Verfassungsgerichtsurteil Schäuble will Online-Durchsuchung zügig ins Gesetz schreiben
Berlin - Heute wollen sie alle Gewinner sein. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Online-Durchsuchungen sehen sich alle Betroffenen bestätigt: Innenminister Wolfgang Schäuble sagte, er begrüße das Gesetz. "Es hat zugleich festgestellt, dass Online-Durchsuchungen verfassungsrechtlich möglich sind."
Die Karlsruher Richter hatten zuvor das nordrhein-westfälische Gesetz zu den Online-Durchsuchungen gekippt und strenge Auflagen für alle folgenden gesetzlichen Regelungen zu diesem Thema vorgegeben.
Das Bundesinnenministerium werde das Urteil nun zunächst aber sorgfältig prüfen, erklärte Schäuble. "Unter engen Voraussetzungen sind Online-Durchsuchungen möglich zur Abwehr schwerer Gefahren", fasste Schäuble den Richterspruch zusammen. Das decke sich mit der Auffassung des Innenministeriums dazu. Der Minister hob hervor, Befürchtungen, es gehe um ein breit angelegtes Ausspähen von Computern, seien immer unberechtigt gewesen. Auch darüber schaffe das Urteil die notwendige Klarheit. Auf Grundlage des Karlsruher Richterspruchs werde die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der BKA-Kompetenzen beschließen, sagte Schäuble heute in Berlin.
Justizministerin Brigitte Zypries sagte ihrem Kabinettskollegen Unterstützung zu. Sie kann sich als wahre Siegerin des Urteils fühlen - ihren Bedenken trugen die Richter Rechnung. Die SPD-Politikerin nannte das Urteil eine Stärkung der Freiheitsrechte. "Ich freue mich, dass die Karlsruher Richter meine Rechtsauffassung bestätigt haben, dass bei einem mit ganz erheblichen Grundrechtseingriffen verbundenen Ermittlungsinstrument Verfahrenssicherungen auf hohem Niveau zum Schutz der Bürgerrechte eingezogen werden müssen", erklärte die SPD-Politikerin. Zypries hatte sich mit ihrem Kabinettskollegen Schäuble in den vergangenen Monaten heftige Auseinandersetzungen in Sachen Online-Durchsuchung geliefert.
SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, es könne schon in sechs bis acht Wochen ein Gesetzentwurf vorliegen. Er geht von vier bis acht Online-Durchsuchungen pro Jahr aus.
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hält das Urteil für einen "Schlag ins Gesicht" von Schäuble. "Seine ausufernden Pläne für eine Online-Durchsuchung sind damit zunichtegemacht worden." Er müsse seine Linie jetzt zügig korrigieren. Das Gericht habe den Schutz persönlicher Freiheit "auch für die digitale Welt" festgeschrieben. Es stimme bedenklich, dass die Richter einen solchen Schritt gegenüber dem zuständigen Verfassungsminister hätten unternehmen müssen.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, lobte das Urteil als gewichtige Stärkung der Grundrechte. Es sei die aus Sicht des Datenschutzes wichtigste Entscheidung des Gerichts seit dem Volkszählungsurteil von 1983. Das vom Bundesverfassungsgericht formulierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme schütze Daten in Computern, Netzen und anderen IT-Systemen umfassend.
Schad- und Spähsoftware
In einer ersten Reaktion begrüßte auch der BKA-Präsident Jörg Ziercke die Mahnung aus Karlsruhe und sprach von einer "wichtigen Weichenstellung für die Strafverfolgungsbehörden für eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Organisierten Kriminalität im digitalen Zeitalter". Ziercke hatte in den vergangenen Monaten unablässig für die Online-Durchsuchung geworben. "Die Entscheidung ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden eine adäquate und vom Bundesverfassungsgericht auch als notwendig anerkannte Reaktion auf das weltweit veränderte Kommunikations-, Interaktions- und Datenspeicherungsverhalten von Schwerstkriminellen", sagte er.
Kauder und Struck zufrieden
Bei ihrer Klausurtagung in Königswinter reagierten auch die Koalitionsfraktionen auf das Urteil. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck sagte, er erwarte von der Bundesregierung nun die schnelle Erarbeitung eines Gesetzentwurfs. "Ich gehe davon aus, dass sich Herr Schäuble und Frau Zypries jetzt sehr schnell einigen werden", sagte er. Es sei richtig gewesen, das Urteil aus Karlsruhe vor einem Gesetzesbeschluss abzuwarten. "Es gibt ganz enge rechtsstaatliche Bedingungen, die erfüllt werden müssen, wenn man überhaupt an einen Computer herangehen will von Seiten der Sicherheitsbehörden."
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte, man habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis genommen. "Und dieses Urteil lässt eine Online-Durchsuchung unter bestimmten Voraussetzungen zu", betonte der CDU-Politiker. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte, er sei sei froh, "dass in diesem Urteil so etwas institutionalisiert worden ist wie ein Grundrecht auf Vertraulichkeit". Die Möglichkeiten der Online-Durchsuchung würden mit dem Richterspruch "stark dezimiert", räumte er ein.
ler/AP/dpa/AFP