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Alexander Neubacher

Die Gegendarstellung Der Schrott auf deutschen Straßen

Alexander Neubacher
Eine Kolumne von Alexander Neubacher
Wenn die Regierung verhindern will, dass demnächst Zehntausende gut bezahlte Arbeitsplätze verloren gehen, wird es nicht reichen, ein paar Elektroautos zu fördern.
aus DER SPIEGEL 30/2020
Schrottplatz in Norderstedt

Schrottplatz in Norderstedt

Foto: DPA

In Deutschland vergreisen jetzt sogar die Autos. Fast jeder vierte Pkw ist 15 Jahre oder älter; jeder zwölfte wurde noch im letzten Jahrhundert zugelassen, ungefähr jeder fünfzigste sogar vor dem Fall der Mauer. Seit der Wiedervereinigung sind die Deutschen noch nie so alte Autos gefahren, sagt der Experte Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research, der die Daten zusammengestellt hat.

Nun bin ich persönlich davon überzeugt, dass nach dem Käfer und der Mercedes-Baureihe 123 ohnehin kein deutsches Auto mehr gebaut wurde, das der Rede wert gewesen wäre. Doch wenn in einem Land, dessen Wohlstand wesentlich von der Autoindustrie abhängt, der Schrott auf Rädern durch die Straßen rollt wie sonst in Kuba, muss man sich Sorgen machen. Volkswagen, Opel, Mercedes und BMW sind tief in der Krise; Hunderttausende fürchten um ihre Jobs. Die IG Metall sagt, dass mehr als 250 Zuliefererbetriebe vor der Pleite stehen.

Wie kommt es, dass die PS-verliebten Deutschen ihre Autos mit durchschnittlich 9,6 Jahren inzwischen länger fahren als die Österreicher, Italiener, Dänen und, ja, sogar länger als die Franzosen, bei denen die verbeulte Karre doch angeblich zum Nationalcharakteristikum zählt? Zum einen sind die Hersteller in Wolfsburg oder Ingolstadt selbst schuld. Erst haben sie bei den Abgaswerten gelogen, dann wollten sie sich beim Schadensersatz drücken: Wer so mit der Kundschaft umgeht, darf sich nicht wundern, wenn die nicht wiederkommt.

Zum anderen hemmt das Durcheinander bei Umweltplaketten und Fahrverboten. Bevor ein Normalverdiener 35 000 Euro für ein Auto ausgibt, will er sicher sein, dass er damit auch in ein paar Jahren noch in die City fahren darf. Doch dieses Vertrauen ist verschwunden. Oder würden Sie sich heute noch privat einen Diesel kaufen? Es ist höchste Zeit, dass die Regierung das Rätselraten beendet und klar sagt, ob es zum Beispiel eine blaue Plakette geben wird oder nicht.

Statt neuer Verbrennerautos fahren nun weiter die alten Verbrennerautos durch Deutschland. Was daran ökologisch sein soll, bleibt das Geheimnis der SPD-Führung.

Eine Gelegenheit, um den Absatz von Neuwagen anzukurbeln, hat die Regierung beim Konjunkturpaket gerade erst verstreichen lassen. Die SPD verhinderte eine Abwrack- und Neukaufprämie für Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotor; diese schadeten dem Klima, so die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Warum es dem Klima weniger schadet, wenn statt neuer Verbrennerautos nun weiter die alten Verbrennerautos durch Deutschland fahren, bleibt das Geheimnis der SPD-Führung. Stattdessen wird nun der Absatz von Elektroautos subventioniert, bei denen das Angebot so gering ist wie die Nachfrage. Bei den Neuzulassungen machen sie keine vier Prozent aus. Nicht einmal die SPD-Führung besitzt offenkundig ein Auto mit Stromantrieb. Bei einem Treffen mit der Bundeskanzlerin fuhr sie jedenfalls im Verbrenner-Audi vor.

Wenn die Regierung verhindern will, dass demnächst Zehntausende gut bezahlte Arbeitsplätze verloren gehen, wird es nicht reichen, ein paar Elektroautos zu fördern. Eine Abwrackprämie für Diesel und Benziner mag die Falschen belohnen. Doch wenn der wichtigste Industriezweig auf der Kippe steht, ist nicht die Zeit für Rechthaberei.

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