Wahlanalyse Bremen Warum die SPD in ihrer Hochburg einbricht

Wahlanalyse Bremen: Warum die SPD in ihrer Hochburg einbricht
Foto: Jochen Lübke/ dpaBitter nennt Jens Böhrnsen die rund 33 Prozent, die die Hochrechnung für seine SPD in Bremen sehen. Es ist das bisher schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten in Deutschlands kleinstem Stadtstaat. Absolute Mehrheit? Diese Zeiten sind auch in dem sozialdemokratischsten Bundesland vorbei.
In Bremen regiert die SPD unangefochten seit 1946. Doch mittlerweile schafft es die Partei immer weniger, ihre Anhänger zu mobilisieren. Das zeigen die Daten der Meinungsforscher von Infratest dimap, die im Auftrag der ARD die Wählerbewegungen in der Hansestadt analysiert haben (Stand: Hochrechnung 00.27 Uhr; wie die Daten ermittelt werden, lesen Sie unten im Info-Kasten).
Die wichtigsten Fakten zu den Bremer Gewinnern und Verlierern im Überblick:
1. Die abgestrafte SPD
Die SPD - Partei der sozialen Gerechtigkeit? In Bremen stimmen dieser Aussage nach einer Erhebung der Demoskopen nur noch 41 Prozent der Befragten zu. Das sind 9 Prozentpunkte weniger als 2011. Gleichzeitig legt die Linkspartei in diesem Feld um 7 Prozentpunkte zu. Doch das sind nicht die einzigen Einbrüche der SPD, sie verliert in vielen wichtigen Kompetenzbereichen: Bildungspolitik 26 Prozent Zustimmung - minus 11 Prozentpunkte; Wirtschaft 36 Prozent - minus 13 Prozentpunkte; Arbeitsplätze 36 Prozent - minus 11 Prozentpunkte.
Eine Mehrheit der Befragten (71 Prozent) findet, dass die SPD zwar schon lange in Bremen regiert, "aber die Probleme nicht in den Griff bekommt". Und diese sind vielfältig: Der Stadtstaat hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung, höchste Armutsquote unter Jugendlichen und die höchste Quote an Sozialhilfeempfängern im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Schüler schneiden in Pisa-Tests regelmäßig am schlechtesten ab.
Die SPD schafft es nicht mehr, so zu überzeugen wie bei der Abstimmung 2011: 9000 ehemalige Wähler sind dieses Mal zu Hause geblieben. Auch die anderen Parteien, insbesondere die CDU (6000) - profitieren von den frustrierten Ex-Sozialdemokraten - klicken Sie auf den Link, um die Wählerströme im Detail zu sehen:
Die Zustimmung für die SPD sinkt in allen Altersklassen, insbesondere aber bei ihrer Stammklientel, den über 60-Jährigen (minus 7 Prozentpunkte). Auch in den wichtigen Gruppen der Rentner (minus 5 Prozentpunkte) und der Beamten (minus 10 Prozentpunkte) können die Sozialdemokraten nicht mehr so punkten wie 2011.
2. Stärkste Kraft in Bremen - die Nichtwähler
Die Hälfte der Wahlberechtigten ist zu Hause geblieben - ein neues Rekordtief. Die Nichtwähler bilden die Mehrheit in Bremen. Seit 1975 ist die Wahlbeteiligung in dem Bundesland fast durchgehend von Abstimmung zu Abstimmung gesunken.
Warum sind die Bürger zu Hause geblieben? Ist es ein Ausdruck des politischen Widerstands? Ja, aber vor allem ist es ein Signal der Resignation, wie Umfragen von Infratest dimap zeigen:
- 67 Prozent der Nichtwähler sagten auf die Frage, warum sie nicht abgestimmt haben: "Politiker verfolgen doch nur ihre eigenen Interessen."
- 58 Prozent erklärten: "Derzeit vertritt keine Partei meine Interessen."
- 46 Prozent gaben an: "Gehe bewusst nicht zur Wahl, um meine Unzufriedenheit mit der Politik zu zeigen."
Damit wird ein immer größerer Teil der Wahlberechtigten in der Bürgerschaft nicht mehr repräsentiert - es sind die eher sozial Benachteiligten. In Schwachhausen, wo die Wohlhabenden Bremens wohnen, fiel die Wahlbeteiligung bei der letzten Bürgerschaftswahl 2011 fast doppelt so hoch aus wie in dem damaligen Problemviertel Tenever.
Je höher die Arbeitslosigkeit in einem Stimmbezirk, desto geringer fällt dort die Wahlbeteiligung aus, so das Fazit der Forscher der Bertelsmann-Stiftung. Sie hatten die Wahlbeteiligung in Bremen bei der Bundestagswahl 2013 analysiert (Lesen Sie hier die Studie ). Dieser Zusammenhang gilt auch für Bildungsniveau und durchschnittliche Kaufkraft: Je geringer diese in einem Bereich sind, desto weniger Bürger gehen dort wählen. Ergebnis ist eine Schieflage, denn die unteren Schichten koppeln sich vom politischen Prozess ab.
3. Triumph der Liberalen
Bremen ist für die FDP ein schwieriges Bundesland - 2011 kam sie gerade einmal auf ein Ergebnis von 2,4 Prozent. Nun schaffen die Liberalen mit 6,4 Prozent den Sprung über die Fünfprozenthürde. Sie verdanken ihren Einzug in die Bürgerschaft ehemaligen Wählern von Grünen (1500), SPD (2000) und CDU (2500).
Die Liberalen sprechen mit ihrer 29-jährigen Spitzenkandidatin Lencke Steiner (Lesen Sie hier mehr über die parteilose Kandidatin) vor allem ehemalige FDP-Stammklientel an: Bei den Selbstständigen gewinnen sie 12 Prozentpunkte hinzu. 84 Prozent der Befragten bescheinigen Lencke Steiner laut den Forschern von Infratest dimap einen "sympathischen Wahlkampf". 94 Prozent sagen, dass es eine Partei brauche, die "klar für die Marktwirtschaft" eintrete. Die FDP kann also nach den Niederlagen bei der Bundestagswahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland im vergangenen Jahr wieder Boden gutmachen - zumindest in den beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg.
4. CDU ist wieder zweitstärkste Kraft
Anders als in Hamburg kann sich die CDU in Bremen leicht verbessern, sie verdrängt die Grünen auf Platz drei, die laut Hochrechnungen mehr als sieben Prozentpunkte verlieren. Auch an die Christdemokraten verlieren die Grünen Wähler (1500). Doch insbesondere gewinnen die Christdemokraten von Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann ehemalige SPD-Anhänger (siehe Punkt 1).
Gleichzeitig muss die CDU aber auch Verluste hinnehmen, auch ehemalige Anhänger der Christdemokraten bleiben zu Hause: 3500 haben nicht an der Abstimmung teilgenommen. 2500 haben ihr Kreuz bei den Liberalen gemacht, 2000 bei der AfD.
5. AfD holt Wähler aus allen Lagern
Die rechtskonservative AfD schafft nach der amtlichen Hochrechnung auch in Bremen den Einzug in die Bürgerschaft. Sie profitiert - wie auch bei den letzten Landtagswahlen - vor allem von den Stimmen der Männer, Arbeitern und Arbeitslosen. Die Partei sammelt Anhänger fast aller politischen Lager. Der AfD gelingt es sogar, 1500 ehemalige Nichtwähler wieder an die Urne zu bringen:
Wichtigster Grund, für die AfD zu stimmen, ist für zwei Drittel ihrer Anhänger die Enttäuschung über die anderen Parteien. Nur 29 Prozent geben an, von den Rechtskonservativen überzeugt zu sein. Diese können vor allem mit dem Thema Flüchtlinge/Zuwanderung Stimmen gewinnen: Für 54 Prozent ihrer Anhänger ist dieser Bereich wichtig. Danach folgt mit großen Abstand (22 Prozent) das Feld Haushalt/Verschuldung.