Clement und die FDP Der Wandervogel

Wahlkämpfer Lindner, Wahlhelfer Clement: Kraft steiler Thesen
Foto: Caroline Seidel/ dpaFrüher, am Tag der Arbeit, stand Wolfgang Clement für gewöhnlich auf Großkundgebungen der Gewerkschaften und pries die deutsche Arbeiterschaft. Es gab Pils, Wurst, große Worte und seine heiser gerauchte Stimme vermittelte den Menschen den Eindruck, er sei einer von ihnen, ein Malocher und Sozialdemokrat, ein Macher aus dem Ruhrpott. Doch das ist lange her.
Heute, am Tag der Arbeit, steht Wolfgang Clement, 71, in der Essener Philharmonie, in einem mondänen Saal, der sich RWE-Pavillon nennt. Draußen wird Weißer Burgunder ausgeschenkt, es gibt Häppchen in kleinen Gläsern, und drinnen schimpft der frühere SPD-Ministerpräsident auf Rot-Grün. In der Düsseldorfer Koalition mache sich eine "innovationsfeindliche Wachstumsskepsis" breit. Ja, sogar einen "gespenstischen Umgang mit der Großindustrie" will Clement beobachtet haben. Das dürfe nicht sein, sonst wanderten Firmen ab und mit ihnen Arbeitsplätze, warnt er.
Wolfgang Clement war einmal Boulevardjournalist, insofern weiß er sehr genau um die Kraft steiler Thesen und gut getimter Auftritte. Daher ist es alles andere als ein Zufall, dass der Bochumer sich keine zwei Wochen vor der Landtagswahl in seinem Heimatland zurück aus der Versenkung meldet. Und so zelebriert er nicht nur den öffentlichen Schulterschluss mit dem FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner, sondern fällt zugleich auch der Genossin Hannelore Kraft in den Rücken, die er einst entdeckt, gefördert und zur Ministerin gemacht hatte.
In einem vierseitigen Thesenpapier fordern Clement und Lindner nun eine "vernunftgeleitete Industriepolitik", in der die Wirtschaft Partner und nicht Gegner der Politik sein müsse. Mit deutlichen Worten bekennen sie sich zum Standort NRW, der "Herzkammer der deutschen Industrie".
Um die Unternehmen an Rhein und Ruhr zu stärken, fordern sie "neue Impulse, starke Innovationen und verlässliche Rahmenbedingungen". Großprojekte sollen demnach schneller umgesetzt und von der Politik nicht blockiert werden. Zudem spricht sich das sozial-liberale Duo für den Bau neuer Kraftwerke aus. Auf diese Weise solle die Energieversorgung sichergestellt werden. Darüber hinaus müssten Subventionen für erneuerbare Energien zurückgefahren und die Bildung der Strompreise weitestgehend dem Markt überlassen werden.
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Clement sitzt übrigens inzwischen im Aufsichtsrat der Essener RWE Power AG.
Zerwürfnis mit der SPD noch nicht verwunden
An dem Wirken der bisherigen rot-grünen Landesregierung lassen Lindner und Clement kein gutes Haar. "Industriepolitik findet zwar noch verbal, aber kaum real statt. Ein schleichender Prozess der Deindustrialisierung ist im Gang", heißt es in dem Papier. Als Beispiele werden die gerichtliche Auseinandersetzung um die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks in Datteln und die Schwierigkeiten beim Bau der CO-Pipeline am Niederrhein genannt.
Wolfgang Clement, der sich selbst als sozialliberalen Sozialdemokraten ohne Parteizugehörigkeit bezeichnet, hat vor allem zwei Gründe, sich erneut bei einer Wahl für die FDP stark zu machen. Wie bereits 2009 und 2010 sieht er in den Freidemokraten zum einen die Gralshüter seines Lebenswerks, der unter Gerhard Schröder durchgesetzten Agenda 2010. Immerhin verkündet Christian Lindner dann am Dienstagnachmittag auch pflichtschuldig und öffentlich, das rot-grüne Reformwerk, für das Clement gestritten habe, dürfe nicht rückabgewickelt werden.
Zum anderen hat Clement ganz offenbar sein Zerwürfnis mit der SPD noch immer nicht verwunden. Vor der hessischen Landtagswahl 2008 hatte er indirekt davon abgeraten, für die damalige SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zu stimmen. Gegen den Sozialdemokraten wurde daraufhin ein Ausschlussverfahren eingeleitet, das vor dem Parteischiedsgericht mit einer Rüge endete. Clement trat daraufhin selbst der aus SPD aus, nach 38 Jahren Mitgliedschaft, das schmerzte ihn sehr.
"Ich sollte unter Mitwirkung von Franz Müntefering entmannt werden", sagte er damals im Deutschlandfunk. "Meine Töchter nennen das lächerlich, ich selbst bezeichne es als unwürdig." Für Clement war es die letzte Episode in einer langen Reihe von Verletzungen. Er sei für die Agenda 2010 selbst heftig attackiert und nur wenig unterstützt worden, so Clement seinerzeit im Radio.
"Es geht aufwärts mit der FDP"
"Ich habe mir fast ein Jahr lang angehört, dass ich charakterlos sei und dass ich verantwortlich sei für eine menschenverachtende Politik." Damit habe ihn die Parteiführung alleingelassen.
Für Christian Lindner wiederum, den liberalen Hoffnungsträger in Nordrhein-Westfalen, ist das Engagement des früheren Regierungschefs ein seltener Glücksfall. Aktuelle Umfragen sehen die FDP zwar momentan bei fünf Prozent, doch gewählt wird erst am 13. Mai, bis dahin gilt es, noch einige Prozent zuzulegen.
Und Clement mobilisiert tatsächlich - ähnlich wie Steinbrück - jede Menge So-ist-es-doch-Sager der Generation 60plus, wie man in Essen beobachten kann. Der Saal platzt aus allen Nähten, etwa 600 Menschen wollen das sozial-liberale Traumpaar sehen. Zudem verleiht Clement dem Jungspund Lindner auch staatsmännisches Flair, was im Kampf um den Einzug in den Landtag nicht schaden kann. "Sie sehen", jubelt der Veranstalter vielleicht eine Spur zu betont, "es geht aufwärts mit der FDP."
Noch zwölf Tage bis zur Wahl.