dass Bußgelder Menschen von einer Impfung abschrecken, halte ich für abwegig«, hält Karl Lauterbach dagegen. »Das sind doch Leute, die ohnehin schon einen Impftermin gemacht haben. Ich glaube nicht, dass die sich wegen 20 Euro nicht mehr impfen lassen wollen.«

Unterstützung bekommt Lauterbach auch von seinem SPD-Kollegen und stellvertretendem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dirk Wiese: »Wir müssen alles tun, damit die Impfbereitschaft hoch bleibt. Da kann man auch mit Bußgeldern arbeiten, wenn Impftermine nicht abgesagt werden und Impfstoff verfällt.« Aber das dürfe nicht das einzige Mittel sein, mahnt Wiese. »Daneben brauchen wir kreative Impfangebote, um mehr Menschen mit Impfungen zu erreichen.«

In einigen Impfzentren wird bereits an niedrigschwelligen Angeboten gefeilt: So können Menschen sich in sächsischen Impfzentren seit Freitag ohne Termin impfen lassen. In Niedersachsen soll das in der kommenden Woche ebenfalls möglich werden. Zudem werden in manchen Zentren inzwischen Impfungen ohne örtliche Beschränkung angeboten – so können auch Personen aus anderen Bundesländern dort geimpft werden.

SPD-Politiker Lauterbach plädiert indes für eine noch aktivere Ausweitung der Impfmöglichkeiten: »Wir sollten die Impfangebote in Brennpunkten ausweiten und Optionen zur Impfung vor Bars und Restaurants schaffen. So bitter das ist: Wir kommen jetzt an einen Punkt, an dem wir die Impfung den Leuten wortwörtlich hinterhertragen müssen.« Janosch Dahmen von den Grünen sieht darin ebenfalls einen wichtigen Schritt: »Der Impfstoff muss jetzt mobil verfügbar gemacht werden, zum Beispiel indem Impfbusse in ländlichen Regionen die Dörfer abfahren.«

Impfung mit Belohnung?

Mehrfach wurde inzwischen auch die Idee einer Belohnung als Impfanreiz ins Spiel gebracht. Vergangene Woche hatte die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus vorgeschlagen, Belohnungen für Impfungen auszuschreiben. »Gutscheine für den freien Eintritt in Freizeitparks und Museen sind eine gute Möglichkeit, um weitere Impfanreize zu setzen«, sagte sie »T-Online«. Die ehemalige Familienministerin und SPD-Politikerin Franziska Giffey hatte ein solches Belohnungssystem am Sonntag ebenfalls ins Spiel gebracht .

In Sachsen wird derzeit offenbar sogar schon an einem solchen Verfahren gefeilt. Ein Sprecher des Roten Kreuzes dort teilte mit, dass man bereits an einem Bonussystem arbeite, um die Impfbereitschaft hochzuhalten. Wer ins Impfzentrum kommt, soll Rabatte für Dienstleistungen oder Produkte bekommen. Details sind derzeit aber noch offen.

Der grüne Gesundheitspolitiker Dahmen sieht solche Angebote jedoch kritisch. »Genauso wie ich Strafen ablehne, halte ich auch Belohnungen für den falschen Weg. Ich glaube, die Leute werden dadurch eher noch skeptischer oder fühlen sich im schlimmsten Fall sogar zum Impfen gedrängt.« Stattdessen solle man sich darauf konzentrieren, wie man Impfskeptiker nun inhaltlich von diesem Schritt überzeugen könne. »Genau auf diese Gruppe kommt es jetzt nämlich an. Ihre Impfbereitschaft wird darüber entscheiden, wann und wie heftig uns die nächste Coronawelle erwischt und welchen Preis wir dann dafür zahlen müssen.«

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