Umstrittener Bombenangriff Neues Kunduz-Video aufgetaucht

Weitere Enthüllungen in der Kunduz-Affäre: Die "Bild"-Zeitung berichtet über ein neues Video von dem Luftangriff auf die Tanklastzüge. Die Aufnahmen wurden offenbar von der Bundeswehr am Boden gemacht.
Zerstörte Tanklaster bei Kunduz: Neues Video vom Angriff aufgetaucht

Zerstörte Tanklaster bei Kunduz: Neues Video vom Angriff aufgetaucht

Foto: ddp

Berlin - In der Affäre um das Bombardement von zwei Tanklastern bei Kunduz ist ein neues Video aufgetaucht. Bei den Schwarzweißbildern, die die "Bild"-Zeitung auf ihrer Internetseite veröffentlichte, handelt es sich offenbar um Aufnahmen der Bundeswehr. Die Blickrichtung der Bilder zeigt, dass diese vom Boden aus aufgenommen worden sind.

Bundeswehr in Afghanistan

Oberst Georg Klein

Bisher war nicht bekannt, dass die eigene Bilder des Bombenabwurfs und der massiven Explosion hatte. Öffentlich waren lediglich Luftaufnahmen der beiden Laster geworden, die ein B1-Bomber und zwei F-15-Jets der US-Luftwaffe aufgenommen hatten. Anhand der Bilder und den Angaben eines afghanischen Informanten, so der bisherige Stand, traf der deutsche in der Nacht vom 3. auf den 4. September die folgenschwere Entscheidung, zwei Bomben auf die Sandbank südwestlich des deutschen Camps in Kunduz abzuwerfen, auf der die beiden Trucks feststeckten. Dabei kamen bis zu 140 Menschen ums Leben.

Die Quelle der neuen Aufnahmen ist noch unklar. Es scheint sich um Bilder der hochauflösenden Kameras des deutschen Camps zu handeln, welche die Umgebung des Lagers aufklären und mit Nachtsichteigenschaften ausgerüstet sind. Auf den Bildern sind zunächst zwei Autos zu erkennen, dann im linken Bildbereich die massive Explosion der beiden Bomben. Auf den von "Bild" veröffentlichten Aufnahmen ist nicht zu sehen, dass der spätere Abwurfort der beiden Bomben mit den deutschen Kameras aufgeklärt wurde.

Neue Fragen an das Verteidigungsministerium

Trotzdem wird die Veröffentlichung dem Verteidigungsministerium neue Fragen bescheren, warum diese Bilder bisher nicht bekannt waren. Die Zeitung veröffentlichte am Freitag im gleichen Artikel auch neue Fragen zur Beteiligung der Task Force 47 an dem Bombenabwurf. Die Sondereinheit, über die wenig bekannt ist, wird im Untersuchungsausschuss eine wichtige Rolle einnehmen.

So war die gesamte Überwachung der beiden Tanklaster im Befehlsstand der Task Force geführt worden, die zur Hälfte aus KSK-Elitekämpfern besteht. Unter Berufung auf interne Dokumente stellte die "Bild" nun erneut die Frage, welchen Einfluss die Sondereinheit, die auch auf die Jagd auf Taliban spezialisiert ist, in der Nacht des Angriffs gespielt hat. Offen ist dabei auch die Rolle der Führung der Einheit, die von einem gesonderten Befehlsstand in Potsdam gesteuert wird.

Unionspolitiker fordern robusteres Mandat

Die Debatte um den Bombenangriff bei Kunduz beschäftigt die deutsche Innenpolitik seit Wochen. Politiker von CDU und CSU wollen wegen des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan nun eine Änderung des Grundgesetzes prüfen. "Auf veränderte Realitäten des 21. Jahrhunderts sollten wir mit entsprechender Rechtsetzung reagieren", sagte Ernst-Reinhard Beck (CDU), verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, SPIEGEL ONLINE. Es stelle sich die Frage, "ob nicht der Gesetzgeber verpflichtet ist, die sicherheitspolitisch relevanten Artikel des Grundgesetzes auf den Prüfstand zu stellen".

Die asymmetrische Bedrohung komme in der deutschen Verfassung bisher nicht vor. "Das ist ein blinder Fleck, der für den Gesetzgeber zumindest eine Betrachtung wert wäre", sagte Beck. Die sicherheitspolitische Verfassungsdiskussion sei "1968 bei den Notstandsgesetzen stehengeblieben. Das geht nun zu Lasten unserer Soldaten".

Hans-Peter Uhl (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sagte SPIEGEL ONLINE: "Wir sind rechtlich, mental und politisch nicht aufgestellt für kriegerische Handlungen. Wir wollen die pazifistischsten Pazifisten sein. Das geht nicht." Die Deutschen müssten "in der afghanischen Wirklichkeit ankommen: Es sind kriegsähnliche Handlungen, dort schießen Menschen auf Menschen".

Nach dem Untersuchungsausschuss sei die Frage zu beantworten, "ob und gegebenenfalls wie wir unser Afghanistan-Mandat und dessen Rechtsgrundlagen rechtlich verändern müssen". Anhand des Falles Kunduz "werden die Juristen rauf und runter deklinieren, was Oberst Klein durfte - und was nicht".

Uhl forderte im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE eine Änderung des Grundgesetzes: "Wir müssten unsere Verfassung auf die Wirklichkeit asymmetrischer Bedrohungen hin umschreiben, allerdings haben wir dafür keine Mehrheit im Bundestag." In Afghanistan herrsche weder Krieg noch Frieden, darauf gebe das Grundgesetz keine Antwort. "Solange wir dies nicht ändern, kann die Bundeswehr nicht der Bündnispartner in der Nato sein, der benötigt wird."

Neue Großoffensive gegen Taliban

Französische Truppen haben derweil in Afghanistan eine großangelegte Offensive gegen die Taliban gestartet. An den Kämpfen im Usbin-Tal östlich von Kabul waren nach Angaben von Militärvertretern am Donnerstag mehr als 1100 Soldaten beteiligt, darunter 800 französische Fremdenlegionäre sowie afghanische Soldaten und US-Truppen. Außerdem seien Flugzeuge und Hubschrauber im Einsatz. Fünf Soldaten der US-Spezialkräfte wurden den Angaben zufolge verletzt. Mit der Operation solle die Hoheitsgewalt der afghanischen Sicherheitskräfte in der Region, einer Taliban-Hochburg bekräftigt werden, sagte ein Oberst der Fremdenlegion, Benoît Durieux.

Im August 2008 waren in der Region zehn französische Nato-Soldaten getötet und 21 weitere verletzt worden, als ihr Konvoi aus einem Hinterhalt angegriffen und stundenlang beschossen wurde. Es war der schwerste Verlust für die französische Armee bei einem Auslandseinsatz seit 25 Jahren.

Österreich fühlt sich von USA unter Druck gesetzt

Der österreichische Verteidigungsminister Norbert Darabos hat sich unterdessen gegen US-Forderungen nach einer Beteiligung des Bundesheeres am Afghanistan-Einsatz verwahrt. Österreich sei ein souveräner Staat, der selbst entscheide, wohin er seine Truppen entsende, erklärte Darabos in einem am Donnerstagabend veröffentlichten Interview der Tageszeitung "Der Standard". "Der Druck der Amerikaner ist relativ stark. Er ist teilweise ein bisschen ungehörig", wurde der Minister auf der Website der Zeitung zitiert.

"Wir haben drei Offiziere in Kabul stationiert. In heiklen Zeiten im Jahr 2002 waren wir mit rund 60 Mann präsent. Später, bei den Wahlen 2005, haben wir ebenfalls ein Kontingent dort gehabt. Afghanistan ist heute eine Aufgabe der Nato." Zwar werde Österreich keine Soldaten nach Afghanistan entsenden, dafür sei Wien aber bereit, anderswo mehr Verantwortung zu übernehmen, beispielsweise auf dem Balkan. Das Land werde seine Präsenz in Bosnien von 150 auf 230 Soldaten aufstocken, um den Abzug von Soldaten aus anderen Ländern zu kompensieren, erklärte Darabos laut der Zeitung.

als/mgb/ddp/dpa/AFP
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