Umweltpolitik Wie Schwarz-Gelb Wachstumschancen verspielt

Berlin - Noch hat die kein Leitbild gefunden, das sie in den nächsten vier Jahren verfolgen will. Große Steuergeschenke? Erlaubt die Haushaltslage nicht. Radikalkur im Sozialsystem? Findet Kanzlerin Merkel zu riskant. Auf die naheliegendste Idee ist die Koalition bisher nicht gekommen: Mit Volldampf auf den zu setzen. Das wäre nicht nur angesichts düsterer Klimaszenarien angemessen. Mit einem solchen Schwerpunkt könnte die neue Bundesregierung die deutsche Position als Exportweltmeister von China zurückerobern und Hunderttausende neue Arbeitsplätze ermöglichen.
Bewahrung der Schöpfung bei maximalen Profit - für die neue Regierung könnte der Umwelt- und Klimaschutz so identitätsstiftend werden wie einst für Rot-Grün. Sie müsste nur über ihren eigenen Schatten springen. Umwelttechnologien haben das Potential, in den kommenden Jahren zum Fundament der deutschen Wirtschaft zu werden. Für sie gibt es einen geradezu explosiv wachsenden Weltmarkt.
In diesen Wochen bekommen Großkonzerne wie Siemens, aber auch die vielen Mittelständler im Bereich Effizienz und erneuerbare Energien gewaltige Aufträge aus den USA. Die Umweltbranche hat das Zeug dazu, die krisengebeutelte Automobilindustrie als Leitbranche abzulösen - sofern man sie lässt und ihrem Wachstum durch Umweltauflagen und Preisanreize politischen Begleitschutz gibt.
Sträfliches Versäumnis
Doch die neue Koalition arbeitet an dieser einmaligen Chance bisher sträflich vorbei. In der Union gibt eine Fraktion der Ewiggestrigen den Ton an, der noch immer alles Grüne suspekt ist, und die FDP fremdelt nachhaltig mit dem Zukunftsthema. "Wir sind an vielen Fronten mit dem Versuch konfrontiert, Umweltthemen ganz nach hinten zu schieben und die Uhr zurückzudrehen", sagt ein einflussreicher Unterhändler.
- Beispiel eins: Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) versucht, die Pflicht zum Handel mit CO2-Emissionen wieder aufzuweichen. Der verpflichtende Handel führt dazu, dass CO2-Emissionen Geld kosten und CO2-Einsparung in bare Münze verwandelt werden kann. Abschwächungen würden den wichtigsten Anreiz für Investitionen in Energieeffizienz deutlich abschwächen.
- Beispiel zwei: werden zwar wortreich gelobt, aber gelten letztlich eher als Kostenbelastung denn als Chance. Dass sie bereits mehr als 280.000 Arbeitsplätze sichern, gewaltige Exportchancen bergen und Deutschland gegen steigende Ölpreise wappnen, bleibt außen vor. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das weltweit als Vorbild gilt und von Dutzenden Ländern kopiert wurde, wollen viele Koalitionäre stutzen. "Es gibt bei uns immer noch viele, die erneuerbare Energien plattmachen wollen", sagt ein Landesumweltminister der CDU.
- Beispiel drei: Schwarz-Gelb plant, Energieverbrauch zu belohnen. Obwohl Kanzlerin Merkel gerade auf dem G-20-Gipfel versprochen hat, Subventionen für fossile Energieträger abzubauen, fordert besonders die FDP nun, Dieseltreibstoff für Bauern dauerhaft zu verbilligen und die Stromsteuer abzusenken.
Wirtschaftsfreundliche Konzepte
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe Umwelt und Landwirtschaft, angeführt von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und dem FDP-Politiker Michael Kauch, hätten solchen Rückwärtsbewegungen ein schwarz-gelbes Großprojekt entgegensetzen können, das zudem Rot-Grün weiter das Wasser abgraben würde: grünes Wachstum durch Innovation.
"Deutschland wird bis 2020 in allen Bereichen zur umweltfreundlichsten Industrienation der Welt" - "Wir widmen Straßenbaumittel in den öffentlichen Nahverkehr um" - "Wir machen die jeweils effizientesten Technologien umgehend zur Industrie-Norm" - "Wir bauen die Umweltbranche zur deutschen Schlüsselindustrie aus" - "Wir werden bis 2025 benzingetriebene Autos durch intelligente Verkehrssysteme ersetzen" - "Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien schon nach 2030 ist das Ziel unserer Politik" - das wären für die Welt von morgen durch und durch wirtschaftsfreundliche Formulierungen.
Kleinmut regiert
Doch zu solch neuem Denken hat den Umwelt-Unterhändlern bisher der Mut gefehlt. Ihr Beitrag zum Koalitionsvertrag, über den die Spitzen der neuen Koalition nun am Wochenende verhandeln, ist in der derzeitigen Form eine einzige Abwehrschlacht gegen Angriffe aus anderen Arbeitsgruppen: Es soll beim Emissionshandel bleiben, es soll mit Ausnahme der Photovoltaik bei der Förderung von Ökostrom bleiben, wir wollen an den Klimaschutzzielen festhalten - solche Formulierungen bringen unverblümt zum Ausdruck, mit welchem Öko-Rollback die Umweltpolitiker insgeheim rechnen. Nach wirklich neuen Zielen, Ideen, Leitbildern, Projekten muss man in der Koalitionsvorlage jedenfalls mit der Lupe suchen.
Uno-Klimagipfels in Kopenhagen
Während Politiker aus anderen Bereichen munter Finanzforderungen aufstellen, nennt das Kommuniqué der schwarz-gelben Umweltunterhändler derzeit kaum Zahlen. So fehlt auch eine Strategie, wie Deutschland durch Finanzzusagen an Entwicklungsländer zu einem Gelingen des beitragen kann. Bisher sind in dem Abschlusspapier nicht einmal jene 500 Millionen Euro jährlich enthalten, die Kanzlerin Merkel im vergangenen Jahr für die Zeit ab 2012 versprochen hat, um den internationalen Regenwaldschutz zu finanzieren. Dabei wäre jetzt die Zeit, solche Versprechen festzuschreiben. Auch Forderungen an andere Politikbereiche - etwa die Verkehrsplanung - bleiben aus. "Da hätten wir doch sofort eins auf die Finger gekriegt", sagt einer der Unterhändler kleinmütig.
Kein Aufbruch, nirgends
Mutig werden die schwarz-gelben Umweltpolitiker allein bei dem Plan, die Laufzeiten der zu verlängern. Diesen Kurs lehnen weite Teile der Bevölkerung ab. Gelockt werden sollen die Kritiker damit, dass mehr als die Hälfte der zusätzlichen Erträge aus einer solchen Verlängerung "abgeschöpft" werden und der Entwicklung erneuerbarer Energien zufließen soll. Dass dies wirklich dem Ausbau der erneuerbaren Energien nutzen wird, ist eine gewagte Behauptung. Denn der geplante Wegfall der nuklearen Kapazitäten stellte für Energieversorger bisher einen enormen Anreiz dar, in Ökostrom zu investieren. Ob Fördergelder, die über eine Stiftung verteilt werden, genauso gut wirken, ist mehr als fraglich. Der Atom-Aufbruch macht es zudem schwer, sinnvolle Modifikationen etwa bei der Solarförderung zu vermitteln. Die Fördersätze für Solarstrom sind auch nach Ansicht von Branchenlobbyisten zu hoch und verteuern völlig unnötig Solarmodule weltweit. Dass die neue Regierung aber als erstes Atomkraft fördert und zugleich Solarstrom bestraft, sendet ein für sie wenig schmeichelhaftes Signal aus.
Kein Aufbruch, nirgends. Dabei könnte allein ein ambitioniertes neues Klimaschutzprogramm der Bundesregierung bis 2020 mehr als 600.000 neue Arbeitsplätze schaffen, hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung soeben errechnet.
- Klimaschutz freut die Baubranche, die Häuser dämmen kann
- und Handwerker, die neue Heizkessel montieren.
- Maschinenbauer profitieren, weil ihre innovativsten Produkte Abnehmer finden.
- Wer über Patente und Technologien zum Energie- oder Rohstoffsparen verfügt, kann optimistisch in die Zukunft blicken, weil auch weltweit die Nachfrage boomt.
- Zudem spart Klimaschutz massiv Energieausgaben für Erdöl und Erdgas, die sonst nach Russland oder Saudi-Arabien entrichtet werden müssten. Das Geld bliebe in Deutschland und könnte hier investiert werden.
Setzt die Politik die richtigen Ziele und Anreize, hält auch Siemens-Chef Peter Löscher ein "grünes Wirtschaftswunder" für möglich. So zu denken, ist aber vielen in der schwarz-gelben Koalition noch immer fremd. Für sie gilt der alte Gegensatz von Ökonomie und Ökologie.
Wie überholt das angesichts des Booms der Umwelttechnologien ist, müsste Kanzlerin Merkel in ihrer Partei durchsetzen - doch seit ihrem Intermezzo als "Klima-Kanzlerin" 2007 tut sie es nicht mehr. Auch die FDP verschenkt mit ihrem dauerhaften Fremdeln gegenüber Umweltthemen großes Potential: Ein guter Teil des liberalen Klientels geht längst in Biosupermärkten einkaufen oder verdient als Mittelständler Geld mit Umwelttechnologien.