Wie verstehen sich die Fraktionschefs? Gute alte GroKo-Zeit

Unionsfraktionschef Volker Kauder hat einst mit Peter Struck eine Große Koalition gestützt. Klappt das auch mit Andrea Nahles? Beim Gedenken an den früheren SPD-Fraktionschef kommt es zur Annäherung.
Fraktionschefs Nahles, Kauder

Fraktionschefs Nahles, Kauder

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Manchmal konnten sich die beiden dann doch nicht einigen. Aber es hilft ja nichts, wer zusammen regiert, braucht in den meisten Fragen eine gemeinsame Linie - so war das auch in der Großen Koalition von 2005 bis 2009. Wenn die Fraktionschefs Volker Kauder und Peter Struck also partout nicht übereinkamen, nahm der Sozialdemokrat eine Münze. "Du nimmst als Kapitalist die Zahl, ich Kopf", sagte er zu dem CDU-Politiker. Der Münzwurf entschied, ob die Position der Unions- oder die der SPD-Fraktion galt. Und dann - so erzählt es Kauder an diesem Mittwochvormittag im Foyer der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung - wenn es gut für ihn ausgegangen sei, hätte Struck im Anschluss erzählt, was er der Union wieder einmal abgerungen habe.

"Das passiert bei uns nicht", ruft Andrea Nahles da. Die SPD-Fraktionschefin sitzt neben ihrem Unions-Kollegen auf der Bühne der Ebert-Stiftung, das Gespräch mit Kauder ist Teil der Buchvorstellung, mit der zu Peter Strucks 75. Geburtstag an den Sozialdemokraten erinnert werden soll.

Der legendäre SPD-Fraktionschef - er führte die Sozialdemokraten im Bundestag von 1998 bis 2002 und dann erneut 2005 bis 2009, zwischendurch war er Verteidigungsminister - starb im Dezember 2012. Das Buch soll eine Würdigung des Politikers sein, nach dem unter anderem das sogenannte Struck'sche Gesetz benannt ist, das so lautet: "Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist." Aber Struck ist eben nicht nur ein Hüter der Bundestagsrechte gewesen, sondern er hat gemeinsam mit CDU-Mann Kauder die erste Große Koalition unter Angela Merkel gemanagt.

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Und damit könnte der - lange festgelegte - Termin für das Gedenken an Struck und die Vorstellung des Buchs mit dem Titel "Die Fraktion - Machtzentrum und Fegefeuer. Politische und parlamentarische Erinnerung für Peter Struck" nicht besser passen: CDU, CSU und SPD wollen noch in dieser Woche mit Verhandlungen über die Bildung einer erneuten Koalition beginnen. Nur tut sich insbesondere die sozialdemokratische Seite wahnsinnig schwer. Die Delegierten des SPD-Sonderparteitags stimmten am Sonntag mit gerade einmal 56 Prozent für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der Union. Und am Ende der Verhandlungen steht nochmal ein Mitgliederentscheid.

Die GroKo-Gegner in der SPD sehen schon in der damaligen Koalition mit der Union den Sündenfall ihrer Partei, dessen Folgen sich mit der gemeinsamen Regierung der vergangenen vier Jahre nochmals verschärft haben. Aus ihrer Sicht jedenfalls.

Natürlich sieht das einer wie Volker Kauder ganz anders. Und auch Andrea Nahles. Beide wollen die GroKo-Neuauflage, die angesichts der Wahlergebnisse von CDU, CSU und SPD allerdings keine wirklich große Koalition mehr wäre.

Die Talkshow-Strategie wird es nicht geben

Was also ist aus der Erinnerung an die Achse Kauder-Struck zu lernen? Neben dem Münzwurf lehnt die aktuelle SPD-Fraktionschefin auch andere Tricks der beiden ab. Beispielsweise die Verabredung, immer gemeinsam in Talkshows zu gehen, dort nur nebeneinander zu sitzen und im Vorhin schon eine gemeinsame Strategie zu verabreden. Auch davon berichtet Kauder an diesem Tag. "Ich glaube, man kann das nicht wiederholen", sagt Nahles.

Angesichts der GroKo-Vorbehalte in und außerhalb der SPD wäre das wohl auch höchst gefährlich. Wenn Kauder über die gemeinsame Zeit mit Struck berichtet, spricht da ein Freund über den anderen. Über die guten alten Zeiten. Die beiden lernten sich so richtig erst als Fraktionschefs kennen, Struck besuchte irgendwann den Wahlkreis von Kauder, sie kamen sich immer näher. "Und es gibt sie doch: Freundschaft in der Politik" - so ist Kauders Beitrag in dem Struck-Buch überschrieben.

Nahles und er - das wird anders. Nicht nur wegen des Altersunterschieds: Er ist 68, sie 47. Zudem ist Nahles schon jetzt mächtiger in der SPD, als es Struck je war.

Vor allem aber würde diese Koalition von Union und SPD noch viel vergifteter starten, als es damals der Fall war. Die neue GroKo wäre von Anfang an ein Notnagel, aus reiner Alternativlosigkeit geboren - angefeindet von Teilen aller sie tragenden Parteien, offen bekämpft von der AfD und ihren Anhängern, zumindest abwartend skeptisch beobachtet vom Rest.

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Ob das was werden kann?

Kauder und Nahles sollten deshalb alles vermeiden, was nach Kungelei aussieht. Stattdessen werden beide Fraktionen versuchen, mehr eigenes Profil zu bilden innerhalb der Koalition, dazu sind beispielsweise offene Debatten im Parlament zu bestimmten Themen geplant. Gleichzeitig müssten die Fraktionschefs ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das diese schwierige Liaison trägt.

"Verlässlichkeit ist unerlässlich", sagt Nahles. "Wir haben eine Basis, auf der wir aufbauen können - aber das werden wir auch brauchen." Verbinden tut sie schon mal ihr christlicher Glaube. Sein schwarzes Kreuz aus Kloster Maria Laach habe ihm Nahles geschenkt, erzählt Kauder. Dass die bisherige Arbeitsministerin auf Unionsseite einen fachlich einwandfreien Ruf genießt, dürfte ebenfalls helfen.

Nahles versteht sich gut mit CSU-Mann Dobrindt

Es könnte also was werden mit der neuen Achse Kauder-Nahles. Zumal die Sozialdemokratin zum Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, ein gutes Verhältnis hat. Das überrascht ein bisschen mehr, wo sie den Landesgruppen-Vorsitzenden doch erst am Sonntag in ihrer Rede auf dem Parteitag als "blöden Dobrindt" bezeichnet hat.

Aber der CSU-Politiker, der zuvor die SPD mit einigen unfreundlichen Formulierungen provoziert hatte, winkte bereits ab. "Das tut der Freundschaft keinen Abbruch", sagte er. Der Christsoziale und die Sozialdemokratin kennen sich aus gemeinsamen Generalsekretärs-Zeiten, sind fast auf den Tag gleich alt und teilen einen sehr strategisch-analytischen Blick auf die Politik. Beide dürften sich deshalb sogar näher sein als es Dobrindt und Kauder sind - aber auch das müsste für das Funktionieren der Koalition nicht von Nachteil sein.

Erstmal muss es ja klappen mit der gemeinsamen Regierung. Aus Sicht von Kauder drängt die Zeit. "Wenn wir vor Fastnacht nicht fertig werden, wird das zum Thema bei allen Fastnachtsveranstaltungen - da schneiden wir granatenmäßig schlecht ab." Er hoffe, "dass wir den Zustand, in dem wir unser Land in der ganzen Welt präsentieren, bald beenden".

Und dann gibt er Nahles sogar ein Versprechen: Kauder besitzt seit ein paar Jahren eine rote Lederjacke, die allerdings die Öffentlichkeit noch nie an ihm gesehen hat. Wenn es mit der Koalition klappe, sagt er, "dann trete ich in Berlin darin auf".

Nahles' Reaktion, halb im Scherz: "Das wird den Mitgliederentscheid positiv beeinflussen."


Zusammengefasst: Klappt es mit der Neuauflage der Großen Koalition? Unionsfraktionschef Volker Kauder und seine sozialdemokratische Kollegin Andrea Nahles zeigten beim Gedenken an den langjährigen SPD-Fraktionschef Peter Struck, dass es an ihnen nicht scheitern würde.

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