Umstrittene Steuersenkungen Unionspolitiker setzen Merkel unter Druck
Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gerät angesichts der schweren Konjunkturkrise in den eigenen Reihen und der Wirtschaft immer stärker in die Kritik. Die Regierung streitet offen über die Notwendigkeit schneller Steuersenkungen schon im kommenden Jahr.

Kanzlerin Merkel: Sehnsucht nach einer Koalition mit der FDP
Foto: DPAAls erstes Regierungsmitglied kritisierte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos das kürzlich beschlossene Konjunkturprogramm als nicht ausreichend. Der CSU-Politiker forderte im Gespräch mit dem SPIEGEL ähnlich wie sein Parteifreund Horst Seehofer zusätzliche Steuersenkungen noch vor der Bundestagswahl im September 2009 und nicht erst 2010, wie von Merkel geplant. Auch der Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, verlangten weitere Entlastungen.
Seehofer warnt, das Land "kaputtzusparen"
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Seehofer sagte der "Bild am Sonntag": "Gerade weil die CDU in der Vergangenheit Steuersenkungen so vehement abgelehnt hat, sollten wir noch vor der Wahl zumindest einen Teil der Steuerreform umsetzen. Sonst sind wir für die Bürger wenig glaubwürdig." Er warnte davor, das Land "kaputtzusparen und so die Krise noch zu verschärfen". Seehofer schlug vor, Merkel und er sollten im nächsten Koalitionsausschuss der SPD ein gemeinsames Steuerkonzept vorlegen.
In der CDU wird die Kanzlerin ebenfalls mit konkreten Forderungen nach Steuersenkungen bereits 2009 konfrontiert. Diese ließen sich noch kurzfristig kommende Woche in die Beratungen zum Jahressteuergesetz einarbeiten, sagte Michael Fuchs, CDU-Wirtschaftsexperte und Vorsitzender des einflussreichen Parlamentskreises Mittelstand der Union im Bundestag. DIHK-Präsident Braun schlug in der Zeitung "BZ" als Eckpunkte für ein zweites Konjunkturpaket vor, die Mehrwertsteuer um einen Punkt auf 18 Prozent zu senken sowie schnell Einkommen- und Unternehmensteuern zu reformieren.
Dagegen wiesen sowohl Merkels rechte Hand im Kanzleramt, Minister Thomas de Maiziere (CDU), als auch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Forderung nach weiteren Konjunkturimpulsen zurück. "Ein weiteres Impuls- oder Wachstumsprogramm kommt derzeit nicht in Frage", sagte de Maiziere dem "Focus". "Es würde das erste Programm entwerten, das ja noch nicht einmal in Kraft getreten ist." Die Bundesregierung hat mit dem Bankenpaket und dem Konjunkturprogramm, das die Regierung Anfang November verabschiedet hat, bereits Hilfen von rund 32 Milliarden Euro bereitgestellt. Der Rettungsschirm für die Banken umfasst insgesamt 500 Milliarden Euro.
Glos hält Konjunkturpaket nur für einen ersten Schritt
Steinbrück sagte dem "Tagesspiegel", er sei es leid, "wie in einem Rattenrennen" ständig neue Forderungen entgegennehmen und sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass er "nicht jede Milliardenzeche" bereitwillig zahle. Mit "Konjunkturprogrammen ohne Maß" verbrenne man nur Geld. Wer Steuersenkungen fordere, dem sage er: "Die Richtung ist falsch." Zugleich räumte er jedoch ein, dass Deutschland sich in einer Rezession befinde, deren Ende nicht absehbar sei. Wann die schlimmsten Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden seien, könne niemand sagen.
Sein Kabinettskollege Glos stützt sich auf eine ähnlich skeptische interne Analyse seines Ministeriums, wonach sich die wirtschaftliche Lage weltweit dramatisch zuspitzt. "Wir stehen vor einer Rezession der Weltwirtschaft, wie wir sie in Tiefe und Breite seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben", heißt es nach SPIEGEL-Informationen in einem internen Papier des Wirtschaftsministeriums.
Glos hält das Konjunkturprogramm der Regierung lediglich für einen ersten Schritt. "Allerdings bin ich der Meinung, dass wir entschiedener vorgehen müssen. Der Konjunktur würde helfen, wenn wir jetzt die Steuern für kleinere und mittlere Verdiener senken", sagte der Minister, der seit längerem für eine Steuerreform noch im Wahljahr 2009 eintritt. Die Steuerpolitik der Union sei zu sehr von der Politik des SPD-Finanzministers Steinbrück bestimmt, stichelt Glos.
Auch Merkel äußerte sich pessimistisch über die Konjunkturaussichten. "Wir müssen damit rechnen, dass das kommende Jahr, zumindest in den ersten Monaten, ein Jahr schlechter Nachrichten wird", sagte sie der "Welt am Sonntag". In ihrer wöchentlichen Videobotschaft verwies die Kanzlerin aber zugleich auf das Konjunkturpaket der Regierung. Zudem werde die EU im Dezember weitere gemeinsame Maßnahmen beschließen, um Investitionen anzukurbeln.
Merkel sprach sich unterdessen, auch mit Blick auf die Steuerpolitik, für eine Koalition mit der FDP nach der Bundestagswahl 2009 aus. Dafür werde sie sich einsetzen, sagte sie der "Welt am Sonntag".
SPD-Chef Franz Müntefering warf der Union in der Finanzkrise Unfähigkeit vor. Es sei "ein Glück für unser Land, dass Sozialdemokraten in der Regierung sind und entschlossen die politische Linie ziehen", sagte er am Samstag nach Mitteilung der SPD auf einem Kongress der Arbeiterwohlfahrt in Berlin. "CDU/CSU wären überhaupt nicht in der Lage, das Land in einer solchen Phase verantwortlich zu regieren."
kaz/Reuters/AFP/AP