Vorteilsannahme von Staatsdienern Christian Wulff und das Burger-Dilemma

Gratis-Burger: Gegen Polizisten wurde wegen angeblicher Vorteilsannahme ermittelt
Foto: Cate Gillon/ Getty ImagesBerlin - Was tun mit einem Kinogutschein von dankbaren Eltern, die Erziehungsleistungen honorieren wollen? Mit einem Buch, einem Flakon Parfum zu Weihnachten? Zwanzig Euro, die der Patient nach der Genesung auf dem Krankenhaus-Nachtschrank hinterlässt? Mit der Flasche Wein, die eine Rentnerin auf die Polizeiwache bringt, weil die Beamten den Dieb ihrer Handtasche gefunden haben?
Lehrer, Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Polizisten - Deutschlands Staatsbedienstete sind immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen sie sich fragen müssen: Darf ich das annehmen? Ist das schon Vorteilsannahme?
Für sie gelten strenge Regeln. Erst im Dezember 2011 hat das Bundesinnenministerium ein Handbuch herausgegeben, das den Umgang mit Geschenken für alle Bundesbeamten erklärt. Bargeld und geldwerte Dinge sind demnach generell verboten, und selbst kleine Gaben müssen der eigenen Behörde gemeldet werden.
Üblicherweise dürfen Beamte keine Geschenke annehmen, die einen Wert von zehn Euro überschreiten.
Dabei geht es nicht, wie bei Bundespräsident Wulff, um Urlaube, Flug-Upgrades oder Luxussuiten im Hotel, sondern eher um ein Bund Blumen. Immer größer wird in den deutschen Beamtenstuben deshalb auch der Ärger darüber, dass man dem Staatsoberhaupt seine Buddy-Affären durchgehen lässt. Dass offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird.
SPIEGEL ONLINE berichtete am Dienstag über die Stimmungslage bei den Staatsdienern. Daraufhin meldeten sich zahlreiche Leser und schilderten Fälle, die sie entweder selbst erlebten oder die sich in ihrem Umfeld zugetragen haben.
Anzeige wegen Burger-Nähe bei der Polizei
In einer E-Mail beschreibt ein Leser einen Fall, der sich in Niedersachsen schon vor Jahren ereignet hat. "Aber er hat bis heute Auswirkungen auf die Kollegen", so Dietmar Schilff, Chef des niedersächsischen Landesverbands der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Was war passiert? Ein Leser, der den Betroffenen kennt, schilderte SPIEGEL ONLINE die Geschichte: "Wenn die Polizei kurz vor Geschäftsschluss noch zu McDonald's gefahren ist, soll dann und wann ein Cheeseburger mehr in der Tüte gelegen haben. Bevor er weggeschmissen wird." Es sei also um den Gegenwert von einem Euro gegangen. Die Staatsanwaltschaft habe Wind davon bekommen. "Es wurde selbstverständlich ohne Umschweife ermittelt." Ein Mobiles Einsatzkommando, das extra aus Hamburg gekommen sei, "wurde eingesetzt, um die Kollegen und McDonald's zu observieren".
Schilff von der GdP kennt den Fall, hat mit den betroffenen Beamten gesprochen: "Im Internet war anonym Anzeige erstattet worden. Polizisten einer Stadt in Niedersachsen sollen kostenlos Essen von einer McDonald's-Filiale entgegengenommen haben, hieß es. Es handelte sich um mehrere Beamte."
Mindestens einer der Beschuldigten habe erst zwei Jahre nach Einleitung des Verfahrens überhaupt erfahren, dass gegen ihn wegen der Burger ermittelt worden war. "Eigentlich stand er auf der Beförderungsliste ganz oben - aber wegen der Ermittlungen wurde nichts daraus. Am Ende wurden alle Beschuldigten freigesprochen. Der Fall ging noch einmal vor einem Landgericht in Berufung, einem der Beschuldigten wurde angeboten, das Verfahren gegen eine Strafzahlung in Höhe mehrerer tausend Euro einzustellen. Der Polizist lehnte ab."
Er sollte recht behalten: Laut Schilff wurde er schließlich komplett von den Vorwürfen freigesprochen. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigt die Freisprüche aller in der "Burger-Affäre" Beschuldigten.
"Inzwischen wurde der Polizist auch befördert - mit mehren Jahren Verspätung", berichtet Schilff von der GdP. Er habe dadurch einen Verdienstausfall in Höhe mehrerer tausend Euro erlitten. "Mir ist es wichtig festzuhalten, dass ich es richtig finde, dass es Ermittlungen gibt, wenn ein Verdacht der Vorteilsannahme besteht. Die Frage aber ist: Wie wird bei uns ermittelt - und wie wird bei Bundespräsident Wulff ermittelt? Warum wird wegen einer relativen Kleinigkeit wie einem Burger so erheblich ermittelt und beim Staatsoberhaupt so zurückhaltend?", fragt sich Polizeigewerkschaftler Schilff.
Was Bürgermeister Ude rät
Ein anderer Leser - ein Lehrer - berichtet von einem Fall, den SPIEGEL ONLINE nicht überprüfen konnte: "In der Vergangenheit haben wir zum Beispiel Tintenpatronen für unsere Drucker zu Hause über unseren Schulassistenten bezogen, mit dem für die Schule üblichen kleinen Rabatt. Den Drucker verwende ich fast ausschließlich für die Schule. Nach einer Prüfung des Landkreises lautet der Vorwurf nun: Vorteilsannahme im Amt! Ist das zu fassen? Für Material, das ich selbst bezahle und für den Unterricht einsetze. So sieht Gerechtigkeit in Deutschland aus!"
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude hat im Jahr 2007 seinen Bediensteten einen glasklaren Leitfaden an die Hand gegeben: Wer sich unerlaubt beschenken lasse, schrieb Ude persönlich, müsse "mit schwerwiegenden Konsequenzen bis hin zum Verlust der beruflichen Existenz bei der Stadt und erheblichen Vermögensverlusten rechnen". Besser, so der SPD-Politiker, "Sie nehmen überhaupt nichts an!"
Udes Juristen haben in ihrer Liste kaum eine Versuchung ausgelassen, die einen Staatsdiener ereilen kann. Das Register regelt alles von "Abholung vom Flughafen" (erlaubt) und "Alkoholika" (unter 15 Euro erlaubt) bis zu "zinslosen oder zinsgünstigen Darlehen" (verboten). Für den Besuch auf dem Oktoberfest dürfen die Bediensteten je einen Bierbon und eine Marke für ein Brathendl annehmen; sonst bekommen sie Probleme.
So erging es laut SPIEGEL Mitarbeitern des Kreisverwaltungsreferats, also jener Behörde, die auch die Wiesn überwacht. Als sich auf dem Amt die Gutscheine stapelten, ermittelte die Staatsanwaltschaft nach einer Strafanzeige gegen sieben Mitarbeiter, dem Vorgesetzte wurde am Ende eine Geldauflage zugewiesen.
Freikarten für den Freizeitpark? Verboten!
Der SPIEGEL berichtete auch über niedersächsische Lehrer, die Strafbefehle wegen Vorteilsannahme kassieren mussten. Sie hatten von einem Freizeitpark in der Lüneburger Heide Freikarten im Wert von 35 Euro zugeschickt bekommen. Der Veranstalter wollte mit der Aktion für Klassenausflüge werben. Einige Lehrer besuchten den Erlebnispark in ihrer Freizeit und lösten die Freitickets ein.
Tatsächlich halten sich wohl die allermeisten Beamten streng an die Regeln. Ein ehemaliger Schulleiter sagt SPIEGEL ONLINE: "Es ist während meiner fast 30 Jahre als Rektor kaum vorgekommen, dass jemand Geschenke angenommen hat, die einen Wert von zehn Euro überstiegen haben. Wenn Eltern Lehrern Pralinen geschenkt haben, dann wurden sie für alle ins Lehrerzimmer gestellt, ohne dass jemand wusste, von wem die Süßigkeiten kamen. Wenn ein Vater in ein Wochenendhaus eingeladen hat, hat man die ganze Sache abgewendet mit der Antwort: 'Oh ja, dann bringe ich eben die ganze Klasse mit'." Lehrer seien sich grundsätzlich sehr bewusst, dass sie keine größeren Geschenke annehmen dürften.