"Veggie Day" Die Furcht vor der grünen Umerziehung

Protest gegen den fleischlosen Tag: CDU und FDP geißeln die "grüne Umerziehung". SPIEGEL ONLINE und die Dokumentationsjournalisten des SPIEGEL machen den Faktencheck: Ist der "Veggie Day" ein Schritt in Richtung Ökodiktatur?
Von Hauke Janssen
Salatteller: Aufregung um den "Veggie Day"

Salatteller: Aufregung um den "Veggie Day"

Foto: Fredrik Von Erichsen/ picture alliance / dpa

Unruhige Zeiten in Europa. Demokratiehungrige Türken proben den Aufstand. Griechen, Italiener, Spanier und Portugiesen rebellieren gegen sozialen Kehraus und das Spardiktat der Troika, und auch deutsche Bürger haben es langsam satt.

Nein, es geht nicht schon wieder um die Angst vor dem Überwachungsstaat. Auf dem Programmzettel steht die vermeintlich drohende, grüne Erziehungsdiktatur.

So sehnt der Journalist Ulrich Greiner in der aktuellen "Zeit" nicht "zero tolerance" gegen unkontrolliert spionierende Schlapphüte herbei, sondern einen "zero day", das heißt einen Tag "ohne Weltverbesserungsvorschläge und Erziehungsmaßnahmen der Grünen".

Anlass für die Aufregung ist ein alter Plan der Grünen, den die "Bild-Zeitung" am Montag enthüllte: "Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten" , titelt das Springer-Blatt, und liefert tags darauf mit Frontberichten vom "Widerstand" gegen Fleischverbot und "grüne Umerziehung"  gleich auch die "Weiterdrehe", wie es unter Medienleuten heißt.

Die schwarz-gelben Wahlkampfstrategen springen gerne auf den angeschobenen Zug. Da muss "Bild" nicht lange bitten. Die CDU schickt Generalsekretär Hermann Gröhe vor und erkennt einen weiteren "Baustein für die grüne Bundes-Verbots-Republik".  Bei der FDP nimmt sich der Spitzenkandidat persönlich der Sache an. Hält die Partei die Verteidigung von Bürgerrechten doch für eine ihrer Kernkompetenzen. "Menschen ständig Vorschriften zu machen, ist nicht mein Verständnis von Freiheit und Liberalität" , sagt Rainer Brüderle.

Die FDP-nahe "Friedrich-Naumann-Stiftung" führt aus: Die Grünen "zeigten ihr wahres Gesicht als Öko-Diktatoren" .

"Veggie Day" - was ist das überhaupt?

"Ein 'Veggie Day' ist ein wunderbarer Tag zum Ausprobieren, wie wir uns ohne Fleisch ernähren", schwärmt Grünen-Fraktionschefin Renate Künast dem deutschen Griller vor.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt - die selbst im Wahlkampf ihr Amt als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht ruhen lassen kann - erklärt: Weniger Fleisch zu essen, sei gut für die Gesundheit, den Tier- und den Klimaschutz. Deshalb plädiere sie für einen staatlich geförderten Tag in der Woche, an dem Kantinen und Mensen nur noch fleischlose Gerichte anbieten sollten, zum Beispiel am Donnerstag. Das wäre dann der "Veggie Day".  

Den fleischlosen Tag hatte bereits das Ende April beschlossene, grüne Wahlprogramm proklamiert:

"Pro Kopf und Jahr essen wir Deutsche rund 60 Kilo Fleisch. Dieser hohe Fleischverbrauch birgt nicht nur gesundheitliche Risiken. Er erzwingt auch eine Massentierhaltung, die auf Mensch, Tiere und Umwelt keine Rücksicht nimmt. Deshalb fordern wir mehr Verbraucheraufklärung zu den gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Fleischkonsums. Öffentliche Kantinen sollen Vorreiterfunktionen übernehmen.

Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein 'Veggie Day' sollen zum Standard werden."  Aber, so Göring-Eckardt: "Es geht nicht um eine Zwangsaktion." Das betont auch der Bundesvorsitzende Cem Özdemir: Der "Veggie Day" soll "keine Bevormundung" sein:

"Wir Grüne wollen niemandem verbieten, Fleisch zu essen" - "auch nicht am Donnerstag".  Den Ruf der Grünen nach einem "Veggie Day" mag man als anmaßend und ärgerlich empfinden, als lästig und albern. Aber mit Diktatur hat es im Ernst natürlich nichts zu tun.

Er erinnert eher an den Tag, als die Hiltrud dem Gerhard das Schnitzel wegnahm , oder an den Tag, als Kanzler Helmut Schmidt in Oberlehrerpose einen fernsehfreien Tag empfahl .

Und eine Erfindung der Grünen ist die Forderung nach Verzicht auf Fleisch wahrlich auch nicht. Den Katholiken beispielsweise war Fleischgenuss nicht nur in der Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern verboten, sondern bis in die sechziger Jahre auch jeden Freitag . Auch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz steht dem fleischlosen Essen weniger zugeknüpft gegenüber,  als die ablehnende Reaktion auf den aktuellen Grünen-Vorstoß vermuten lässt. Im Dezember 2009 forderte Ministerin Ilse Aigner höchstselbst die Verbraucher zum Fleischverzicht auf .

Das CSU-geführte Ministerium gehört auch nach wie vor zu den Förderern der Initiative "Veggietag Hannover".  Im Januar 2010 hatte Bremen als erste deutsche Stadt den Donnerstag zum "Veggie Day" erklärt. Ähnliche Initiativen gibt es mittlerweile überall im Lande .

Fazit: Fälle von Freiheitsberaubung, Gehirnwäsche und veganer Zwangsernährung sind uns im Rahmen der "Veggie Day"- Initiativen bisher nicht bekannt geworden.

Note: Viel Lärm um nichts (fünf Windmühlen und drei Weihrauchfässer)

Mitarbeit: Klaus Falkenberg
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