Vertrauensfrage Bundestagsvize Vollmer äußert Bedenken
Berlin - Die Grüne Antje Vollmer sagte laut einem Vorabbericht der "Frankfurter Rundschau", die für morgen geplante Vertrauensabstimmung sei "verfassungsrechtlich zweifelhaft".
Mit Blick auf die rechtliche Prüfung durch Bundespräsident Horst Köhler und voraussichtlich auch des Bundesverfassungsgerichts sagte Vollmer, es gebe "berechtigte Zweifel", ob das Verfahren verfassungsrechtlich "glatt durchgeht".
Die sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Jelena Hoffmann sagte der Chemnitzer "Freien Presse", sie werde sich der Initiative des Grünen-Abgeordneten Werner Schulz anschließen. Hoffmann kritisierte die von SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering vorgeschlagene Enthaltung bei der Abstimmung am Freitag als "schizophren". Es gehe nicht, dem Kanzler damit das Vertrauen auszusprechen, "es ihm aber gleichzeitig zu entziehen".
Hoffmann äußerte starke Zweifel, ob diese "unechte Vertrauensfrage" überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Sie halte den Weg für falsch. "Das letzte Wort müssen die Karlsruher Richter haben", sagte Hoffmann. Viele der SPD-Parlamentarier, die sich für eine Enthaltung entschieden hätten, folgten als Volksvertreter nicht ihrer eigenen Überzeugung, sondern dem Wunsch des Kanzlers, sagte Hoffmann. Deshalb werde sie sich Schulz anschließen, der ebenfalls einen Gang nach Karlsruhe angekündigt hatte. Neben Schulz haben bisher mehrere kleine Parteien eine Klage angekündigt.
"Fingierte Vertrauensfrage"
Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Silke Stokar, äußerte Zweifel an dem Verfahren zur Auflösung des Bundestags. "Das Dilemma für uns ist, dass es nach einer fingierten Vertrauensfrage aussieht", sagte sie der "Netzeitung" zufolge. Sie unterstütze daher die Ankündigung ihres Fraktionskollegen Schulz, in dem Fall das Gericht in Karlsruhe anzurufen. "Ich finde es richtig, dass ein solcher Vorgang vom Bundesverfassungsgericht geprüft wird", sagte sie.
Schulz warf Schröder und Müntefering vor, mit ihrer Neuwahl-Entscheidung und dem Ablauf der Vertrauensfrage staatspolitischen Schaden anzurichten. "Das ist der Tiefpunkt politischer Kultur, den wir am Freitag erleben. Während der Kanzler um Vertrauen ringt, organisiert in dem selben Augenblick der SPD-Fraktionschef den Kanzlersturz", bemängelte Schulz in der n-tv-Sendung "Maischberger". Es handele sich um eine Farce und eine unechte Vertrauensfrage.
Schröder informiert Koalitionsspitzen
Einen Tag vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage im Bundestag soll Schröder heute erneut über seine Motive für den Wunsch nach vorgezogenen Bundestagswahlen Auskunft geben. Diesmal will er mit den Spitzen von SPD und Grünen zusammenkommen. Im Bundeskabinett hatte der Kanzler den Schritt am Vortag unter anderem damit begründet, dass es keine verlässliche Mehrheit in den eigenen Reihen für den weiteren Reformkurs gibt.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) plädierte für ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments. "Wir sollten eine solche Grundgesetzänderung vereinbaren, sobald die Zeiten ruhiger geworden sind", sagte er der "Berliner Zeitung". Denkbar sei die Auflösung des Bundestags mit Zwei-Drittel- oder mit Drei-Viertel-Mehrheit. Für die aktuelle Situation sei die Verfassungsänderung aber keine Option.
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach sich gegen eine Verfassungsänderung aus. "Ich halte nichts von einer Änderung des Grundgesetzes, durch die Neuwahlen einfacher oder schneller erreicht werden könnten. Die Erfahrungen der Weimarer Republik haben uns gelehrt, wohin das führen kann", sagte er der "Bild"-Zeitung.
Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger (71 Prozent) ist für vorgezogene Bundestagswahlen. Nur 24 Prozent sind laut einer aktuellen forsa-Umfrage im Auftrag des Nachrichtensenders n-tv gegen Neuwahlen. In einer ersten Umfrage nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor fünf Wochen lag die Zustimmung allerdings noch höher (78 Prozent).
Votum zum Entsendegesetz kurzfristig abgesetzt
Einen Tag vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage von Kanzler Schröder entscheidet der Bundestag heute über zahlreiche Gesetzesvorhaben der rot-grünen Koalition. Darunter befinden sich die Offenlegungspflicht bei Managergehältern, eine Verschärfung der Regeln über Nebenverdienste der Abgeordneten sowie die Ausweitung der DNA-Analysen bei der Strafverfolgung. Das ursprünglich geplante Votum zur Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zur Vermeidung von Lohndumping wurde gestern abgesetzt. Dazu wäre die sogenannte Kanzlermehrheit erforderlich, die Bundeskanzler Schröder aber bei seiner Vertrauensfrage für eine vorgezogene Neuwahl verfehlen will.
Schröder will morgen im Parlament die Vertrauensfrage stellen und damit Neuwahlen herbeiführen. Wenn er wie angestrebt keine Mehrheit erhält, muss Bundespräsident Horst Köhler innerhalb von drei Wochen entscheiden, ob er den Bundestag auflöst. Tut er dies, können sowohl Abgeordnete als auch Parteien gegen diese Entscheidung vorgehen. Verliert der Kanzler - wie erwartet - die Vertrauensfrage, wird er am selben Tag Bundespräsident Horst Köhler persönlich aufsuchen und um Auflösung des Parlaments bitten.
In der SPD-Fraktion wird fest damit gerechnet, dass sich eine große Mehrheit der 249 SPD-Abgeordneten enthalten und damit der entsprechenden Empfehlung von Fraktionschef Müntefering folgen wird. Bei den Grünen wollen sich etwa 20 Prozent der 55 Abgeordneten enthalten, die anderen wollen für den Kanzler votieren.