
Von China bis Äthiopien: Die zwölf größten Parlamente der Welt
Bundestag nach Wahlrechtsreform Größer als Nordkorea
Berlin - An der Spree wird emsig gewerkelt. Tag für Tag wächst der Bibilotheksanbau am Marie-Elisabeth-Lüders-Gebäude. In zwei Jahren soll er mit einer Freitreppe beeindrucken, auf dem Dach wird ein großer, gläserner Zylinder einen Kontrapunkt zur nahen Reichstagskuppel setzen. Im Inneren wird es Büros geben. Vielleicht werden diese Räume irgendwann von zusätzlichen Abgeordneten bezogen.
Nicht nur der Lüders-Bau ist der sichtbare Beweis, dass das Regierungs- und Parlamentsviertel in Berlin weiter wächst. Auch der Bundestag selbst könnte schon nach der nächsten Bundestagswahl erheblich größer werden. Denn sollte die von Union, FDP, SPD und Grünen geplante Wahlrechtsreform kommen, könnte es räumlich eng werden. Dann müssen weitere Büros für Abgeordnete und Mitarbeiter her.
"Um kein Zeltlager entstehen zu lassen", witzelt der Vize-Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Herbert Frankenhauser (CSU), "wird man nach Übergangslösungen in bestehenden Bauten suchen." Am Ende könnte dann aber auch der Lüders-Bau, sobald er fertig sei, als Dauereinrichtung für ein größeres Parlament herhalten.
Rund 700 Sitze möglich
Sollte die Reform tatsächlich in einen Gesetzestext gegossen werden, wäre der Bundestag, gemessen an der Zahl seiner Abgeordneten, eine der größten Volksvertretungen der Welt. Das deutsche Parlament würde dann hinter dem gigantischen Volkskongress im kommunistischen China auf Platz zwei liegen und das Parlament der Kommunisten in Nordkorea auf den dritten Rang abdrängen.
In nackten Zahlen stellt sich das so dar: Derzeit gibt es im Bundestag - samt Überhangmandaten - 620 Sitze. Nach der Reform könnte er auf 701 Mandate anwachsen. Der Grund: Die für eine Fraktion eventuell anfallenden Überhangmandate sollen nach einem bundesweiten Berechnungsmodell ausgeglichen werden. Das Ziel der jetzigen Reform ist es, die Mehrheitsverhältnisse in Zukunft genauer abzubilden. Die Arbeiten am neuen Wahlgesetz waren nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. In der Ausgestaltung hatten sich die Geschäftsführer der Parteien im Bundestag - ohne die Linke - nach zähen Gesprächen auf den Weg zu mehr Volksvertretern geeinigt.
Es hagelt Kritik
Kaum zeichnet sich eine mögliche Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes ab, hagelt es Kritik. Beim Bund der Steuerzahler haben die Experten schon mal errechnet, was das aufgeblähte neue Parlament kosten könnte: rund 40 Millionen Euro im Jahr. Davon entfielen allein zehn Millionen auf neue Büros samt neuen Möbeln und einen weiteren Zuwachs an Personal auf Seiten der Bundestagsverwaltung.
Hinzu kommt, dass der Bundestag schon jetzt wächst - was die Kostenseite angeht, bedingt zum Teil durch die kräftigen Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst. Im Entwurf für den Bundeshaushalt 2013 sind für die Bundestagsverwaltung 1389 Planstellen angegeben. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das eine Zunahme von 77 Stellen. Bei den Gesamtausgaben des Bundestags geht es ebenfalls nach oben: um rund 32 Millionen auf rund 726 Millionen im kommenden Jahr.
Einst hatte sich der Bundestag eine Schlankheitskur verordnet - zumindest was die Zahl der Mandate angeht. 1998 beschloss das Parlament noch in Bonn, die Zahl der Sitze zu reduzieren. Mit der Bundestagswahl im Herbst 2002 wurde die Zahl der Mandate von 656 - ohne Überhangmandate - auf die heutige Zahl von 598 Sitze (plus 22 Überhangmandate nach 2009) verringert.
Der Bund der Steuerzahler hält sogar einen Bundestag von 500 Volksvertretern für ausreichend und arbeitsfähig. Auch der Parteienforscher Hans Herbert von Arnim kritisiert den Plan, das Parlament zu vergrößern. "2002 wurde der Bundestag verkleinert, im Gegenzug wurden die Diäten der Abgeordneten erhöht. Spiegelbildlich könnte man jetzt eigentlich erwarten, dass bei einer Vergrößerung des Parlaments die Diäten sinken", sagt der Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Das, sagt von Arnim, sei seiner Erfahrung nach "leider eine utopische Forderung".
Im EU-Vergleich ein kleines Parlament
Man hätte sich auch an anderen, günstigeren Berechnungsmodellen orientieren können, so von Arnim. Doch bei den Beteiligten wird das jetzige Vorhaben vehement verteidigt. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen betont, damit würden die Vorgaben des Verfassungsgerichts "am umfassendsten erfüllt".
Was die Größe eines künftigen deutschen Parlaments angeht, verweist der Liberale im internationalen Vergleich auf das Verhältnis von Wahlberechtigten und der Zahl der Abgeordneten. "Der Bundestag ist schon jetzt eines der kleinsten Parlamente in der EU und bleibt es auch nach der Neuordnung." Da empfehle er doch nur den Blick auf die Größe in den wesentlichen kleineren Ländern wie Großbritannien, Italien und Frankreich. Legt man die Relation von Wahlberechtigten und Mandate zugrunde, wäre der Bundestag tatsächlich noch im Mittelfeld.
Die Kritiker verweisen auf die politische Botschaft, die mit der jetzigen Reform einhergeht: "Das Schlimme an der Vergrößerung des Parlaments ist das Signal - während wegen unserer massiven Verschuldung gespart werden muss, müssen die Menschen den Eindruck gewinnen, dass oben der Bauch wieder einmal dicker wird", sagt von Arnim.
Nach seinen Berechnungen kostet jeder Bundestagsabgeordnete pro Jahr rund 500.000 Euro (ohne die baulichen Maßnahmen). Darin enthalten sind unter anderem Diäten, Pensionszahlungen, die Kostenpauschale, auch die Mitarbeiterkosten von rund 240.000 im Jahr. "Im Durchschnitt hat jeder Abgeordnete", so von Arnim, "rund zehn Mitarbeiter, teils Teilzeit, teils Vollzeit, von denen viele in Berlin arbeiten." Allein deren Zahl würde sich bei der angedachten Reform erheblich erhöhen.
Sein Fazit: "Es ist ein politischer Kompromiss zugunsten aller beteiligten Parteien, aber auf Kosten der Steuerzahler." Und, befürchtet er, das sei am Ende "eine Steilvorlage für außerparlamentarische Konkurrenten bei der nächsten Bundestagswahl".