Verschobener Schattenetat Schwarz-Gelb hadert mit Haushaltsakrobatik

Union und FDP kämpfen mit dem Schattenhaushalt. Angesichts verfassungsrechtlicher Bedenken soll der Nebenetat nun erst 2010 kommen. Vor allem für die FDP wird die Debatte zum Problem, hatte sie doch derlei Bilanzkosmetik in der Opposition stets verteufelt.
Koalitionäre Westerwelle, Merkel: "Transparenz wird selbstverständlich eingehalten"

Koalitionäre Westerwelle, Merkel: "Transparenz wird selbstverständlich eingehalten"

Foto: Andreas Rentz/ Getty Images

Berlin - Die Erklärung kam am späten Nachmittag. Und sie kam schriftlich auf 14 Zeilen. Darin verkündeten FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms, Kanzleramtschef Thomas de Maizière und Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU), dass der Sonderfonds für die Sozialausgaben nicht durch einen dritten Nachtragshaushalt 2009 gespeist wird. Nun soll geprüft werden, ob und wie das "Sondervermögen"- wie es in dem Papier heißt - bei der Aufstellung des Etats im kommenden Jahr eingerichtet werden kann. Dies würde so ausgestaltet, "dass die haushaltsrechtlichen Anforderungen im Hinblick auf die gebotene Transparenz selbstverständlich eingehalten werden".

Mit der schriftlichen Erklärung war der umstrittene Plan vom Tisch, der alten Regierung schnell noch die Kosten für den Sonderfonds aufzudrücken - und so mit einem aufgehübschten Haushalt 2010 starten zu können. Es ging um viel Geld. Von bis zu 60 Milliarden Euro an Risiken bei der Bundesagentur für Arbeit und bei den gesetzlichen Krankenkassen bis 2013 war die Rede.

Ursprünglich hatten die Koalitionäre geplant, die nötigen Mittel für den Sonderfonds schon in diesem Jahr zu verbuchen - und damit der alten Koalition anzulasten. Erst 2010 sollte das Geld dann fließen. Aber zuletzt meldete das Kanzleramt verfassungsrechtliche Bedenken an. Denn grundsätzlich gilt das "Jährlichkeitsprinzip" - Ausgaben und Einnahmen aus dem Haushalt sollen im selben Jahr ausgewiesen werden.

Schwarz-Gelb setzt auf schwarz-rote Instrumente

Und dennoch: Trotz Teilrückzug will die schwarz-gelbe Koalition weiterhin ihr "Sondervermögen" - so heißt eine Ausnahmeregelung im Artikel 115 des Grundgesetzes - in einem Nebenhaushalt etablieren. Der kommt nun eben 2010. Rund 20 Milliarden sollen dafür aus Steuermitteln aufgebracht werden. Wie ab 2011 dann die Defizite in den Sozialkassen finanziert werden sollen, bleibt hingegen offen. Darüber sei noch keine Entscheidung getroffen worden, sagte de Maizière. Union und FDP wollen so den Spardruck auf die Bundesagentur für Arbeit aufrechterhalten.

Sondervermögen, Nebenetat, Schattenhaushalt - vor allem die FDP bekommt mit dem Wirrwarr der vergangenen Tage ein Argumentationsproblem. Noch am Vorabend hatte sich der liberale Finanzpolitiker Solms in der NRW-Vertretung vehement gegen den Vorwurf der Trickserei gewehrt: "Es ist kein Schattenhaushalt, es ist ein Nebenhaushalt." Der Fonds diene der "Transparenz". Zu diesem Zeitpunkt wurde neben anderen Varianten noch der dritte Nachtragshaushalt 2009 für den Fonds diskutiert.

FDP

Es ist eine gewagte Volte, die vor allem die FDP vollzieht. Erst im Januar dieses Jahres hatten die Liberalen unter ihrem Fraktionschef Guido Westerwelle einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um den von SPD und Union aufgelegten Investitions- und Tilgungsfonds zu Fall zu bringen. 25 Milliarden wurde darin nach der Finanzkrise eingebracht, unter anderem zur Finanzierung der Abwrackprämie. Natürlich hatte die als Oppositionspartei den Fonds nicht stoppen können. Interessanter aber ist, wie die Liberalen ihre Attacke damals begründeten: Der neue Tilgungsfonds sei "bedenklich, weil es sich um einen Schattenhaushalt handelt". Das verstoße gegen die "Regeln der ordnungsgemäßen Haushaltsführung."

Auch auf der Homepage der Bundespartei findet sich ein Satz, der Solms' jüngstem Diktum vom transparenten "Nebenhaushalt" widerspricht: "Schulden sollen nicht versteckt werden. Die FDP lehnt daher Nebenhaushalte ab", heißt es dort unter dem Stichwort "Haushaltspolitik (neu)".

Was bis vor kurzem taufrisch war, ist jetzt mit einem Ablaufdatum versehen. Die FDP spürt, was es heißt, von der Opposition in die Regierungsverantwortung zu wechseln. Neue Argumentationsmuster werden gesucht - und gefunden.

Unbehagen bei der FDP

Wer in diesen Tagen mit FDP-Politikern spricht, spürt denn auch das Unbehagen. Man sei nicht verantwortlich für den Haushalt der alten Regierung, heißt es. Deswegen sollten die Defizite, die etwa die Bundesagentur für Arbeit (BA) erwarte, auch ursprünglich noch in 2009 verbucht werden. Haushaltspolitisch hätte man so die Kosten der Krise der alten Koalition angelastet, die Spielräume für Steuersenkungen wären größer gewesen. Jetzt aber bleibt den künftigen Koalitionären weniger Manövriermasse. Denn ab 2011 gilt die Schuldenbremse, ein erneutes Sondervermögen würde dann auf die Neuverschuldungsregelung angerechnet.

Bauchgrummeln gab es in der FDP seit Tagen. Am Donnerstag sagte der Haushälter Otto Fricke: "Als FDP werden wir keine verfassungsrechtlich bedenklichen Entscheidungen mittragen". Er sei sehr verwundert darüber, wie unterschiedlich in der Union agiert werde. "Es wäre sehr schön gewesen, wenn Kanzleramt und Innenministerium zu einer einheitlichen Bewertung gekommen wären", so Fricke. Das eigentliche Problem sei nicht das Sondervermögen, sondern der zu seiner Finanzierung notwendige Nachtragsetat 2009, so der Liberale.

Verheerende mediale Wirkung

Schwarz-Gelb

Nicht nur rechtlich, auch in der Außenwirkung war der Sonderfonds für ein Problem. Der neuen Koalition wohlgesonnene Blätter wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sind voller Häme. In voller Länge wurde auf der Titelseite am Donnerstag der Name des neuen Ungetüms abgedruckt: "Sozialversicherungsstabilisierungsfonds". Und einer der wichtigsten Wirtschaftskommentatoren des Blatts schrieb erbost: "Wer so in eine Regierung startet, wird auch später die Kurve nicht mehr kriegen." Die Rüge verfehlte nicht ihre Wirkung.

Parteiprimus Westerwelle

Solms muss das Hickhack nun erklären, während schweigt. Zu den laufenden Koalitionsverhandlungen hat er sich in der Sache, wie übrigens auch Kanzlerin Merkel, bislang nicht geäußert. So war und ist es zu allen Themen vereinbart. Dabei hatte auch er sich früher über Schattenhaushalte ausgelassen. Im Januar dieses Jahres lud er den FDP-Vizefraktionschef Carl-Ludwig Thiele zu seinem Journalistenfrühstück. Im Presseraum mit Ausblick auf das Reichstagsgebäude erläuterten sie ihre Kritik am Umgang der Großen Koalition mit dem Erblastentilgungsfonds.

Damals lästerte Westerwelle. In Anspielung an ein Zitat der CDU-Vorsitzenden sagte er: "Die schwäbische Hausfrau weiß, dass Umschuldung keine Tilgung ist. Warum weiß es die Bundeskanzlerin nicht?" Noch deutlicher wurde Thiele. Der neue Investitions- und Tilgungsfonds diene "einzig und allein dem Ziel, einen neuen Rekord bei der Neuverschuldung zu verschleiern".

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