Umstrittene Euro-Politik Juncker gerät wegen Geheimtreffen unter Beschuss

Luxemburgs Regierungschef Juncker: "Dumme Idee"
Foto: Str/ dpaBerlin - Wenn es Ernstes zu besprechen gibt, dann fährt Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker raus zum Schloss Senningen mit den neugotischen Fassaden. Zwischen Wald und Schlosspark, ein paar Kilometer entfernt von der Hauptstadt, können sensible Gespräche geführt werden - ohne dass es gleich jeder mitbekommt. Zum Beispiel wenn es knirscht in Junckers Koalition. Oder wenn man sich mit Österreich und der Schweiz in Sachen Bankgeheimnis abstimmen will.
Am vergangenen Freitag war es Zeit für Schloss Senningen.
Weil die Griechen nicht herausfinden aus ihren finanziellen Problemen, trafen sich am Freitagabend wichtige Finanzminister der Euro-Gruppe mit Juncker auf dem Schloss. Mit dabei auch EU-Währungskommissar Olli Rehn sowie EZB-Präsident Jean-Claude Trichet.
Euro brach um zwei Prozent ein
Anfangs wurde das von SPIEGEL ONLINE enthüllte Geheimtreffen vor allem von Junckers Umfeld heftigst dementiert. Auch wurden etwaige Euro-Ausstiegspläne der Griechen zurückgewiesen. "Unwahr", teilte die griechische Regierung mit, darüber habe man in Luxemburg gar nicht geredet. Von einer "dummen Idee" sprach Juncker. Klare Worte auch aus Berlin: Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone "stand nie und steht nicht zur Debatte", erklärte am Montag Regierungssprecher Steffen Seibert. Der Bericht sei von allen möglichen Seiten, auch der griechischen, umgehend dementiert worden: "Nehmen Sie diese Dementis ernst."
Doch auch Seibert gestand ein: "Ein Treffen zu dementieren, das stattfindet, ist nicht sinnvoll."
Fortdauernde Griechen-Krise, Geheimtreffen, Dementis - kann so das Vertrauen in die europäische Währung gestärkt werden? Der Euro jedenfalls brach zwischenzeitlich um zwei Prozent gegenüber dem Dollar ein. "Wenn rechtzeitig über das Treffen informiert worden wäre, hätte es die Schlagzeile gar nicht gegeben", sagt Guntram Wolff, Experte am Brüsseler Think Tank Bruegel. Der österreichische "Standard" kommentiert, das Geheimtreffen könne als "Musterbeispiel dafür gelten, wie man die Schulden-, Banken- und Euro-Krise nicht handhaben sollte".

Grafiken: Die wichtigsten Fakten zur Euro-Krise
Im Zentrum der Kritik steht nun Euro-Gruppen-Chef Juncker. Von ihm überliefert die Nachrichtenagentur dapd den Satz: "Wenn es ernst wird, muss man lügen." Andeutungen über bevorstehende Entscheidungen - etwa eine Umschuldung Griechenlands - könnten verheerende Auswirkungen haben, Menschen in Not bringen, die er ja eigentlich schützen wolle.
Ist die Geheimniskrämerei also das kleinere Übel?
Martin Schulz, der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, attackiert Juncker scharf: "Diejenigen, die das Treffen organisiert haben, haben ein ziemliches Desaster angerichtet", so Schulz zu SPIEGEL ONLINE. "Was da abgelaufen ist, das ist ein weiterer Indikator dafür, dass der Euro-Raum vor allem unter politischem Missmanagement leidet." Scharfe Worte vom Sozialdemokraten.
Die Umstände des Treffens auf Schloss Senningen passten in die derzeitige Orientierungslosigkeit vieler Regierungen im Euro-Raum, sagt Schulz. "Man hat nicht den Eindruck, als seien auch nur ein einziges Mal in den letzten zwölf Monaten alle Karten auf den Tisch gelegt worden", kritisierte der SPD-Politiker. Die "scheibchenweise Verkündung von Problemen" lasse das Misstrauen vieler Bürger in den Euro-Mitgliedstaaten gegenüber Brüssel wachsen. "Wie soll Vertrauen entstehen, wenn Regierungen das Gegenteil dessen tun, wogegen sie sich kurz vorher noch mit Inbrunst gewehrt haben?"
Ein Euro-Austritt Griechenlands hätte nach Ansicht von Schulz verheerende Folgen. "Es gäbe eine Kapitalflucht, die wahrscheinlich einen unmittelbaren Kollaps des gesamten griechischen Bankensystems zur Folge hätte", sagte er. Er sprach sich für eine "deutliche Zinssenkung" und eine Verlängerung der Kreditlaufzeiten aus. Man dürfe aber "nicht immer nur über Kürzungen" reden. "Klar ist: Ohne Investitionen wird es in Griechenland kein nachhaltiges Wachstum geben." Er wirbt in diesem Zusammenhang für die Einführung sogenannter Euro-Bonds und einer Finanztransaktionssteuer.
Stimmung im Regierungslager "angespannt bis gereizt"
Längst aber verlaufen die Fronten in Deutschland nicht mehr nur zwischen Regierung und Opposition. Woche für Woche wächst der Unmut in CDU, FDP und CSU. Sogar die Kanzlermehrheit für den neuen, ständigen Euro-Rettungsschirm - den ab 2013 geplanten Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) - ist mittlerweile nicht mehr sicher. Auf ihrem Parteitag am kommenden Wochenende in Rostock berät die FDP einen Antrag ihres Finanzexperten Frank Schäffler, der den ESM ablehnt. Mehrere Unions- und FDP-Abgeordnete fordern wenigstens Nachbesserungen am von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble verhandelten Mechanismus. Bisher könne man nicht erkennen, "dass das Fass einen Boden hat", sagte der CSU-Abgeordnete Thomas Silberhorn "Focus".
Am Montagmorgen mühte sich Finanzminister Schäuble im CDU-Präsidium laut Teilnehmern, Bedenken auszuräumen, indem er die derzeitigen Diskussionen über das krisengeschüttelte Griechenland herunterspielte. Kritische Fragen etwa zur Geheimniskrämerei um das Euro-Krisentreffen blieben dann auch aus.
Schäuble versuche in der erneuten Zuspitzung der Euro-Krise geschickt den Eindruck von Routine zu erwecken, sagte ein CDU-Spitzenvertreter im Anschluss an die Sitzungen von Präsidium und Bundesvorstand. Tatsächlich aber sei die Stimmung in dieser Frage im Regierungslager "angespannt bis gereizt". Ein führendes Mitglied der Unionsfraktion berichtete von "großen Sorgen", wie es mit Griechenland weitergehe.
Die Euro-Länder diskutieren mittlerweile über längere Laufzeiten und niedrigere Zinsen für das erste 110-Milliarden-Euro Rettungspaket. Auch eine Umschuldung ist im Gespräch - oder auch ein weiteres Rettungspaket.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warnte vor weiteren öffentlichen Debatten über mögliche Konsequenzen in der Causa Griechenland. "Wir halten nichts davon, mit immer neuen Horrorvermutungen zur Verunklarung beizutragen", sagte Gröhe und betonte mit Blick auf die noch ausstehende Bewertung des griechischen Sparprogramms durch die EZB, die EU-Kommission und den Internationalen Währungsfonds (IWF): "Einer etwaigen Therapie muss erst eine sinnvolle Diagnose vorausgehen." Entsprechend hatte sich nach Angaben von Teilnehmern auch Parteichefin Merkel im Präsidium geäußert.
Merkel trifft sich am Mittwoch in Berlin mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, am Abend darauf empfängt sie EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Keine Geheimtreffen - doch das beherrschende Thema steht schon jetzt fest: Griechenland.