Vorratsdatenspeicherung Kritiker warnen vor Überwachungsstaat

An einen Server angeschlossene Datenkabel: Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung
Foto: APKarlsruhe - Es ist die größten Sammelklage der deutschen Justizgeschichte: Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag mit der mündlichen Verhandlung über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung begonnen. Gegen das Gesetz klagen in Karlsruhe fast 35.000 Bürger, darunter acht Hauptbeschwerdeführer.
Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, Deutschland habe mit dem Gesetz die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten. Durch die massenhafte Speicherung der Telefon- und Internetverbindungsdaten der gesamten Bevölkerung auf Vorrat werde jeder Bürger zum Verdächtigen erklärt. "Das ist nichts anderes als ein Überwachungsstaat", betonte Roth, die selbst Beschwerdeführerin in den Verfahren ist. Wenn jeder Mensch "per se verdächtig" sei, sei dies ein "eklatanter Dammbruch" für einen Staat, der eigentlich die Freiheitsrechte der Bürger schützen solle.
In einer am Dienstag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung aller Beschwerdeführer wird betont, es gehe um einen "Präzedenzfall für eine uferlose Registrierung des alltäglichen Verhaltens unschuldiger und ungefährlicher Bürger ins Blaue hinein". Die Vorratsdatenspeicherung behindere vertrauliche Tätigkeiten und Kontakte in der Informationsgesellschaft auf unzumutbare Weise. Die "gesamte Bevölkerung als potentielle Rechtsbrecher zu betrachten und ihr Verhalten auf Vorrat registrieren zu lassen", sei eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats nicht würdig.
"Die gesamte Erfassung des Alltags"
Das umstrittene Gesetz berühre den "Kern der Persönlichkeit" der Bürger, sagte der FDP-Politiker Burkhard Hirsch, einer der Beschwerdeführer. Gespeichert werde "jeder elektronische Atemzug" unverdächtiger Bürger. Auch der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der die Kläger vertritt, mahnte eindringlich: "Ist dieser Weg einmal freigegeben, ist die gesamte Erfassung des Alltags die Folge."
Scharfe Kritik an dem Gesetz hatte auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar geäußert. Die Bundesregierung verteidigte die massenhafte Speicherung der Telekommunikationsdaten aller Bürger in Deutschland. Elektronische Spuren müssten gesichert werden, um Straftaten verfolgen zu können, sagte der Prozessbevollmächtigte Christoph Möllers am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Grundrechte hätten bei der Gesetzgebung von vornherein eine zentrale Rolle gespielt.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erschien entgegen der Gepflogenheiten nicht vor Gericht, weil sie Beschwerdeführerin und Vertreterin der Bundesregierung zugleich ist. Die Gesetzesänderung wurde zu Zeiten der Großen Koalition maßgeblich von ihrer Vorgängerin Brigitte Zypries (SPD) gestaltet und geht über die Vorgaben einer entsprechenden Richtlinie noch hinaus. Leutheusser-Schnarrenbergers Staatssekretärin Birgit Grundmann ging kaum inhaltlich auf das Gesetz ein und verwies darauf, dass die Bundesregierung in besonderer Weise dem Datenschutz verpflichtet sei.
FDP spricht sich für Gesetzesänderungen aus
Der designierte FDP-Generalsekretär Christian Lindner sprach sich für Änderungen bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung ein. Es sei unverhältnismäßig, so viele Telekommunikationsdaten von "unbescholtenen Bürgern" zu speichern und dann auch dem Staat und seinen Institutionen zur Verfügung zu stellen, sagte Lindner am Dienstag im Deutschlandfunk. "Deshalb sind wir sehr dafür, die Vorratsdatenspeicherung einzuschränken", sagte er.
Obwohl die FDP einer Regierung angehöre, sei sie immer noch eine politisch eigenständige Kraft, fügte Lindner hinzu. Die Koalitionsvereinbarung sei in dem Wissen geschlossen worden, "dass wir von Karlsruhe aus ja noch eine Interpretation erhalten des Grundgesetzes und der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung". Er sei sehr optimistisch, dass die Rechtsposition der Liberalen vom Bundesverfassungsgericht auch bestätigt werde. Die Partei habe bereits zu Oppositionszeiten ihre Bedenken im Bundestag angemeldet, aber keine Mehrheit dafür gefunden. Nun sei die Situation entstanden, dass die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger auf zwei Seiten an dem Verfahren beteiligt sei - als Bundesjustizministerin und als Beschwerdeführerin.
Das umstrittene Gesetz sieht vor, dass die Verbindungsdaten von Telefon, Handy und Internet vorsorglich sechs Monate lang gespeichert und bei Ermittlungen an die zuständigen Behörden weiter gegeben werden. Im März 2008 hatte das Gericht die Anwendung des Gesetzes in Eilentscheidungen bereits stark eingeschränkt und die Weiterleitung der Daten nur bei Verdacht auf schwere Straftaten zugelassen. Das Urteil in der Hauptsache dürfte im Frühjahr 2010 ergehen. (Az.: 1 BvR 256/08 u.a.)
Die schwarz-gelbe Koalition hat vereinbart, die Daten bis zu einer endgültigen Entscheidung des Verfassungsgerichts zwar zu speichern. Diese dürfen jedoch nur bei Gefahr für Leib, Leben oder Tod an Ermittler weitergegeben werden.
Das Verfassungsgericht hatte in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Sicherheitsgesetzen kassiert oder stark beschnitten, wie den großen Lauschangriff, das Luftsicherheitsgesetz oder die Online-Durchsuchung.