Ursula von der Leyens möglicher neuer EU-Spitzenjob Sail away

Gorch-Fock-Desaster, Berater-Affäre, schlechte Stimmung in der Bundeswehr: Hinter den Kulissen arbeitete Ursula von der Leyen schon länger kühl auf den Absprung hin. Der mögliche EU-Topjob ist nur vermeintlich ein Überraschungs-Coup.
Ursula von der Leyen auf der Gorch Fock: Lieber EU-Außenpolitik als die leidigen Rüstungsprojekte daheim

Ursula von der Leyen auf der Gorch Fock: Lieber EU-Außenpolitik als die leidigen Rüstungsprojekte daheim

Foto: Axel Heimken/ DPA

Eins muss man Ursula von der Leyen lassen: Abwarten kann sie. Während in Brüssel seit dem Wochenende Tag und Nacht um die Topposten der EU gerungen wurde, ließ sich die Ministerin im brandenburgischen Schloss Ziethen selbst im vertraulichen Kreis nichts anmerken. Gemeinsam mit ihren Topgenerälen ging es, gut anderthalb Stunden entfernt von Berlin, zwei Tage lang um die Zukunft der Bundeswehr, um die schwierige Suche nach Personal, um eine Weltraumstrategie und vieles mehr.

Nur über eins sagte von der Leyen kein Wort: ihre eigene Zukunft. Sachlich arbeitete sich die 60-Jährige durch das Programm der schon länger geplanten Führungsklausur, nur ab und zu checkte sie ihre SMS-Nachrichten. Dann brachte der Absturz eines Bundeswehrhelikopters am Montagnachmittag das Programm kurz durcheinander. Von der Leyen flog mit dem Heeresinspekteur zum Unfallort. Am Morgen danach ging es in Ziethen aber wie geplant weiter.

Als die Ministerin am Dienstag den Heimweg nach Berlin antrat, schaute der eine oder andere General also ziemlich verdutzt auf sein Mobiltelefon. Überraschend stand von der Leyen, seit 2013 erste weibliche Befehlshaberin der Bundeswehr, plötzlich als aussichtsreichste Kandidatin auf den Chef der EU-Kommission auf allen Nachrichtenseiten. Nur Stunden später kam aus Brüssel die Nachricht, dass von der Leyen von den EU-Regierungschefs für den Posten nominiert wurde.

Für die Ministerin ist der Wechsel nach Brüssel eine politische Sensation. Sicher, als eine der erfahrensten Ministerinnen im Kabinett von Angela Merkel gilt sie als Schwergewicht der Berliner Politik. Mit dem Posten der Kommissionspräsidentin aber nimmt ihre Karriere noch einmal eine Wendung, die von der Leyen wohl selbst kaum erträumt hatte.

Schon Ende vergangener Woche war ihr Name erstmals gefallen. Damals wurde in Brüssel ventiliert, man könne sie sich gut als Nachfolgerin von EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini vorstellen. Dass die Deutsche den Posten bekommen würde, so die damalige Variante, wäre eine Art Ausgleich dafür gewesen, dass der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber leer ausgeht beim Brüsseler Postengeschacher.

Die Voraussetzungen für einen Topposten bei der EU bringt von der Leyen fraglos mit. Die in Brüssel geborene Politikerin ist wohl die einzige deutsche Spitzenkraft, die auf Französisch und Englisch nicht nur Höflichkeitsfloskeln austauschen, sondern auch sicher verhandeln kann. Wenn man die Ministerin in den vergangenen Monaten begleitete, redete sie oft ausgiebiger und detailversessen über die EU-Außenpolitik als über die leidigen Rüstungsprojekte daheim.

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Ursula von der Leyens Karriere: Von Niedersachsen über Berlin nach Brüssel

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Wie kaum jemand sonst im Kabinett, bewegt sich die Ministerin bei der Nato und der EU trittsicher. Mit viel Aufwand hat sie in den vergangenen Jahren ein Netzwerk von Vertrauten in den internationalen Zirkeln etabliert, Handynummern gesammelt, vor allem die Kontakte nach Osteuropa gepflegt. Weitgehend unbeobachtet war sie in den vergangenen Wochen unterwegs in Europa, im Ministerium unkte man wegen der vielen EU-Termine, es sei vordringlich um ihre eigene Zukunft gegangen.

Auch wenn von der Leyen in Deutschland wegen der Pannen der Bundeswehr viel Häme abbekommt, auf EU-Ebene gehört sie zu den Playern. Nicht nur bei der Nato, dort ist von der Leyen mittlerweile dienstälteste Ministerin, hat sie sich Respekt erarbeitet. "Ich schätze Ursula von der Leyen als sehr fähige Ministerin und starke Führungspersönlichkeit", sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dem SPIEGEL. Er wolle mit ihr "sehr eng zusammenarbeiten", um die Partnerschaft von Nato und EU zu vertiefen.

Ursula von der Leyen und Jens Stoltenberg

Ursula von der Leyen und Jens Stoltenberg

Foto: Francois Walschaerts/REUTERS

Von der Leyen ist dafür die richtige Frau. Auf EU-Ebene setzte sie die verstärkte Kooperation im Verteidigungsbereich und einen gut bestückten Fonds für Rüstungsprojekte durch. Das ist auch dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht entgangen. Der lobte sie nach dem EU-Gipfel als Frau mit "europäischer DNA".

Davon muss sie nun auch die EU-Parlamentarier überzeugen, denn die müssen sie in knapp zwei Wochen wählen. Die Grünen winken schon ab, und auch bei den Sozialdemokraten und einigen Abgeordneten der Europäischen Volkspartei ist die Begeisterung noch gering.

Die große Hypothek für von der Leyen ist der verkorkste Prozess, der zu ihrer Auswahl führte. Eigentlich waren bei der Europawahl für die großen Parteienfamilien Spitzenkandidaten angetreten, die nun den Kommissions-Topjob hätten bekommen müssen. Doch sie ließen sich im Rat nicht durchsetzen. Daher muss von der Leyen jetzt rasch um Vertrauen im Parlament werben, Ex-Spitzenkandidat Weber hat sie für Mittwoch in die EVP-Fraktionssitzung eingeladen.

Video: Merkel zur Nominierung von der Leyens - "Ich habe mich nicht dagegen gewehrt"

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Für die Ministerin bedeutet der Absprung nach Brüssel eine Befreiung - nach dem Dauerärger im Verteidigungsministerium. Die Berateraffäre legte den Blick auf dubiose Auftragsvergaben offen, bei der Pannenserie um die Renovierung des Segelschulschiffs "Gorch Fock" machte von der Leyen keine glückliche Figur. Zudem ist ihre Modernisierungs-Agenda für die Truppe unter dem Spardiktat aus dem Finanzressort nicht mehr zu stemmen. Jetzt segelt sie dem Ärger quasi davon - Sail Away, Dream Your Dream.

Der Ministerin selbst war in den vergangenen Tagen kein Wort zu ihren Ambitionen zu entlocken. Sie wird gewusst haben: Jede noch so kleine Interessensbekundung kann schnell nach hinten losgehen. Sie hat das 2010 leidvoll selbst erleben müssen, als sie in der Frage, wer Horst Köhler als Bundespräsident nachfolgen sollte, ihr Interesse zu früh aufblitzen ließ - und am Ende leer ausging. Folglich kam ihr nichts anderes als Lob für Manfred Weber über die Lippen.

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