Verfassungsschutzbericht Schwarzer Neonazi-Block alarmiert Polizei und Politik

Sie sind von militanten Linksradikalen kaum zu unterscheiden: Rechtsextreme Autonome verzeichnen regen Zulauf, auf Neonazi-Demos kommt es plötzlich zu Gewaltexzessen neuer Qualität. Den Hooligans ist die NPD zu bieder, sie suchen spontane Brutalität - die Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

Berlin - Auf dem Transparent steht "Kapitalismus bekämpfen". Die jungen Männer dahinter tragen schwarze Jacken oder Kapuzenpullover, Baseballkappen, dunkle Sonnenbrillen. Einige hundert sind es, sie brüllen "Frei, sozial und national". Im aggressiven Laufschritt geht es auf die Polizeikette zu - Rangeleien, Geschrei.

Wacklige Videobilder aus Hamburg, Stadtteil Barmbek, vor etwas mehr als zwei Wochen, zu sehen auf einer einschlägigen Internet-Seite. Der Schwarze Block der Neonazis marschiert, vom Outfit her von der linksradikalen Gegenseite kaum zu unterscheiden.

Nur die Parolen, die Untertitel auf den Plakaten, kleine Symbole an der Kleidung verraten die braune Gesinnung hinter der Vermummung: Autonome Nationalisten nennen sich die jungen Rechtsradikalen, die in der Hansestadt in einer Zahl und Aggressivität auftraten, wie es bei Neonazi-Aufmärschen bisher nicht zu erleben war.

Sie machten Jagd auf Journalisten, suchten offen die Konfrontation mit linken Gegendemonstranten. Hätte sich die Polizei nicht dazwischengeworfen, womöglich hätte es Tote gegeben, bilanzierte die Einsatzleitung später. "Das war das erste Mal, dass der Schwarze Block der Rechten mit dieser Brutalität vorging", sagt der Chef der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg.

Zahl der Rechtsautonomen verdoppelt sich

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) spricht heute bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts mit Blick auf den schwarzen Neonazi-Block von einer "neuen Qualität" rechtsextremer Gewalt. Heinz Fromm, Präsident des Inlandsgeheimdienstes, warnt vor einer "Entwicklung, die man sehr genau im Auge behalten muss". Noch Mitte des vergangenen Jahres hatte Fromms Behörde das Phänomen der Autonomen Nationalisten als "militante Randerscheinung" bezeichnet - nun erfüllt diese Randerscheinung die Sicherheitsbehörden zunehmend mit Sorge.

Etwa 150 bis 200 Sympathisanten rechneten die Verfassungsschützer der Szene im Mai 2007 zu. Heute geht man schon von mehr als 400 rechtsradikalen Schlägern aus, überwiegend im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Ihr Anteil an der gesamten gewaltbereiten Neonazi-Szene liegt damit bei etwa zehn Prozent.

Im Verfassungsschutzbericht ist von einem "ausgesprochenen 'Happening-Charakter'" der Kundgebungen Autonomer Nationalisten die Rede. Gewalt wird zum Erlebnis: "Die Strategie, auf diese Weise das Bedürfnis vieler junger Menschen nach Events und Aktion zu befriedigen, scheint Erfolg zu haben", sagt Verfassungsschutzchef Fromm. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass gerade der Gewaltausbruch von Hamburg der rechtsradikalen autonomen Szene weiteren Zulauf beschert - der Report der Verfassungsschützer war lange vorher fertig.

Der Zuwachs stellt die NPD unter Zugzwang. Deren zahlenmäßig ähnlich starker Aufmarsch am 1. Mai in Nürnberg ging fast völlig unter, während im Norden die rechtsextremen Hooligans Schlagzeilen machten. Zwar hatte sich die braune Polit-Truppe in den vergangenen Jahren einigermaßen erfolgreich um die Integration der freien Neonazi-Kräfte bemüht - mit den prügelnden Tarnkappen-Nazis tut man sich allerdings weiter schwer.

Denen wiederum sind die Parteifunktionäre viel zu bieder. Den auch von der NPD proklamierten "Kampf um die Straße" nehmen sie lieber wörtlich.

Voigt will sich zum Schwarzen Block erklären

Erst Mitte vergangenen Jahres hatte die stets um bürgerliches Auftreten bemühte NPD-Spitze versucht, sich von der Gewalt der Autonomen Nationalisten abzugrenzen. "Unsere Fahnen sind schwarz - unsere Blöcke nicht", mit diesen Worten distanzierte sich das Präsidium zumindest nach außen von dem "bisher nur von linksradikalen/antifaschistischen Demonstrationen bekannten Phänomen". "In aller Deutlichkeit" sprach man sich gegen "anarchistische Erscheinungsformen" aus. Parteichef Udo Voigt ließ vernehmen, er sei nicht der Meinung, "dass man sich den Anspruch, modern und revolutionär wirken zu wollen, dadurch erkaufen kann, dass man Erscheinungs- und Kleidungsformen der altbackenen Antifa nachahmt".

Hinter den Kulissen allerdings stritten die Hierarchen eifrig weiter: Kann es sich die Partei leisten, den militanten Nachwuchs von vornherein auszuschließen, um das bürgerliche Milieu nicht zu verschrecken? Einige Vorstandsmitglieder jedenfalls haben keinerlei Berührungsängste mit den verkleideten Rechtsextremen. In Hamburg suchten die NPD-Vorstandsmitglieder Thomas Wulff und Jürgen Rieger deren Nähe. Sie wirkten nicht mäßigend auf den marodierenden Mob ein.

Aber auch der Parteichef wackelte zuletzt. Schon beim Wahlkampfauftakt in Niedersachsen im vergangenen Herbst begrüßte Voigt plötzlich vom Rednerpult "ausdrücklich die Vertreter des Schwarzen Blocks": Man lasse sich nicht "durch die Medien, nicht durch Hetze, auseinanderdividieren", tönte der NPD-Boss.

Voigt windet sich - und gerät in der Partei selbst immer stärker unter Druck. Die Kassen sind leer, die Wahlergebnisse fielen zuletzt desaströs aus, und hinter dem nunmehr zwölf Jahre amtierenden Vorsitzenden haben sich schon potentielle Nachfolger ins Gespräch gebracht, die einen noch radikaleren Kurs fordern.

Nachdem die NPD-Spitze nach der Hamburger Gewaltorgie lieber in kollektives Schweigen verfiel, muss Voigt auf dem Parteitag Ende Mai in Bamberg das Herumlavieren um die stärker werdenden Autonomen Nationalisten beenden. Voigts Sprecher Klaus Beier kündigte heute an: "Der Parteichef wird klar Position beziehen."

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