Visa-Skandal Fischers Feinde
Berlin - Gibt es eine Zukunft für die Grünen ohne Joschka Fischer? Vor zwei Wochen noch hätte man diese Frage für absurd gehalten. Inzwischen wird sie gestellt, und das auch noch als erstes in der "taz". So schnell ändert sich inzwischen die politische Geschäftslage in Berlin. Ist das schon Hysterie oder nur die Antwort auf Fischers Hybris?
Bei den Grünen würde in einer Partei ohne Fischer mächtig Raum geschaffen für eins, zwei, drei, viele Bütikofers. Ohne Gottvater Fischer, der die Grünen seit 20 Jahren nach seinem Bilde neu geschaffen hat, würde die Partei zwar nicht von der politischen Landkarte verschwinden. Die PDS gibt es ja auch noch ohne Aktivposten Gregor Gysi. Aber die Grünen würden schnell auf ihr Normalmaß heruntergestuft: Eine gemütliche Truppe, deren schläfengrauer Funktionärskörper hektisch mit Sonnenblumen wedelt. Grüne Strategen wissen: Eine Generationenpartei ohne Popstar kommt nie mehr in die Hitparade.
Die Koalition, die nun eine Wagenburg um Fischer zieht, wäre ohne den Außenminister verloren. Nur das Gespann Schröder/Fischer kann 2006 die Wahl gewinnen, ein Gespann Schröder/Trittin, Schröder/Künast oder Schröder/Kuhn bräuchte gar nicht erst anzutreten. Bestimmte Männer machen eben doch Geschichte, auch wenn die "geschichtsbewusste" rot-grüne Klientel seit 1968 etwas anderes behauptet.
Aber was ist eigentlich passiert? Die Opposition weist schließlich nicht erst seit gestern auf die Unregelmäßigkeiten und Probleme bei der Visa-Vergabe in Kiew hin. Zum Skandal wurde die Geschichte erst, als Ludger Volmers Nebenjobs aufflogen - und zu Bedrohung für Fischer, seit er sich einer fast geschlossenen Medienfront gegenüber sieht. Der Außenminister wird nun genauso durch den Wolf gedreht, wie er das früher auch gern mit dem politischen Gegner gemacht hat. Die Schadenfreude über die neuen Leiden des Joseph F. steht in Berlin so manchem Berichterstatter ins Gesicht geschrieben.
Kein Wunder. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien pflegt mit der Presse einen so manipulativen Umgang wie die Grünen und ihr heimlicher Vorsitzender. Nun dämmert manchem, dass die grüne Lesart des Visa-Skandals, es handele sich hier nur um einen gemeinen Angriff des politischen Gegners auf eine weltoffene Praxis, viel zu kurz gegriffen ist. Das Erklärungsmuster der Grünen ist nichts als ein Griff in die ideologische Trickkiste, wonach ein Kritiker realer Missstände schnell zum Verräter oder Feind einer Idee - in diesem Fall des offenbar von Claudia Roth erfundenen weltoffenen Weltgeistes - erklärt wird.
Dass sich nun eine Frau Roth im "weißen Mantel mit Pelzaufsatz" (Franz Josef Wagner in "Bild") vor den Minister stellen muss, um ihn zu schützen, ist demütigender als alle Angriffe auf Fischer, die es bisher gegeben hat. Beim Fußball rufen die Fans in so einem Moment: "Wir woll'n Euch kämpfen sehen!" - und Wagners Kolumne darf man wohl getrost so interpretieren. Was ist mit dem Außenminister bloß los?
Fischer war in seiner Karriere bisher für vieles bekannt, für seinen scharfen Verstand, seine Fähigkeit, sich blitzschnell in neue Themen einzugraben, Stimmungen aufzusaugen, um sie kurze Zeit später wieder als Politik auszuspielen. Von diesem Talent merkt man im Moment nicht viel. Der Pate wirkt seltsam irritiert. Die Rolle des Verteidigers liegt ihm nicht. Und der Versuch, die Krise auszusitzen wie Fischers heimliches Vorbild Helmut Kohl, ging gründlich daneben.
Fischer wurde kalt erwischt
Die massiven Angriffe der Medien auf ihn persönlich haben Fischer kalt erwischt. Am vergangenen Wochenende lief er noch rauflustig durch die Münchner Sicherheitskonferenz. Er war gerade erst von einer Rundreise aus Australien, Ozeanien und Indonesien zurückgekehrt und in der deutschen Wirklichkeit noch nicht angekommen. Als er dann am Montagvormittag einer Kamarilla aus Kameras gegenüberstand, geriet Fischer ins Trudeln.
Doch die Kritik an ihm, so desperat er auch wirkt, speist sich nicht nur aus dem Trieb der Aufklärung eines Skandals. Durch seine ruppige Art hat sich Fischer gerade unter Journalisten viele Feinde gemacht. Der deutsche Außenminister gerierte sich zuletzt wie ein absoluter Herrscher, der Gunst gewährt, sie aber auch schnell wieder entzieht. Echten Zugang zum grünen Zampano haben nur wenige. Wer neu ist am Hofe, hält am besten erst mal den Mund und wartet, bis er eine Audienz erhält. Manche warten schon seit Jahren.
Anekdoten über Fischers Flegeleien werden unter Journalisten gern erzählt. In 20 Jahren politischer Laufbahn hat er viele Reporter wie Trottel behandelt; er hat sie mitten im Gespräch stehen lassen, sich öffentlich über sie lustig gemacht, ist ihnen gern mit der ganzen Arroganz der Macht begegnet. Seine Devise im Umgang mit der so genannten vierten Gewalt lautete: Teile und Herrsche. Nun schlägt das Imperium zurück, feiert die Entzauberung eines politischen Titanen - und ergötzt sich auch schon mal an Enthüllungen, die gar keine Enthüllungen sind.
Da werden "Papiere, die uns vorliegen" von Redaktionen als Skandalbeweise in die Öffentlichkeit gebracht, die tatsächlich schon seit Wochen bekannt sind. Der Visa-Skandal wird gerade zum politischen Perpetuum Mobile. Auch die jüngste breaking news, nach der Fischer schon im Jahr 2000 vor Visa-Missbrauch gewarnt worden sein soll, ist eine Meldung fragwürdiger Qualität. Dass der Außenminister vor Inkrafttreten eines Erlasses eben diesen gegenüber dem politischen Gegner verteidigt, beweist zunächst nur, dass er von der Richtigkeit dieses Erlasses überzeugt war - und sonst nichts. Nach jahrelangem Schweigen im Blätterwald haben plötzlich alle schon immer alles gewusst - seltsam.
Eine Lektion in politischer Demut
Es wäre sicher ein Gewinn für die Republik, wenn der Visa-Ausschuss erstens die Wahrheit ans Licht bringt - und ein bisschen Demut bei Joseph Fischer hervorholt, der in seiner Jugend ja mal Ministrant gewesen ist. Ganz fremd kann ihm diese Tugend also nicht sein. Die Berichterstatter täten ihrerseits gut daran, ihren persönlichen Furor auf Fischer nicht als Strahlenkranz der Wahrheitsfindung auszugeben. Denn inzwischen geht es in der politischen Debatte um viel mehr als nur eine verfehlte Visa-Praxis der Vergangenheit. Wer über den Missbrauch und die Mafia redet, sollte vom Trauerspiel der deutschen Einwanderungspolitik nicht schweigen. Die deutsch-ukrainische Skandalmusik wird inzwischen auch auf der Klaviatur der Xenophobie gespielt.
Natürlich ist es maßlos übertrieben, wenn die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn und der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Olaf Scholz, nun behaupten, ohne Fischers Visa-Praxis hätte die orangene Revolution in Kiew nicht stattgefunden. Die rot-grüne Argumentationskette: Die Reisefreiheit habe zu einer Westbindung des ukrainischen Volks und damit zu einer Demokratiesehnsucht im Lande geführt. Das ist Adenauer für Arme - und deutsche Wichtigtuerei. Höhn und Scholz unterschätzen erstens die Rolle Polens als wichtigsten westlichen Nachbarn der Ukraine und zweitens die Substanz der orangenfarbenen Demokratiebewegung.
Allerdings sollten sich alle, die nun Skandal rufen, noch einmal an das Jahr 2000 erinnern, so lange liegt der Millenniumwechsel schließlich nicht zurück. Das neue Jahrtausend wurde mit hochfahrenden Hoffnungen eingeläutet. Das Ziel der deutschen, ja der europäischen Außenpolitik bestand darin, nach dem Ende des Kalten Krieges endlich Osteuropa aufzuschließen. Dieses Ziel ist nicht falsch geworden, weil eine arabische Terrorbande Flugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon geflogen und den USA den Krieg erklärt hat. Das sollte man, bei aller berechtigten Empörung über Pleiten, Pech und Pannen im Auswärtigen Amt, nicht vergessen.