Sabine Rennefanz

Vergewaltigung als politische Metapher Geschmacklos und frauenfeindlich

Sabine Rennefanz
Eine Kolumne von Sabine Rennefanz
Immer wieder wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der Vergewaltigung einer Frau verglichen. Solches Reden wertet all jene ab, die tatsächlich vergewaltigt worden sind.
Außenministerin Annalena Baerbock

Außenministerin Annalena Baerbock

Foto: Sebastian Gabsch / Future Image / IMAGO

Ein Soldat kommt nach acht Jahren Krieg und Gefangenschaft zurück in sein Heimatdorf, physisch und psychisch beschädigt. Zu Hause trifft er ein Flüchtlingsmädchen aus dem Osten. Er vergewaltigt sie, sie wird schwanger. Der Täter wird nicht bestraft, stattdessen muss das Opfer ihn heiraten und das Kind kriegen, und das ganze Dorf schweigt viele Jahre darüber.

Das ist die Geschichte meiner Familie. Es ist eine Geschichte wie eine kleine Atombombe, deren Strahlen bis heute, fast achtzig Jahre später, weiterwirken, auch in den folgenden Generationen.

Vielleicht bin ich deshalb etwas empfindlich, wenn der Begriff »Vergewaltigung« zunehmend inflationär als politische Metapher verwendet wird. Denn dabei geht es nicht um Aufklärung und Information, sondern darum, moralischen Druck zu erzeugen oder sich selbst als emotional engagiert zu inszenieren – und nicht darum, den Opfern zu helfen.

Es begann mit dem russischen Präsidenten. Wladimir Putin, der für seine Misogynie bekannt ist und sich gerne als hypermaskulin inszeniert, sagte am 8. Februar bei einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Richtung Ukraine den Satz: »Ob es dir gefällt oder nicht, halte es aus, meine Schöne.« Die erfahrene Russlandexpertin Kerstin Holm von der »FAZ« fühlte sich bei dem Satz an einen derben russischen Punksong erinnert .

Die übersimplifizierenden Vergleiche sorgen dafür, dass derjenige, der sie formuliert, sich auf der richtigen Seite fühlen kann, auf der Seite des Opfers.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj parierte, die Ukraine sei zwar schön und auch duldsam, aber mit dem Pronomen »mein« habe er doch ein Problem. Das war zwei Wochen vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine. Putin hatte den Satz mit Hinblick auf die Einhaltung des Minsker Abkommens geäußert, das die Ukraine angeblich nicht einhalte. So wurde er damals verstanden.

Mit dem Beginn des Invasionskriegs veränderte sich die Bedeutung des Satzes von der Pressekonferenz mit Macron. Er wurde nun als Ankündigung des Krieges interpretiert. Die russische Aktivistin der feministischen Gruppe Femen, Inna Schevchenko, schrieb auf SPIEGEL.de zwei Tage danach einen kämpferischen Text mit der Überschrift: »Putin vergewaltigt die Ukraine«. Das ist emotional und aus ihrer Sicht verständlich. Der Satz hat sich im Verlauf des Krieges aber verselbstständigt. Im Prinzip wurde Putins Sprache übernommen.

Der Hamburger Musiker Wolfgang Müller zum Beispiel verfasste einen Debattenbeitrag, in dem er den offenen Brief zu den Waffenlieferungen von Intellektuellen und Publizisten wie Alice Schwarzer auseinandernahm. Sein Text wurde breit geteilt und auch bei SPIEGEL.de veröffentlicht. Darin heißt es: »Was mit der Ukraine passiert, ist das staatliche Äquivalent zu einer Vergewaltigung durch den Ex-Mann, mit angedrohter Vernichtung bei Gegenwehr.« Er benutzt diesen Vergleich, um einen Punkt für seine Argumentation zu machen. Speziell geht es darum, die Feministin Alice Schwarzer zu diskreditieren und es so darzustellen, als würde sie Vergewaltigungen in der Ukraine hinnehmen und eine Opfer-Täter-Umkehr betreiben. Man muss dem Inhalt des Briefes nicht zustimmen, aber den Aggressor benennt er klar. Im Netz feixten viele.

Alice Schwarzer ist eine Reizfigur, ihr jahrzehntelanger Kampf gegen sexuelle Gewalt und eine männliche Justiz in der alten Bundesrepublik weitgehend vergessen. Wie deplatziert und letztlich frauenfeindlich solche Gleichsetzungen der Ukraine mit einer vergewaltigten Frau sind, scheint kaum jemand mehr zu merken. Mariam Lau, politische Korrespondentin der »Zeit«, kommentierte auf Twitter: »Was musste die Ukraine auch mit einem kurzen Rock vor der Kaserne spazieren gehen.«

Ein Interview bei »Zeit.de«  mit einer der Unterzeichnerinnen, der Schriftstellerin Juli Zeh, beginnt allen Ernstes mit der Frage, ob eine Frau, die einen Minirock trägt, Mitschuld daran hat, wenn sie vergewaltigt wird. Was soll das? Wie kommt man darauf, den Krieg zwischen zwei Staaten als Geschlechterkonflikt zu beschreiben? So werden frauenfeindliche Stereotype reproduziert. Die übersimplifizierenden Vergleiche schaffen keine Klarheit, sondern sie sorgen dafür, dass derjenige, der sie formuliert, sich auf der richtigen Seite fühlen kann, auf der Seite des Opfers.

Vergewaltigung als Metapher wirkt geradezu geschmacklos, wenn man bedenkt, dass viele geflüchtete ukrainische Frauen bei ihrer Ankunft in Deutschland von Rassisten sexuell fetischisiert wurden. Margarete Stokowski schrieb darüber.

Etwas anders liegt der Fall bei der Grünenpolitikerin Annalena Baerbock. Als die Außenministerin am vergangenen Sonntag in einem Interview bei Anne Will gefragt wird, ob es sie etwa kaltlasse, wenn Putin angesichts der neuen größeren Waffenlieferungen dem Westen unverhohlen droht, weicht die Außenministerin aus. Es lasse sie nicht kalt, wenn sie jeden Tag hören müsse, dass Frauen in der Ukraine durch russische Soldaten vergewaltigt werden, antwortet sie.

Es ist richtig, auf das Thema Vergewaltigung im Krieg und auch im Inland immer wieder hinzuweisen, die Öffentlichkeit aufzuklären. Vergewaltigung als Kriegswerkzeug ist so alt wie die Menschheit, als Kriegsverbrechen ist es erst seit 2008 im Völkerrecht festgeschrieben, und leider wurden seitdem nur wenige Täter verurteilt.

Baerbock klärt aber nicht auf an dieser Stelle. Sie redet auch nicht über Diplomatie, wie man es gemeinhin bei Außenministern gewohnt ist. Sie setzt auf eine Emotion, auf Betroffenheit, die sie mit besonderer Verve vorträgt und die sie als moralisch überlegen dastehen lässt. Doch Baerbocks Moral ist nicht unbedingt verlässlich. Noch vor wenigen Wochen lehnte die Außenministerin mit ebenso großer Überzeugung Waffenlieferungen an die Ukraine ab.

Sie nutzt Vergewaltigung auch als identitätspolitisches Mittel. Kein männlicher Politiker, kein männlicher Richter oder Staatsanwalt wisse, was eine Vergewaltigung bedeute, sagte sie kürzlich bei einer Uno-Rede . Als ob alle Frauen qua Geschlecht wüssten, was eine Vergewaltigung bedeutet. Als ob man ein Verbrechen selbst erlebt haben müsste, um dagegen zu kämpfen. Der viel gescholtene Heiko Maas setzte sich als ihr Vorgänger engagiert für eine Verschärfung der Resolution gegen sexuelle Gewalt ein. Alles wertlos?

Die starke Rhetorik überdeckt auch die eigene Machtlosigkeit. Gerade erst vor ein paar Tagen berichtete die Uno-Sondergesandte für sexuelle Gewalt im Krieg, Pramila Patten, wie schwierig es ist, Berichte von Vergewaltigungen zu sammeln und zu verifizieren. Weil das Stigma so groß ist. Für Mädchen und Frauen, aber für Männer noch mehr. Sie sagte, dass sich zunehmend Männer meldeten.

Am meisten würden Frauen und Männer geschützt, wenn die russischen Soldaten sich zurückziehen und der Krieg enden würde. Darum sollte es gehen. Und darum, den Begriff Vergewaltigung bitte etwas sensibler zu verwenden.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren