Umstrittene Thesen zu Migration Merkel entrüstet über Sarrazin

Kanzlerin Merkel: Deutliche Worte in Richtung Sarrazin
Foto: DDPBerlin - Bundeskanzlerin hat in scharfer Form auf die jüngsten Äußerungen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin reagiert. Dessen Sätze seien "äußerst verletzend, diffamierend und sehr polemisch zugespitzt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.
Sarrazins Bemerkungen ließen die Bundeskanzlerin "nicht ganz kalt". Sie seien "überhaupt nicht hilfreich" für die Integration von Ausländern in Deutschland. "Da müsste ein ganz anderer Ton angeschlagen werden", sagte der Regierungssprecher.
hatte erklärt, 40 Prozent der muslimischen Migranten lebten von Transfer-Leistungen. Der frühere Berliner SPD-Finanzsenator fügte im Deutschlandradio Kultur an: "Für die Gesamtheit der muslimischen Einwanderung in Deutschland gilt die statistische Wahrheit: In der Summe haben sie uns sozial und auch finanziell wesentlich mehr gekostet, als sie uns wirtschaftlich gebracht haben."
Damit bestätigte er die umstritteneren Positionen aus seinem neuen Buch "Deutschland schafft sich ab", aus dem der SPIEGEL vorab Auszüge veröffentlicht hatte. Darin warnt der 65-Jährige vor einer Überfremdung Deutschlands: Muslimische Einwandererfamilien profitierten überproportional von Sozialleistungen und leisteten keinen Beitrag zum Wohlstand. Sarrazin fordert hohe Hürden für die Zuwanderung und strenge Anforderungen an hier lebende Menschen mit ausländischen Wurzeln. Vor allem der polemische Ton provoziert Widerspruch.
Gabriel legt Sarrazin Austritt nahe
Vor Merkel hatte sich bereits die SPD von Sarrazin distanziert. Parteichef Sigmar Gabriel legte dem früheren Berliner Finanzsenator einen Austritt aus der Partei nahe. Auf die Frage, warum Sarrazin noch SPD-Mitglied sei, sagte Gabriel am Dienstagabend in Worms: "Das weiß ich auch nicht." Die Äußerungen des jetzigen Bundesbank-Vorstands seien zum Teil "dämlich" und dessen Sprache mitunter "gewalttätig".
Bundesbanker Thilo Sarrazin
Alle Vorstandsmitglieder der Bundesbank ernennt der Bundespräsident. Die Kandidaten für das Amt des Präsidenten, des Vizepräsidenten und eines weiteren Vorstands schlägt die Bundesregierung vor. Die Vorschläge für die übrigen Mitglieder des Bundesbank-Vorstands kommen vom Bundesrat im Einvernehmen mit der Regierung. Im Falle Sarrazins hatten turnusgemäß die Länder Berlin und Brandenburg das Vorschlagsrecht im Bundesrat. 2009 trat er sein Amt an.
Eine gesetzliche Regelung für die Entlassung eines Bundesbank-Vorstandsmitglieds gibt es nicht. Juristisch ist der Fall deshalb höchst umstritten. Manche Experten gehen davon aus, dass man die Regelungen für die Berufung auch für die Abberufung anwenden könne. Das hieße: Nur der Bundespräsident kann ein Vorstandsmitglied entlassen. Dazu muss es aber einen triftigen Grund geben: Entweder ist das Vorstandsmitglied krank und kann deswegen sein Amt nicht mehr ausüben, oder es begeht eine "weitreichende Verfehlung". Nach dem Verhaltenscodex für Bundesbanker müssen diese sich jederzeit in einer Weise verhalten, "die das Ansehen der Bundesbank und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bundesbank aufrechterhält". Um Sarrazin abzuberufen, muss dieser Lesart zufolge ein Drei-Stufen-Weg eingehalten werden: Zunächst muss der Bundesbank-Vorstand mit Mehrheit gegen ihn stimmen - dies ist bereits geschehen. Danach muss die Bundesregierung eine Stellungnahme abgeben - diese ist in Vorbereitung. Und schließlich muss der Bundespräsident der Abberufung zustimmen. Allerdings ist diese Vorgehensweise umstritten. Sarrazins Anwalt wird sich vermutlich darauf berufen, dass es kein festgeschriebenes Prozedere für eine Abberufung gibt. Umstritten ist außerdem, ob Sarrazin tatsächlich dem "Ansehen der Bundesbank" geschadet hat.
Bundesbank-Vorstände sind in der Regel acht Jahre im Amt, mindestens jedoch fünf. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Bundesbank-Vorstandsmitglied wegen Verfehlungen entlassen worden. Dass die Hürden für eine Abberufung so hoch liegen, hat einen guten Grund: Die Bundesbank soll vor politischer Einflussnahme geschützt werden. Die Geschichte zeigt, dass nur eine unabhängige Zentralbank eine stabile Währung garantieren kann - andernfalls wäre die Regierung immer wieder in Versuchung, das Geld abzuwerten, um so die Konjunktur anzukurbeln. Die Verantwortung für die Währung liegt mittlerweile zwar bei der Europäischen Zentralbank, das Prinzip der Unabhängigkeit gilt aber nach wie vor auch für die Bundesbank.
Der Integrationsexperte der Berliner SPD, Raed Saleh, warf Sarrazin Rassismus vor. Sarrazin vertrete "im Grunde Gedanken der NPD und von Pro Deutschland", sagte Saleh im Deutschlandradio Kultur.
Der Zentralrat der Juden begrüßte das Verhalten der SPD - und schlug polemisch gegen Sarrazin zurück. "Ich würde Herrn Sarrazin den Eintritt in die NPD empfehlen, das macht die Gefechtslage wenigstens klarer und befreit die SPD", sagte Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats.
Beim Internationalen Literaturfestival in Berlin droht Sarrazin die Ausladung. Der 65-Jährige und sein Verlag hätten die Einladung eines kritischen Gesprächspartners aufs Podium abgelehnt, teilte der Veranstalter, das Berliner Haus der Kulturen der Welt, am Mittwoch mit. "Bleibt es bei dieser Haltung, wird die Veranstaltung bei uns nicht stattfinden", sagte Intendant Bernd M. Scherer.
Sarrazins Verlag widersprach dieser Darstellung und wies den Vorwurf als unwahr zurück. Selbstverständlich würde man kritische Gesprächspartner akzeptieren, heißt es in einer Mitteilung. Das würde allein durch die Tatasache deutlich, dass ein Journalist die für den 25. September geplante Veranstaltung auf dem Podium hätte moderieren sollen. Sarrazin werde sich sehr wohl der Diskussion stellen, heißt es weiter - und zwar "ab dem 30. August in vielfältiger Weise".
Im Rahmen des Literaturfestivals hätte er zum Thema "Zukunft Deutschland" sprechen sollen. Der Migrationsrat Berlin-Brandenburg hatte allerdings gegen die Einladung Sarrazins Protest eingelegt.