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Newcomer an der Saar: Eine Taekwando-Kämpferin und drei Normal-Piraten

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Vier Landtagsneulinge Wie die Saar-Piraten ticken

Nach dem Erfolg bei der Saar-Wahl schicken die Piraten vier Abgeordnete in den Landtag. Wer sind die Neupolitiker und was können sie bewegen? Zumindest soviel scheint klar: Die Saar-Piraten sind ein wenig anders als die Parteifreunde in Berlin.

Am Montagmittag steht Michael Hilberer vor seinem neuen Arbeitsplatz, da fällt ihm erstmals ein, dass er noch nie einen Fuß in den klassizistischen Bau am Saarufer gesetzt hat. "Der Landtag war für mich irgendwie immer weit weg." Hilberer kratzt sich am Kinnbart und sagt: "Nun denn, jetzt werden wir den Betrieb dort drinnen aufmischen."

Hilberer, 32 Jahre alt und lange blonde Haare, sitzt künftig für die Piraten im Saarbrücker Landtag. Am Sonntagabend feierten die Piraten bis in die Nacht, sie hatten mit 7,4 Prozent einen wichtigen Wahlerfolg geschafft. Und erst vor dem Landtag scheint Hilberer zu begreifen, was der Triumph eigentlich bedeutet: "Jetzt bin ich wohl plötzlich Politiker."

Mit vier Abgeordneten ziehen die Piraten in den Landtag - nach dem Erfolg in Berlin ist dies ihr Durchbruch in der Provinz und damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur etablierten Kraft. Und damit stehen die Piraten im kleinen Saarland im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Dass sie sich damit nicht nur Freunde machen, erfuhren sie gleich am Tag eins nach der Wahl. FDP-Generalsekretär Patrick Döring schimpfte über das Politik- und Menschenbild der Piraten: Dieses sei "manchmal so stark von der Tyrannei der Masse geprägt, dass ich mir das als Liberaler nicht wünsche, dass dieses Politikbild sich durchsetzt".

Eine Taekwando-Kämpferin und drei gemütliche Normalo-Piraten

Wer aber sind die Piraten, die nun in den Saar-Landtag einziehen - und wofür werden sie kämpfen? Nur auf den ersten Blick erfüllen die vier Saar-Piraten gängige Klischees, und sie ticken anders als ihre Parteifreunde in Berlin.

  • Am längsten zittern um den Einzug ins Parlament musste ausgerechnet Landeschefin Jasmin Maurer. Die 22-jährige Auszubildende war zwar Spitzenkandidatin der Landesliste, doch die Piraten sicherten sie nicht über eine Wahlkreisliste ab. Erst am späten Abend war klar: Es reicht auch für die jugendliche Oberpiratin. Als sie vor ein paar Tagen den Sekt für die Wahlparty kaufte, fragte die Kassiererin, ob sie schon 16 sei. Die Party verpasste sie ohnehin - der Kreislauf machte schlapp. Am Montag ist sie wieder fit. Für das Mandat wird sie ihre Ausbildung zur IT-Systemkauffrau abbrechen, weil " ich nie wieder die Chance haben werde, so viel zu bewegen".

Die drei Männer, die mit Maurer in den Landtag einziehen, arbeiten allesamt als IT- und System-Administratoren und sind über 30. Sie sind Normalo-Piraten, gemütlicher und bodenständiger als die Parteifreunde in Berlin.

  • Andreas Augustin, Spitzenkandidat in Saarbrücken, war im Landesverband im Saarland von Anfang dabei. 2009 sei er wegen "Zensursula" zu den Piraten gekommen, also aus Protest gegen die geplanten Internetgesetze der damaligen Bundesregierung und der Ministerin Ursula von der Leyen. Augustin ist Schatzmeister, lieh sich von den Piraten in NRW 10.000 Euro für den Wahlkampf und lehnte andere Darlehen ab. Solides Wirtschaften, sagt er. Als der 32-Jährige am Sonntagmittag wählen ging, erkannte ihn niemand als Politiker. Wenige Stunden später absolvierte er dann den Interview-Marathon im Fernsehen, als künftiger Landtagsabgeordneter - auch er war plötzlich Politiker. Fragt man ihn nach Visionen für die Landtagsarbeit sagt er, man müsse vor allem konstruktiv mitarbeiten: "Das Wichtigste ist die Schuldenbremse."
  • Michael Neyses, der Politik-Neuling. Er trat erst im November in die Partei ein und war bis zum Wahlabend noch nicht einmal bei Twitter angemeldet - eine absolute Ausnahme in der Internet-affinen Partei. Vor Mikrofonen spricht der Spitzenkandidat in Saarlouis oft noch ein wenig zu laut. Der 43-Jährige hat bislang als IT-Administrator bei einem Möbelhersteller gearbeitet. Im Landtag, sagt Neyses, wolle er zeigen, wie man Politik wirklich bürgernah gestalte. "Wir wollen auch nach der Wahl für die Bürger da sein."
  • Michael Hilberer, auch erst seit einem halben Jahr Pirat, bezeichnet sich als "Politiker aus Notwehr". Keine andere Partei war für ihn wählbar, deshalb ging er selbst in die Politik. Bis Ende des Monats arbeitet der 32-Jährige noch als Software-Entwickler bei SAP. Hilberer kommt aus konservativem Haus und war als Schüler in der Jungen Union. Er ist Vater zweier Kinder, spricht schlagfertig und verständlich über die Prinzipien der Piraten. Damit dürfte er am wenigsten Probleme haben, im Landtag ernst genommen zu werden.

Mitregieren? Erst mal lernen

Wofür stehen die Piraten im Saarland? Das Programm betont immer wieder Transparenz und Bürgerbeteiligung. Konkret wollen die Piraten, dass Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte offenlegen und mehr Volksbefragungen. In der Bildungspolitik sind die Saar-Piraten nah an der SPD, sie sind auch für die Schuldenbremse. Doch das Programm treibt auch Blüten: Landeschefin Maurer hat den Schutz von Heimtieren verankert, Schatzmeister Augustin trommelte dafür, das Tanzverbot an kirchlichen Feiertagen zu streichen.

Politische Träumer sind die Saar-Piraten trotzdem nicht: Von einer Beteiligung an der Regierung, die Medien ins Spiel brachten, will Maurer nichts wissen: "Wir müssen erst einmal lernen." Das Wichtigste sei, das sagen alle vier Piraten, arbeitsfähig zu werden. In Berlin haben die Piraten lange über die Verteilung der Büros und die Grenzen der Transparenz nach innen gestritten. Die Saarländer sagen, sie selbst seien umkomplizierter. Das erste Treffen ist am Montagabend, natürlich offen für alle. Fraktionssitzungen sollen per Stream im Internet laufen.

Wichtiger als Inhalte durchzusetzen sei es für die Piraten, den parlamentarischen Betrieb zu ändern. "Wir wollen die anderen aus der Reserve locken", sagt Hilberer. Es soll wieder mehr debattiert werden im Landtag.

Ob die Altparteien mitmachen? "Woche für Woche werden wir ein Stück ernster genommen", sagt Hilberer. Vor ein paar Tagen erklärte er gar einem CDU-Mann, wie "Liquid Feedback" funktioniert, die Mitbestimmungsplattform der Piraten-Basis. Selbst der habe sich sehr für Piraten-Ideale interessiert.

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