Umstrittene Corona-Impfpflicht Sie kommt, sie kommt später, sie kommt gar nicht...

Kanzler Scholz, MPK-Chef Wüst, MPK-Vize Giffey
Foto: Bernd von Jutrczenka / picture alliance / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Wer in dieser Sache Hoffnungen in den neuen Bundeskanzler gesetzt hat, der sollte sie wohl so rasch wie möglich begraben: Olaf Scholz ist zwar einer, der viel von politischer Führung spricht und in Abgrenzung zu seiner CDU-Vorgängerin Angela Merkel auch einen entsprechenden Anspruch im Kanzleramt formuliert hat, aber beim Thema Corona-Impfpflicht geht der SPD-Politiker mitnichten voran.
Scholz ist zwar für eine allgemeine Impfpflicht gegen das Virus, das machte der Sozialdemokrat nach den Beratungen mit den Ministerpräsidenten am Freitagnachmittag abermals klar. Doch das heißt im Umkehrschluss eben noch lange nicht, dass der Kanzler sich mit aller Macht dafür einsetzt, sie so rasch wie möglich einführen zu lassen.
Scholz, auch das wurde nach der MPK am Freitag erneut deutlich, schiebt das Thema von sich weg und Richtung Bundestag.
Was formal richtig ist, weil Gesetze vom Parlament verabschiedet werden, ist gleichzeitig ein Trick: Die Macht des Kanzlers basiert in Deutschland auf einer Mehrheit im Bundestag, in diesem Fall der Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP. Scholz könnte also, wenn er wollte, den Regierungsfraktionen einen Gesetzesvorschlag zur Impfpflicht vorlegen.
Aber er will es nicht.
Und das liegt wohl nicht nur daran, dass es insbesondere unter den FDP-Parlamentariern zum Teil grundsätzliche Vorbehalte gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht gibt: Auch in den Fraktionen von SPD und Grünen sind offenbar nicht alle von der Idee überzeugt. Nicht einmal Gesundheitsminister Karl Lauterbach will als zuständiges Kabinettsmitglied einen Entwurf vorlegen, sondern nur als einfacher sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter.
Kein Wunder: Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Virus könnte die Spaltung der Gesellschaft vertiefen, weshalb sich bis zum Herbst kaum ein Politiker in Deutschland dafür aussprach. Aber dann blieb die Impfquote trotz aller Bemühungen niedrig, während die Coronakennzahlen sich immer bedrohlicher entwickelten – und plötzlich änderte sich das Meinungsbild. Anfang des neuen Jahres werde man die Impfpflicht auf den Weg bringen, stellten Scholz und weitere Koalitionsvertreter Ende 2021 in Aussicht.
Doch auch dieser Plan wackelt. Dass Scholz und seine Ampel keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen würden, wurde rasch klar. Stattdessen sollte aus Gruppenanträgen im Parlament ein mehrheitsfähiges Gesetz entstehen, nun stockt auch das. Der Zeitplan sei nicht mehr zu halten, berichtet der »Tagesspiegel« aus Koalitionskreisen, ausgerechnet Vertreter von SPD und Grünen dämpfen inzwischen die Erwartungen.
»Wir werden uns im ersten Quartal die dafür notwendige Zeit für eine ausführliche Debatte in Fraktion, Parlament und Öffentlichkeit nehmen«, sagte SPD- Fraktionsvize Dirk Wiese dem SPIEGEL. Und der Grünenabgeordnete Helge Limburg warnte davor, die Entscheidung »übers Knie zu brechen«. Die Debatte müsse »mit großer Sorgfalt« geführt werden, sagte er dem SPIEGEL.
Die Koalitionsfraktionen wollen offenbar Ende Januar zunächst eine sogenannte Orientierungsdebatte im Bundestag durchführen lassen. Weil im Februar wegen Karneval nur eine Sitzungswoche des Parlaments geplant ist, könnten die Abgeordneten dann frühestens am 14. März eine Entscheidung über konkrete Gesetzesvorschläge fällen. Anschließend müsste der Bundesrat als Länderkammer noch dem Vorhaben zustimmen, das wäre nicht vor April möglich.
Dreht sich die Debatte erneut?
Aber selbst dieser Zeitplan gilt nur, falls die allgemeine Corona-Impfpflicht weiterhin gewollt ist von einer Mehrheit im Bundestag und den Ministerpräsidenten, die nach ihrer Konferenz am Freitag erneut ein entsprechendes Votum formulierten. Denn angesichts von Omikron und anderen Entwicklungen könnte sich die Debatte wieder drehen, könnte sich die Frage stellen, ob in der Abwägung eine Impfpflicht wirklich der richtige Weg ist.
Interessant ist dabei auch der Blick auf die Union. Sie stellt im Bundestag inzwischen die größte Oppositionsfraktion – und scheint gemeinsam mit dem amtierenden MPK-Vorsitzenden Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen (CDU) in Sachen Impfpflicht mächtig aufs Tempo zu drücken. Dabei haben sich Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus und Wüst vor allem auf Kanzler Scholz eingeschossen, dem sie vorwerfen, das Thema zu verschleppen. Entsprechend äußerte sich am Sonntag auch der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz.
Wüst und die anderen Unionsministerpräsidenten versuchten am Freitag in der gemeinsamen Runde mit Scholz und dem Rest der Länderchefs erfolglos, eine Formulierung im Abschlusspapier unterzubringen, wonach Bundesregierung und Bundestag »kurzfristig einen belastbaren Zeitplan« vorlegen sollten. »Da wird wertvolle Zeit vertrödelt«, sagte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, der »Bild am Sonntag«. Kurz vor Weihnachten hatte Frei einen kompletten Fragenkatalog zum Thema Zeitplan ans Kanzleramt geschickt, der bis dato unbeantwortet blieb.
Scholz und seine Regierung beim Thema allgemeine Impfpflicht zu triezen – das ist politisch absolut legitim als Opposition.
Fragezeichen auch in der Unionsfraktion
Allerdings ist die spannende Frage, wie die Unionsabgeordneten im Bundestag selbst zu dem Thema stehen. Ob es eine Mehrheit pro Impfpflicht unter den Parlamentariern von CDU und CSU gibt, darüber scheint sich selbst die Fraktionsführung nicht klar zu sein: Um ein Meinungsbild zu bekommen, soll es Ende Januar eine fraktionsoffene Sitzung zu dem Thema geben.
Das Argument dafür, dass die Unionsfraktion zunächst keinen eigenen Antrag pro Impfpflicht vorlegen will, lautet bislang: Entsprechende Vorschläge seien Sache von Scholz und seiner Ampel.
Dabei könnte es durchaus auch damit zu tun haben, dass die eigene Mehrheit dafür wackelt.