Orbán-Besuch bei CSU-Landesgruppe Unter Waffenbrüdern

CSU-Chef Horst Seehofer, Viktor Orbán, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (v.l.n.r.)
Foto: LUKAS BARTH/EPA-EFE/REX/ShutterstockViktor Orbán kommt - und die Sonne scheint. Nach dem Dauerregen vom Vortag ist es im Chiemgau seit dem frühen Morgen trocken und freundlich. Für die Kameras gibt es Bilder unter freiem Himmel, wie es sich bei der Neujahrsklausur der CSU-Bundestagsabgeordneten gehört, fehlt nur noch der Schnee im Hintergrund.
Aus Sicht von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und dem Parteivorsitzenden Horst Seehofer könnte es am Freitagmittag nicht besser laufen, als sie den umstrittenen ungarischen Regierungschef in Kloster Seeon empfangen. Sie genießen die Aufmerksamkeit, die Orbán garantiert - und die Symbolkraft seines Auftritts.
Als Orbán im Oktober 2016 auf Einladung des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer im Landtag zu Gast war, sprach er davon, die Christsozialen seien seine "einzigartigen Waffenbrüder". So weit würde man in der CSU nicht gehen.
Doch auch Dobrindt und Seehofer berichten nach dem Gespräch mit "unserem Freund Viktor Orbán" von einem "ausgesprochen erfolgreichen Besuch" und einem "sehr ehrlichen und offenen" Austausch.
Ein bisschen ist es mit Seehofer und Orbán wohl wie mit Gerhard Schröder und Wladimir Putin: Sie sind eben Buddys. Und da sieht man sich das eine oder andere nach. Dass bayerische Unternehmen, beispielsweise der Autohersteller Audi - Stammsitz in Seehofers Heimat Ingolstadt - in Ungarn prima Geschäfte mit seinen Fabriken machen können, dürfte ebenfalls die Sicht auf Orbán positiv beeinflussen.
Wobei dieser im Vergleich zu Putin, den der sozialdemokratische Ex-Kanzler Schröder einst als lupenreinen Demokraten würdigte, wohl noch eher in diese Kategorie gehört. Er ist der gewählte Regierungschef eines EU-Landes und Mitglied der konservativen europäischen Parteienfamilie. Und als Kämpfer gegen das frühere kommunistische Regime seines Landes hat er tatsächlich große demokratische Verdienste.
"Er steht zweifelsfrei auf rechtsstaatlichem Boden"
Daher rührt die christsoziale Verehrung für den Ungarn. Nur: Parteichef Seehofer und viele andere in seiner Partei sind offenbar nicht bereit, zwischen dem jungen und dem aktuellen Orbán zu differenzieren. "Er steht zweifelsfrei auf rechtsstaatlichem Boden", sagt Seehofer. Dabei ist aus dem Kämpfer für die Freiheit ein Politiker geworden, der die Freiheiten Andersmeinender in seinem Land gerne einschränkt. Dazu gehören nicht nur die Opposition zu seiner Fidesz-Partei, sondern auch Teile der Medien. Ein Vorwurf lautet zudem: Im Kampf gegen die von dem amerikanischen Investor George Soros finanzierte Central Europe University in Budapest bediene die Fidesz-Partei antisemitische Muster.
Und: Orbán hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder so quer zu Entscheidungen der Europäischen Union gestellt, insbesondere in der Flüchtlingspolitik, dass von der EU inzwischen Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet wurden.
Verträgt sich das mit dem Anspruch der CSU, die im Kern eine klar proeuropäische Partei ist - und in Bayern seit Jahrzehnten vorlebt, wie man ein Land pluralistisch-weltoffen regiert?
Nein. Mancher in der CSU hält es deshalb für keine gute Idee, zu Beginn dieses Jahres ausgerechnet Orbán in das ehemalige Benediktinerkloster einzuladen - öffentlich sagen will das bei der Klausur allerdings keiner von ihnen. Immerhin trauen sich einige Abgeordnete im Lambertisaal zu, kritische Fragen an Orbán zu stellen, ist anschließend zu hören.
Andererseits soll Seeon ja in diesem Jahr das "Gipfeltreffen der bürgerlich-konservativen Politik" sein, wie es Gastgeber Dobrindt angekündigt hat. Und dazu passt Orbán dann halt doch, der so hart wie niemand sonst in Europa in der Flüchtlingsfrage agiert. Und auch fürs Poltern und Provozieren, das die CSU-Landesgruppe bei ihrer Neujahrsklausur traditionell betreibt, ist er der richtige Gast. Genauso gut hätte dazu der neue österreichische Regierungschef Sebastian Kurz gepasst, der das Nachbarland seit Kurzem mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert, die Einladung allerdings absagen musste.
Provokation gegenüber der CDU
Orbáns Auftritt ist - anders als der Dobrindt-Gastbeitrag in der "Welt" vom Donnerstag , in dem der Landesgruppenchef mit den 68ern und der Linken in Deutschland abrechnete und sogar eine konservative Revolution beschwor - jedoch auch eine Provokation gegenüber der Schwesterpartei CDU, insbesondere der Vorsitzenden Angela Merkel. Kaum ein EU-Regierungschef hat sich in den vergangenen Jahren so klar gegen die Europapolitik der Kanzlerin gestellt wie der Ungar, insbesondere bei Flüchtlingsthemen.
Merkel wird die neuerliche Orbán-Einladung der CSU still zur Kenntnis nehmen, sie will sich mit den Christsozialen demonstrativ vertragen - anders dagegen die SPD: Parteichef Martin Schulz und andere Sozialdemokraten zeigten schon im Vorfeld ihr Unverständnis. Und Orbán legt in Seeon nach: Bei seinem Auftritt mit Seehofer und Dobrindt verteidigt er seine Politik, spricht vom Willen des Volks in Europa, das endlich gehört werden müsste. Auf ihn sei jedenfalls weiterhin Verlass. "Betrachten Sie mich auch weiter als Ihren Grenzschutzkapitän", sagt er.
Aus Sicht der SPD sind es alles andere als freundliche Signale für die geplante Regierungsbildung, die aus Seeon kommen. Auch wegen der inhaltlichen Forderungen der CSU-Landesgruppe, vor allem in der Flüchtlings- und Europapolitik. Man wolle die Koalition mit den Sozialdemokraten, betonen Seehofer und Dobrindt zu jeder Gelegenheit. Aber eine Brücke zur SPD baut die CSU mit ihrer Tagung auf der Klosterhalbinsel nicht - eher das Gegenteil.
In erster Linie soll Seeon wohl Signale nach Bayern senden und hier vor allem Wähler zurückgewinnen, die bei der Bundestagswahl vergangenen September der AfD ihre Stimme gegeben haben: In Bayern steht im Sommer eine Landtagswahl an, bei der Markus Söder - an ihn will Seehofer im ersten Quartal 2018 das Ministerpräsidentenamt übergeben - und der Parteichef eine absolute Mehrheit zu verteidigen haben. In Umfragen kommt die CSU seit Monaten allerdings nicht mehr über 40 Prozent. Und bei Seehofer und Söder kann man sich angesichts ihrer über Jahre gepflegten gegenseitigen Antipathie fragen, wie sie als Team funktionieren sollen. Keine leichte Aufgabe also - dafür redet man sich in Seeon stark.