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Vizekanzler Westerwelle Der Spaßbefreite

Er polarisiert, er wurde als Sensibelchen und Leichtmatrose beschimpft - jetzt steht Guido Westerwelle vor dem Aufstieg zum Vizekanzler. Der Ex-Spaßparteichef pflegt sein Image inzwischen so leidenschaftlich, dass er mit der BBC lieber nicht Englisch spricht. Die Geschichte einer Wandlung.

Berlin - Guido Westerwelle übt sich am Tag nach der Wahl in Zurückhaltung und Bescheidenheit. Bloß kein Triumphgeheul - das scheint seine Devise zu sein bei der Pressekonferenz in den "Römischen Höfen" in Berlin, wo noch am Abend zuvor die Anhänger der Liberalen das Wahlergebnis gefeiert haben.

Fast hat es den Anschein, als würde er gegen Ängste vor einer schwarz-gelben Regierung anreden. Die FDP sei zuallererst eine "Partei für das ganze Volk". Man werde "nicht abheben", sondern "solide" und "gründlich" arbeiten. Und er wiederholt, was er so oft in den vergangenen Wochen gesagt hat: "Faire Steuern sind die Voraussetzung für gesunde Staatsfinanzen" - und nicht ihre "Gefährdung". Westerwelle klingt wie Angela Merkel, als sie am Vorabend verkündete, sie sei Kanzlerin "aller Deutschen".

Nur an einer Stelle gibt es ein Problem. Ein BBC-Reporter würde von ihm gerne auf Englisch wissen, was sich unter ihm als künftigem Außenminister ändern wird. Westerwelle lässt den Journalisten abblitzen: Kein Kommentar. In Großbritannien werde auf einer Pressekonferenz schließlich auch nur in der Landessprache geantwortet. "Wir sind hier in Deutschland", sagt er. Mutmaßlich wissend, dass seit Tagen auf YouTube Videos kursieren, die ihm mangelnde Englischkenntnisse unterstellen sollen .

Als eine Dolmetscherin zu Hilfe kommt, erklärt er dann kurz angebunden, eine Debatte über Ämter werde er hier nicht führen - auch nicht über das eigene.

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Der Tag danach: Schulterklopfen und Wundenlecken in Berlin

Foto: MARCO-URBAN.DE

An diesem Montag hat Westerwelle ein erstes Vier-Augen-Gespräch mit Merkel - ein Vorgespräch, sagt der FDP-Chef. "Zügig, aber auch gründlich" werde man dann die Koalitionsgespräche führen.Das Verhandlungsteam der Liberalen steht noch nicht. Aus der FDP ist zu erfahren, möglicherweise würden die offiziellen Runden schon in der kommenden Woche beginnen.

Am Dienstag steht zunächst in der konstituierenden Sitzung der neuen FDP-Fraktion die Wiederwahl des Chefs an. Westerwelle wird wieder antreten: um ein starkes Verhandlungsmandat in den Koalitionsgesprächen zu haben, sagt er selbst. Die Welt der FDP hat sich verändert, der neue Fraktionssaal im Bundestag steht noch nicht fest. Der alte ist für die nunmehr 93 FDP-Abgeordneten zu klein geworden.

Spott über den "Leichtmatrosen" - abgehakt

Dass die Liberalen jetzt fast 15 Prozent im Bund erreicht haben, dass sie doppelt so stark im Bundestag vertreten sind wie die CSU - das ist nicht zuletzt der Verdienst des FDP-Chefs. Der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher pries den Wahlerfolg am Sonntagabend im Präsidium. Es war eine Art Ritterschlag von höchster Stelle. Denn Genscher und andere Altvordere in der FDP haben nicht immer so fest an Westerwelles Seite gestanden, haben ihm intern vor allem seinen Wahlkampfstil 2002 übel genommen. Da fuhr Westerwelle, unterstützt vom NRW-Liberalen Jürgen Möllemann, mit einem Guido-Mobil durch die Lande, trat in der Big-Brother-Show auf, ließ das Ziel "18 Prozent" auf seine Schuhsohlen kleben. Eine bürgerliche Partei drohte sich selbst zu verramschen.

Westerwelle und Möllemann - das war eine widersprüchliche, nie konfliktfreie Beziehung. Der Stil des Parteichefs wurde in diesen Jahren zum Gespött des politischen Betriebs. Als "Leichtmatrose" ironisierte ihn der damalige CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Und selbst im Lager von Angela Merkel fragte man sich eine zeitlang besorgt, ob es gut sei, wenn die CDU-Politikerin allzugroße öffentliche Nähe zum FDP-Chef zelebrierte.

Sie blieben trotzdem über die Zeit der Großen Koalition hinweg im Kontakt, trafen sich, tauschten SMS aus. "Wir kennen uns gut, manche sagen sogar sehr gut", sagt Westerwelle am Tag nach der Bundestagswahl. Ihr persönliches Verhältnis werde eine "solide Grundlage" für die Art des künftigen Umgangs miteinander sein.

Westerwelle als Schreckgespenst - das verfing nicht

Die Folgen jener Zeit, in der die FDP zwischen Amüsierverein und bürgerlicher Protestpartei schwankte, sind bis heute spürbar. SPD und Grüne versuchten daran anzuknüpfen und Schwarz-Gelb als Schreckgespenst zu zeichnen - mit dem FDP-Chef als Karikatur eines ernsthaften Politikers. Doch dieses Konzept ist gescheitert. Denn Westerwelle selbst hat von der schrillen Aufgeregtheit vergangener Tage Abstand genommen. Selbstkritisch sprach er jüngst davon, er bereue nichts, sei aber heute "erfahrener und gereifter".

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Mehrheit für Schwarz-Gelb: Jubel bei FDP, Erleichterung bei der Union

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Westerwelles Erfolg gründet nicht zuletzt in der programmatischen Öffnung seiner Partei. Er machte Frieden mit dem linksliberalen Flügel um die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Noch in der Wahlnacht schlug er erneut jenen Dreiklang an, der seine Auftritte der vergangenen Wochen und Monate kennzeichnete: Steuern, Bildung, Bürgerrechte. An diesem Montag spricht er auch noch über Außen- und Umweltpolitik. Fünf Themen - was in der Pressekonferenz sofort die Frage eines Reporters aufwirft, ob er damit schon künftige Ämter der FDP benannt habe. Westerwelle schweigt und wiederholt den Satz, darüber rede er jetzt nicht.

Die Flügel beieinander gehalten zu haben, auch das zeichnete den Erfolg der FDP 2009 aus. Ausgerechnet Wolfgang Gerhardt, den Westerwelle als Partei- und später auch als Fraktionschef abgelöst hatte, wies eine Woche vor der Wahl auf die Geschlossenheit der FDP im Wahlkampf hin. Ein Verweis darauf, dass ihr das in der jüngeren Vergangenheit nicht immer gelang.

Kurz drohte Ungemach aus dem hohen Norden

Nur einmal drohte im Wahlkampf Ungemach, aus dem Norden der Republik. Da dachte Westerwelles alter Widersacher, der eigensinnige schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nach. Damit drohte er, das Image der Steuersenkungspartei zu durchkreuzen. Es kostete Westerwelles überraschtes Team einige Mühe, die Nachricht im Zusammenspiel zwischen Berlin und Kiel wieder einzufangen. Haften blieb Kubickis Ausfall nicht, zur Erleichterung der Wahlkämpfer.

Nun könnte es sogar für Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein zu einer Koalition reichen. Das sei "kein Nebenaspekt" des Wahlabends, sagt Westerwelle - denn mit Schleswig-Holstein hätte Schwarz-Gelb auch im Bundesrat eine Mehrheit. Das Regieren würde für Schwarz-Gelb im Bund deutlich einfacher.

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Sieger und Verlierer: Die besten Bilder des Wahlabends

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Der 47-Jährige Westerwelle, der bald Vizekanzler sein wird, ist oft belächelt worden. Zuletzt nannte ihn CSU-Chef Horst Seehofer ein "Sensibelchen". Seit dem Sonntag dürfte auch die CSU den FDP-Chef mit anderen Augen sehen.

Ob es ein Versöhnungsgespräch mit Seehofer geben sollte, wird Westerwelle an diesem Montag gefragt. Antwort: "Ich bin Rheinländer, meine persönliche Gelassenheit wächst damit ins Unermessliche."

Dass die Liberalen ein hartnäckiger Partner sein können, hat Westerwelle selbst zu Kohls Zeiten in Bonn erlebt. Als junger Generalsekretär versuchte er Mitte der neunziger Jahre, die FDP gegen die Union stärker abzugrenzen. Zum Missfallen des Kanzlers.

"FAZ"-Redakteur Majid Sattar schreibt in seinem Buch über Westerwelle, Kohl habe Jüngere nur geduldet, die Respekt und Loyalität bekundeten. Westerwelle aber habe "Selbstbehauptung" angestrebt. Das Verhältnis war stets gespannt.

Auch für Merkel dürfte, bei aller gegenseitiger persönlicher Sympathie, das Regieren mit der FDP nicht einfach werden. Vor mehr als einem Jahrzehnt, im Herbst 1996, sagte Westerwelle als Generalsekretär, auch eine kleine Partei könne "einen Meinungsdruck erzeugen, dem andere sich nicht entziehen können".

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